eines guten Schauspielers, liebte den Putz, und war tapfer wie ein edler Ritter. Dabei ein vortrefflicher Fürst, der sein Land gut regierte und es glücklich ge¬ macht hätte, hätten es die Pfaffen und der heilige Januarius zugegeben. Auf der Bühne geht sein Le¬ ben mit solcher Schnelligkeit an uns vorüber, daß uns schwindelt. Im ersten Acte ist er Zögling in einer geistlichen Schule, in zweiten Husar, im drit¬ ten König, im vierten wird er todt geschossen. Aber wie todt geschossen! Das Kriegsgericht des dum¬ men Ferdinands von Neapel, ein Banditen-Gericht mit Floskeln, verurtheilt Mürat. Er stellt sich vor die Soldaten, kommandirt Feuer und stürzt hin. Das geschieht wie die wahre Geschichte im Zimmer. Man wagte es nicht im Freien, Gott sollte es nicht sehen. Es ist entsetztlich! Die Pariser Melodra¬ men-Dichter sind wahre Kannibalen, Menschenfresser, sie reißen einem das Herz aus dem Leibe. Das Ohr kann nicht gerührt werden von solchem dummen Zeug; aber die Augen müssen doch weinen, wenn sie offen sind. Lustig ist der erste Act, wo Mürat im Semi¬ narium als junger Abbe auftritt. Ganz schwarz un¬ ter lauter schwarzen Kameraden, blickt Mürats rosen¬ rothes lebensvolles Gesicht, aus der dunkeln Kleidung gar angenehm hervor, Himmel! was werden da für Streiche gespielt, von den alten und von den jungen Geistlichen, von den heimlichen und von den öffent¬
eines guten Schauſpielers, liebte den Putz, und war tapfer wie ein edler Ritter. Dabei ein vortrefflicher Fürſt, der ſein Land gut regierte und es glücklich ge¬ macht hätte, hätten es die Pfaffen und der heilige Januarius zugegeben. Auf der Bühne geht ſein Le¬ ben mit ſolcher Schnelligkeit an uns vorüber, daß uns ſchwindelt. Im erſten Acte iſt er Zögling in einer geiſtlichen Schule, in zweiten Huſar, im drit¬ ten König, im vierten wird er todt geſchoſſen. Aber wie todt geſchoſſen! Das Kriegsgericht des dum¬ men Ferdinands von Neapel, ein Banditen-Gericht mit Floskeln, verurtheilt Mürat. Er ſtellt ſich vor die Soldaten, kommandirt Feuer und ſtürzt hin. Das geſchieht wie die wahre Geſchichte im Zimmer. Man wagte es nicht im Freien, Gott ſollte es nicht ſehen. Es iſt entſetztlich! Die Pariſer Melodra¬ men-Dichter ſind wahre Kannibalen, Menſchenfreſſer, ſie reißen einem das Herz aus dem Leibe. Das Ohr kann nicht gerührt werden von ſolchem dummen Zeug; aber die Augen müſſen doch weinen, wenn ſie offen ſind. Luſtig iſt der erſte Act, wo Mürat im Semi¬ narium als junger Abbé auftritt. Ganz ſchwarz un¬ ter lauter ſchwarzen Kameraden, blickt Mürats roſen¬ rothes lebensvolles Geſicht, aus der dunkeln Kleidung gar angenehm hervor, Himmel! was werden da für Streiche geſpielt, von den alten und von den jungen Geiſtlichen, von den heimlichen und von den öffent¬
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eines guten Schauſpielers, liebte den Putz, und war
tapfer wie ein edler Ritter. Dabei ein vortrefflicher
Fürſt, der ſein Land gut regierte und es glücklich ge¬
macht hätte, hätten es die Pfaffen und der heilige
Januarius zugegeben. Auf der Bühne geht ſein Le¬
ben mit ſolcher Schnelligkeit an uns vorüber, daß
uns ſchwindelt. Im erſten Acte iſt er Zögling in
einer geiſtlichen Schule, in zweiten Huſar, im drit¬
ten König, im vierten wird er todt geſchoſſen. Aber
wie todt geſchoſſen! Das Kriegsgericht des dum¬
men Ferdinands von Neapel, ein Banditen-Gericht
mit Floskeln, verurtheilt Mürat. Er ſtellt ſich vor
die Soldaten, kommandirt Feuer und ſtürzt hin. Das
geſchieht wie die wahre Geſchichte im Zimmer.
Man wagte es nicht im Freien, Gott ſollte es nicht
ſehen. Es iſt entſetztlich! Die Pariſer Melodra¬
men-Dichter ſind wahre Kannibalen, Menſchenfreſſer,
ſie reißen einem das Herz aus dem Leibe. Das Ohr
kann nicht gerührt werden von ſolchem dummen Zeug;
aber die Augen müſſen doch weinen, wenn ſie offen
ſind. Luſtig iſt der erſte Act, wo Mürat im Semi¬
narium als junger Abbé auftritt. Ganz ſchwarz un¬
ter lauter ſchwarzen Kameraden, blickt Mürats roſen¬
rothes lebensvolles Geſicht, aus der dunkeln Kleidung
gar angenehm hervor, Himmel! was werden da für
Streiche geſpielt, von den alten und von den jungen
Geiſtlichen, von den heimlichen und von den öffent¬
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/169>, abgerufen am 15.08.2024.
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