Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

gar zu schlecht gespielt, und ich konnte es nicht zu
Ende sehen. Die Misgestalt Mayeux's wurde so
karrikirt, daß sie widerlich wurde. Auch ein Bu¬
ckel hat seine ästhetischen Regeln, die man nicht über¬
treten darf. Was mich in diesem Theater am mei¬
sten ergötzt, war der Jubel der hundert Kinder in
ihren weißen Häubchen, und deren Mütter, und die
tausend Küsse den ganzen Abend, und die unzähligen
Stangen Gerstenzucker, die der Conditorjunge absetzt.
Aber wie kömmt es, daß auch Kinder lachen, gleich
den Erwachsenen, sie, denen doch noch alles ernst und
wahr erscheint; und die keinen Widerspruch und kei¬
nen Zufall unterscheiden? Ich begreife das nicht.
Es hat gewiß seine Erklärung; aber ich als Gelehr¬
ter darf das vergessen haben. Doch Sie, unwissende
Freundin, müssen es wissen. Erklären Sie mir,
warum Kinder lachen?

-- Bald wird das Eis überall brechen, nach
und nach, und es wird eine tolle Wirthschaft geben.
Ich sehe es für ein Glück an, daß jetzt eine so feind¬
liche Spannung zwischen der französischen Kammer
und der Regierung eingetreten ist, daß ein gefährli¬
ches Mißbehagen sich im ganzen Lande zeigt; denn
Frankreich kann nur durch einen Krieg von innerem
Verderben gerettet werden. Es mögen entscheidende
Dinge sich bereiten.

Die englischen Blätter, die nicht blos vernünf¬

gar zu ſchlecht geſpielt, und ich konnte es nicht zu
Ende ſehen. Die Misgeſtalt Mayeux's wurde ſo
karrikirt, daß ſie widerlich wurde. Auch ein Bu¬
ckel hat ſeine äſthetiſchen Regeln, die man nicht über¬
treten darf. Was mich in dieſem Theater am mei¬
ſten ergötzt, war der Jubel der hundert Kinder in
ihren weißen Häubchen, und deren Mütter, und die
tauſend Küſſe den ganzen Abend, und die unzähligen
Stangen Gerſtenzucker, die der Conditorjunge abſetzt.
Aber wie kömmt es, daß auch Kinder lachen, gleich
den Erwachſenen, ſie, denen doch noch alles ernſt und
wahr erſcheint; und die keinen Widerſpruch und kei¬
nen Zufall unterſcheiden? Ich begreife das nicht.
Es hat gewiß ſeine Erklärung; aber ich als Gelehr¬
ter darf das vergeſſen haben. Doch Sie, unwiſſende
Freundin, müſſen es wiſſen. Erklären Sie mir,
warum Kinder lachen?

— Bald wird das Eis überall brechen, nach
und nach, und es wird eine tolle Wirthſchaft geben.
Ich ſehe es für ein Glück an, daß jetzt eine ſo feind¬
liche Spannung zwiſchen der franzöſiſchen Kammer
und der Regierung eingetreten iſt, daß ein gefährli¬
ches Mißbehagen ſich im ganzen Lande zeigt; denn
Frankreich kann nur durch einen Krieg von innerem
Verderben gerettet werden. Es mögen entſcheidende
Dinge ſich bereiten.

