empfangen, die ich sehr lächerlich fand und die mich ärgerte. Wie mochte man den Napoleon empfangen haben, wenn er von seinen Siegen heimkehrte? Menschliche Hände ertragen kein stärkeres Klatschen. In ihrer Theatersucht erscheinen mir die Franzosen oft sehr kindisch; denn des Lebens ganzen Ernst wen¬ den und verschwenden sie daran. Es ist ein großes Glück für sie, ihre Seligkeit und für die ganze Welt, daß Freiheit, Vaterlandsliebe, Heldenmuth, Todes¬ verachtung, etwas Theatralisches haben; denn ich glaube, nur um dieses Etwas willen, lieben und üben die Franzosen jene Tugenden. Ihre Theater¬ sucht ist eine wahre Nervenschwäche, sie bekommen Krämpfe, wenn man sie an diesem Punkte reizt. Ein weggelassenes Lied, eine Rollenverwechselung, eine Aenderung der angekündigten Stücke, erregt einen wüthenden Sturm, der gefährlich seyn muß, weil sich selbst die Polizei fürchtet, ihn zu beschwichtigen, oft den ungerechtesten Anmaßungen nachgibt, und nie wagt, eine Gewalt zu gebrauchen, vor der sie sich doch außer dem Theater nicht scheut. Die Franzo¬ sen, sonst im geselligen Leben so höflich, zuvorkom¬ mend, nachsichtlich und versöhnlich, sind im Theater grob, unversöhnlich und bitter. Wer sie auch nur im mindesten, auch ohne Vorsatz und Schuld in ihrer
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empfangen, die ich ſehr lächerlich fand und die mich ärgerte. Wie mochte man den Napoleon empfangen haben, wenn er von ſeinen Siegen heimkehrte? Menſchliche Hände ertragen kein ſtärkeres Klatſchen. In ihrer Theaterſucht erſcheinen mir die Franzoſen oft ſehr kindiſch; denn des Lebens ganzen Ernſt wen¬ den und verſchwenden ſie daran. Es iſt ein großes Glück für ſie, ihre Seligkeit und für die ganze Welt, daß Freiheit, Vaterlandsliebe, Heldenmuth, Todes¬ verachtung, etwas Theatraliſches haben; denn ich glaube, nur um dieſes Etwas willen, lieben und üben die Franzoſen jene Tugenden. Ihre Theater¬ ſucht iſt eine wahre Nervenſchwäche, ſie bekommen Krämpfe, wenn man ſie an dieſem Punkte reizt. Ein weggelaſſenes Lied, eine Rollenverwechſelung, eine Aenderung der angekündigten Stücke, erregt einen wüthenden Sturm, der gefährlich ſeyn muß, weil ſich ſelbſt die Polizei fürchtet, ihn zu beſchwichtigen, oft den ungerechteſten Anmaßungen nachgibt, und nie wagt, eine Gewalt zu gebrauchen, vor der ſie ſich doch außer dem Theater nicht ſcheut. Die Franzo¬ ſen, ſonſt im geſelligen Leben ſo höflich, zuvorkom¬ mend, nachſichtlich und verſöhnlich, ſind im Theater grob, unverſöhnlich und bitter. Wer ſie auch nur im mindeſten, auch ohne Vorſatz und Schuld in ihrer
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empfangen, die ich ſehr lächerlich fand und die mich
ärgerte. Wie mochte man den Napoleon empfangen
haben, wenn er von ſeinen Siegen heimkehrte?
Menſchliche Hände ertragen kein ſtärkeres Klatſchen.
In ihrer Theaterſucht erſcheinen mir die Franzoſen
oft ſehr kindiſch; denn des Lebens ganzen Ernſt wen¬
den und verſchwenden ſie daran. Es iſt ein großes
Glück für ſie, ihre Seligkeit und für die ganze Welt,
daß Freiheit, Vaterlandsliebe, Heldenmuth, Todes¬
verachtung, etwas Theatraliſches haben; denn ich
glaube, nur um dieſes Etwas willen, lieben und
üben die Franzoſen jene Tugenden. Ihre Theater¬
ſucht iſt eine wahre Nervenſchwäche, ſie bekommen
Krämpfe, wenn man ſie an dieſem Punkte reizt. Ein
weggelaſſenes Lied, eine Rollenverwechſelung, eine
Aenderung der angekündigten Stücke, erregt einen
wüthenden Sturm, der gefährlich ſeyn muß, weil ſich
ſelbſt die Polizei fürchtet, ihn zu beſchwichtigen, oft
den ungerechteſten Anmaßungen nachgibt, und nie
wagt, eine Gewalt zu gebrauchen, vor der ſie ſich
doch außer dem Theater nicht ſcheut. Die Franzo¬
ſen, ſonſt im geſelligen Leben ſo höflich, zuvorkom¬
mend, nachſichtlich und verſöhnlich, ſind im Theater
grob, unverſöhnlich und bitter. Wer ſie auch nur
im mindeſten, auch ohne Vorſatz und Schuld in ihrer
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/225>, abgerufen am 16.02.2025.
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