anfänglich der alte Goethe ein. Als er die Nach¬ richt von dem Tode seines einzigen Sohnes erfuhr, glaubte er seinen Schmerz zu mäßigen, wenn er ihn verberge. Er bekam einen Blutsturz davon, der ihn an den Rand des Grabes führte. Ich fürchte, Frankreich bekommt einen Blutsturz. Das Herz wird mir doch manchmal bange bei allen diesen Geschich¬ ten. Zwar weiß ich, wer besiegt wird am Ende; aber wird ein Sieger übrig bleiben? Der Despo¬ tismus, so blind er ist, ist doch riesenstark; und wenn er seinen Untergang unvermeidlich siehet, wird er, seinen Tod zu rächen, wie Simson, die Säulen der Welt umstoßen, und mit sich selbst auch alle seine Feinde begraben.
-- In Berlin werden sie noch ganz verrückt vor Angst und Verzweiflung. Neulich enthielt die preußische Staats-Zeitung einen langen Artikel, worin behauptet wird, Preußen sei eigentlich der wahre republikanische Staat; dort wäre der Thron von republikanischen Institutionen umgeben, und Frankreich hätte nichts von der Art, und die Franzo¬ sen sollten sich schämen, solche Knechte zu seyn. Ich glaube, es war Malice von der preußischen Staats- Zeitung, und sie hatte es darauf angelegt, daß alle Liberalen in Deutschland und Frankreich vor Lachen ersticken sollen. Welche Zeiten! und ach, welche Menschen! Und sie wissen recht gut, daß sie Keinen
anfänglich der alte Goethe ein. Als er die Nach¬ richt von dem Tode ſeines einzigen Sohnes erfuhr, glaubte er ſeinen Schmerz zu mäßigen, wenn er ihn verberge. Er bekam einen Blutſturz davon, der ihn an den Rand des Grabes führte. Ich fürchte, Frankreich bekommt einen Blutſturz. Das Herz wird mir doch manchmal bange bei allen dieſen Geſchich¬ ten. Zwar weiß ich, wer beſiegt wird am Ende; aber wird ein Sieger übrig bleiben? Der Despo¬ tismus, ſo blind er iſt, iſt doch rieſenſtark; und wenn er ſeinen Untergang unvermeidlich ſiehet, wird er, ſeinen Tod zu rächen, wie Simſon, die Säulen der Welt umſtoßen, und mit ſich ſelbſt auch alle ſeine Feinde begraben.
— In Berlin werden ſie noch ganz verrückt vor Angſt und Verzweiflung. Neulich enthielt die preußiſche Staats-Zeitung einen langen Artikel, worin behauptet wird, Preußen ſei eigentlich der wahre republikaniſche Staat; dort wäre der Thron von republikaniſchen Inſtitutionen umgeben, und Frankreich hätte nichts von der Art, und die Franzo¬ ſen ſollten ſich ſchämen, ſolche Knechte zu ſeyn. Ich glaube, es war Malice von der preußiſchen Staats- Zeitung, und ſie hatte es darauf angelegt, daß alle Liberalen in Deutſchland und Frankreich vor Lachen erſticken ſollen. Welche Zeiten! und ach, welche Menſchen! Und ſie wiſſen recht gut, daß ſie Keinen
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anfänglich der alte Goethe ein. Als er die Nach¬
richt von dem Tode ſeines einzigen Sohnes erfuhr,
glaubte er ſeinen Schmerz zu mäßigen, wenn er ihn
verberge. Er bekam einen Blutſturz davon, der ihn
an den Rand des Grabes führte. Ich fürchte,
Frankreich bekommt einen Blutſturz. Das Herz wird
mir doch manchmal bange bei allen dieſen Geſchich¬
ten. Zwar weiß ich, wer beſiegt wird am Ende;
aber wird ein Sieger übrig bleiben? Der Despo¬
tismus, ſo blind er iſt, iſt doch rieſenſtark; und wenn
er ſeinen Untergang unvermeidlich ſiehet, wird er,
ſeinen Tod zu rächen, wie Simſon, die Säulen der
Welt umſtoßen, und mit ſich ſelbſt auch alle ſeine
Feinde begraben.
— In Berlin werden ſie noch ganz verrückt
vor Angſt und Verzweiflung. Neulich enthielt die
preußiſche Staats-Zeitung einen langen Artikel,
worin behauptet wird, Preußen ſei eigentlich der
wahre republikaniſche Staat; dort wäre der Thron
von republikaniſchen Inſtitutionen umgeben, und
Frankreich hätte nichts von der Art, und die Franzo¬
ſen ſollten ſich ſchämen, ſolche Knechte zu ſeyn. Ich
glaube, es war Malice von der preußiſchen Staats-
Zeitung, und ſie hatte es darauf angelegt, daß alle
Liberalen in Deutſchland und Frankreich vor Lachen
erſticken ſollen. Welche Zeiten! und ach, welche
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/93>, abgerufen am 16.07.2024.
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