Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.die Unterlippe in die Höhe und seine heißen stechen¬ die Unterlippe in die Höhe und ſeine heißen ſtechen¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0075" n="61"/> die Unterlippe in die Höhe und ſeine heißen ſtechen¬<lb/> den Augen ſagen: ich kenne euch, ihr Spitzbuben!<lb/> Um Moliere's Stücke recht zu faſſen, muß man ſie<lb/> in Paris aufführen ſehen. Moliere ſpielte ſelbſt,<lb/> und was und wie er ſpielte, das hat ſich bis auf<lb/> heute ſo unverändert auf der Bühne erhalten, als das<lb/> gedruckte Wort im Buche. Seit ich hier Moliere<lb/> aufführen geſehen, bemerkte ich erſt an ſeinen Komö¬<lb/> dien die Haken, die er angebracht, das ſceniſche<lb/> Spiel daran zu hängen, und die ich vor dieſer Er¬<lb/> fahrung gar nicht bemerkt. Und wie vortrefflich wird<lb/> das hier alles dargeſtellt! Das beſte Orcheſter kann<lb/> nicht übereinſtimmender ſpielen. Es iſt etwas Rüh¬<lb/> rendes darin, dieſe alten Kleider, dieſe alten Sitten<lb/> zu ſehen, dieſe alte Späße zu hören, und das un¬<lb/> ſterbliche Gelächter der Franzoſen — ja, es iſt etwas<lb/> Ehrwürdiges darin! Im <hi rendition="#aq">l'étourdi</hi> wird einmal ein<lb/> Nachttopf aus dem Fenſter über den unten ſtehenden<lb/> Liebhaber ausgegoſſen, und als die Zuhörer darüber<lb/> lachten, machte es auf mich eine wahrhaft tragiſche<lb/> Wirkung. Es war kein lebender Spaß, kein Spaß,<lb/> wie er heute noch geboren wird; es war das Ge¬<lb/> ſpenſt eines Spaßes, das einen erſchrecken könnte.<lb/> Der <hi rendition="#aq">Malade imaginaire</hi> iſt gewiß ergötzlich zum<lb/> Leſen; aber man kennt ihn nicht, hat man ihn nicht<lb/> darſtellen ſehen. Dann wird das Spiel die Haupt¬<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [61/0075]
die Unterlippe in die Höhe und ſeine heißen ſtechen¬
den Augen ſagen: ich kenne euch, ihr Spitzbuben!
Um Moliere's Stücke recht zu faſſen, muß man ſie
in Paris aufführen ſehen. Moliere ſpielte ſelbſt,
und was und wie er ſpielte, das hat ſich bis auf
heute ſo unverändert auf der Bühne erhalten, als das
gedruckte Wort im Buche. Seit ich hier Moliere
aufführen geſehen, bemerkte ich erſt an ſeinen Komö¬
dien die Haken, die er angebracht, das ſceniſche
Spiel daran zu hängen, und die ich vor dieſer Er¬
fahrung gar nicht bemerkt. Und wie vortrefflich wird
das hier alles dargeſtellt! Das beſte Orcheſter kann
nicht übereinſtimmender ſpielen. Es iſt etwas Rüh¬
rendes darin, dieſe alten Kleider, dieſe alten Sitten
zu ſehen, dieſe alte Späße zu hören, und das un¬
ſterbliche Gelächter der Franzoſen — ja, es iſt etwas
Ehrwürdiges darin! Im l'étourdi wird einmal ein
Nachttopf aus dem Fenſter über den unten ſtehenden
Liebhaber ausgegoſſen, und als die Zuhörer darüber
lachten, machte es auf mich eine wahrhaft tragiſche
Wirkung. Es war kein lebender Spaß, kein Spaß,
wie er heute noch geboren wird; es war das Ge¬
ſpenſt eines Spaßes, das einen erſchrecken könnte.
Der Malade imaginaire iſt gewiß ergötzlich zum
Leſen; aber man kennt ihn nicht, hat man ihn nicht
darſtellen ſehen. Dann wird das Spiel die Haupt¬
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