Die engliſchen Blätter, die nicht blos vernünf¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0117" n="103"/>
gar zu &#x017F;chlecht ge&#x017F;pielt, und ich konnte es nicht zu<lb/>
Ende &#x017F;ehen. Die Misge&#x017F;talt Mayeux's wurde &#x017F;o<lb/>
karrikirt, daß &#x017F;ie widerlich wurde. Auch ein Bu¬<lb/>
ckel hat &#x017F;eine ä&#x017F;theti&#x017F;chen Regeln, die man nicht über¬<lb/>
treten darf. Was mich in die&#x017F;em Theater am mei¬<lb/>
&#x017F;ten ergötzt, war der Jubel der hundert Kinder in<lb/>
ihren weißen Häubchen, und deren Mütter, und die<lb/>
tau&#x017F;end Kü&#x017F;&#x017F;e den ganzen Abend, und die unzähligen<lb/>
Stangen Ger&#x017F;tenzucker, die der Conditorjunge ab&#x017F;etzt.<lb/>
Aber wie kömmt es, daß auch Kinder lachen, gleich<lb/>
den Erwach&#x017F;enen, &#x017F;ie, denen doch noch alles ern&#x017F;t und<lb/>
wahr er&#x017F;cheint; und die keinen Wider&#x017F;pruch und kei¬<lb/>
nen Zufall unter&#x017F;cheiden? Ich begreife das nicht.<lb/>
Es hat gewiß &#x017F;eine Erklärung; aber ich als Gelehr¬<lb/>
ter darf das verge&#x017F;&#x017F;en haben. Doch Sie, unwi&#x017F;&#x017F;ende<lb/>
Freundin, mü&#x017F;&#x017F;en es wi&#x017F;&#x017F;en. Erklären Sie mir,<lb/>
warum Kinder lachen?</p><lb/>
          <p>&#x2014; Bald wird das Eis überall brechen, nach<lb/>
und nach, und es wird eine tolle Wirth&#x017F;chaft geben.<lb/>
Ich &#x017F;ehe es für ein Glück an, daß jetzt eine &#x017F;o feind¬<lb/>
liche Spannung zwi&#x017F;chen der franzö&#x017F;i&#x017F;chen Kammer<lb/>
und der Regierung eingetreten i&#x017F;t, daß ein gefährli¬<lb/>
ches Mißbehagen &#x017F;ich im ganzen Lande zeigt; denn<lb/>
Frankreich kann nur durch einen Krieg von innerem<lb/>
Verderben gerettet werden. Es mögen ent&#x017F;cheidende<lb/>
Dinge &#x017F;ich bereiten.</p><lb/>
          <p>Die engli&#x017F;chen Blätter, die nicht blos vernünf¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0117] gar zu ſchlecht geſpielt, und ich konnte es nicht zu Ende ſehen. Die Misgeſtalt Mayeux's wurde ſo karrikirt, daß ſie widerlich wurde. Auch ein Bu¬ ckel hat ſeine äſthetiſchen Regeln, die man nicht über¬ treten darf. Was mich in dieſem Theater am mei¬ ſten ergötzt, war der Jubel der hundert Kinder in ihren weißen Häubchen, und deren Mütter, und die tauſend Küſſe den ganzen Abend, und die unzähligen Stangen Gerſtenzucker, die der Conditorjunge abſetzt. Aber wie kömmt es, daß auch Kinder lachen, gleich den Erwachſenen, ſie, denen doch noch alles ernſt und wahr erſcheint; und die keinen Widerſpruch und kei¬ nen Zufall unterſcheiden? Ich begreife das nicht. Es hat gewiß ſeine Erklärung; aber ich als Gelehr¬ ter darf das vergeſſen haben. Doch Sie, unwiſſende Freundin, müſſen es wiſſen. Erklären Sie mir, warum Kinder lachen? — Bald wird das Eis überall brechen, nach und nach, und es wird eine tolle Wirthſchaft geben. Ich ſehe es für ein Glück an, daß jetzt eine ſo feind¬ liche Spannung zwiſchen der franzöſiſchen Kammer und der Regierung eingetreten iſt, daß ein gefährli¬ ches Mißbehagen ſich im ganzen Lande zeigt; denn Frankreich kann nur durch einen Krieg von innerem Verderben gerettet werden. Es mögen entſcheidende Dinge ſich bereiten. Die engliſchen Blätter, die nicht blos vernünf¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/117
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/117>, abgerufen am 22.11.2024.