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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.

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Ich war anfänglich ganz verwundert, daß mir die
Oper, ob ich sie zwar zum ersten Male hörte, so
sehr bekannt vorkam. Endlich fiel mir ein, daß ich
die Musik von vorn bis hinten diesen Winter
oft in den Vaudevilles-Theater und auf Bällen ge¬
hört hatte, wo man sie zu leichten Liedern und Tän¬
zen verwendet hatte. Die Poesie ist von Scribe.
Es ist die schöne Legende: der Gott und die
Bajadere
von Göthe, gehörig scribirt. Ich
habe nur immer meine Freude daran, wie leicht sich
meine guten Franzosen das Leben machen. Der
treue und geldschwere Deutsche ist ein Glaubensopfer,
selbst der Kunst, die doch zur Freude geschaffen ist.
Will er schwere Leiden treu malen oder singen,
schleppt er selbst das Kreuz den Berg hinauf, kreu¬
zigt sich und kopirt dann aus dem Spiegel seinen
eigenen Schmerz. Auber und Scribe haben eine
Oper zusammen verfertigt. Die Hauptrolle ist eine
Bajadere; eine Bajadere muß tanzen, ihrem Stande
nach, also muß Demoiselle Taglioni die Hauptrolle
haben Aber die Taglioni kann weder singen noch
sprechen, wie kann man ihr in einer Oper die Haupt¬
rolle geben? Warum nicht? Sie tanzt und
spricht nicht und singt nicht. Aber warum spricht
sie nicht? Ist sie stumm wie das Mädchen von

ll. 14

Ich war anfänglich ganz verwundert, daß mir die
Oper, ob ich ſie zwar zum erſten Male hörte, ſo
ſehr bekannt vorkam. Endlich fiel mir ein, daß ich
die Muſik von vorn bis hinten dieſen Winter
oft in den Vaudevilles-Theater und auf Bällen ge¬
hört hatte, wo man ſie zu leichten Liedern und Tän¬
zen verwendet hatte. Die Poeſie iſt von Scribe.
Es iſt die ſchöne Legende: der Gott und die
Bajadere
von Göthe, gehörig ſcribirt. Ich
habe nur immer meine Freude daran, wie leicht ſich
meine guten Franzoſen das Leben machen. Der
treue und geldſchwere Deutſche iſt ein Glaubensopfer,
ſelbſt der Kunſt, die doch zur Freude geſchaffen iſt.
Will er ſchwere Leiden treu malen oder ſingen,
ſchleppt er ſelbſt das Kreuz den Berg hinauf, kreu¬
zigt ſich und kopirt dann aus dem Spiegel ſeinen
eigenen Schmerz. Auber und Scribe haben eine
Oper zuſammen verfertigt. Die Hauptrolle iſt eine
Bajadere; eine Bajadere muß tanzen, ihrem Stande
nach, alſo muß Demoiſelle Taglioni die Hauptrolle
haben Aber die Taglioni kann weder ſingen noch
ſprechen, wie kann man ihr in einer Oper die Haupt¬
rolle geben? Warum nicht? Sie tanzt und
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ll. 14
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[209/0223] Ich war anfänglich ganz verwundert, daß mir die Oper, ob ich ſie zwar zum erſten Male hörte, ſo ſehr bekannt vorkam. Endlich fiel mir ein, daß ich die Muſik von vorn bis hinten dieſen Winter oft in den Vaudevilles-Theater und auf Bällen ge¬ hört hatte, wo man ſie zu leichten Liedern und Tän¬ zen verwendet hatte. Die Poeſie iſt von Scribe. Es iſt die ſchöne Legende: der Gott und die Bajadere von Göthe, gehörig ſcribirt. Ich habe nur immer meine Freude daran, wie leicht ſich meine guten Franzoſen das Leben machen. Der treue und geldſchwere Deutſche iſt ein Glaubensopfer, ſelbſt der Kunſt, die doch zur Freude geſchaffen iſt. Will er ſchwere Leiden treu malen oder ſingen, ſchleppt er ſelbſt das Kreuz den Berg hinauf, kreu¬ zigt ſich und kopirt dann aus dem Spiegel ſeinen eigenen Schmerz. Auber und Scribe haben eine Oper zuſammen verfertigt. Die Hauptrolle iſt eine Bajadere; eine Bajadere muß tanzen, ihrem Stande nach, alſo muß Demoiſelle Taglioni die Hauptrolle haben Aber die Taglioni kann weder ſingen noch ſprechen, wie kann man ihr in einer Oper die Haupt¬ rolle geben? Warum nicht? Sie tanzt und ſpricht nicht und ſingt nicht. Aber warum ſpricht ſie nicht? Iſt ſie ſtumm wie das Mädchen von ll. 14

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/223>, abgerufen am 30.11.2024.