Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

werden soll. Sie hören die wunderlichen Reden des
Soldaten, werden argwöhnisch, und dringen in ihn,
zu erklären, wer von ihnen eine Frau und seine Ehe¬
hälfte wäre. Der Soldat bekömmt einen verstohle¬
nen Wink von Johanna, den er versteht. Er stürtzt
mit ausgebreiteten Armen auf den ältesten und gar¬
stigsten Cardinal los, fällt ihm um den Hals, küßt
ihn und schreit: "Du bist meine Frau! Kennst Du
mich nicht mehr liebe Sophie?" Die andern Car¬
dinale stellen sich als glaubten sie das, denn gerade
derjenige von ihnen, den sich der Reiter zur Frau
gewählt, hat die meiste Aussicht, Papst zu werden,
und sie möchten ihn beseitigen. Sie sperren den
Verräther ein, und eilen in das Conclave, wo Jo¬
hanna zum Papst gewählt wird. Der heilige Vater
und die Cardinäle singen die schönsten und erbaulich¬
sten
Lieder, der Kreuz-Soldat wird zum Haupt¬
mann der päpstlichen Leibwache ernannt, und die Ge¬
schichte ist aus. Nutzanwendung: Wer den Schaden
hat, braucht nicht für den Spott zu sorgen.

Das zweite Stück war Joachim Mürat,
König von Neapel, eine Biographie mit Musik und
Dekorationen. Die dramatische Kunst, wenn hier je
nach so etwas gefragt werden darf, hatte dabei nicht
die geringste Arbeit; man brauchte blos die Erinne¬
rung auszustopfen, und Mürat stand da, wie er
lebte. Er war ein schöner Mann, hatte den Anstand

werden ſoll. Sie hören die wunderlichen Reden des
Soldaten, werden argwöhniſch, und dringen in ihn,
zu erklären, wer von ihnen eine Frau und ſeine Ehe¬
hälfte wäre. Der Soldat bekömmt einen verſtohle¬
nen Wink von Johanna, den er verſteht. Er ſtürtzt
mit ausgebreiteten Armen auf den älteſten und gar¬
ſtigſten Cardinal los, fällt ihm um den Hals, küßt
ihn und ſchreit: „Du biſt meine Frau! Kennſt Du
mich nicht mehr liebe Sophie?“ Die andern Car¬
dinale ſtellen ſich als glaubten ſie das, denn gerade
derjenige von ihnen, den ſich der Reiter zur Frau
gewählt, hat die meiſte Ausſicht, Papſt zu werden,
und ſie möchten ihn beſeitigen. Sie ſperren den
Verräther ein, und eilen in das Conclave, wo Jo¬
hanna zum Papſt gewählt wird. Der heilige Vater
und die Cardinäle ſingen die ſchönſten und erbaulich¬
ſten
Lieder, der Kreuz-Soldat wird zum Haupt¬
mann der päpſtlichen Leibwache ernannt, und die Ge¬
ſchichte iſt aus. Nutzanwendung: Wer den Schaden
hat, braucht nicht für den Spott zu ſorgen.

Das zweite Stück war Joachim Mürat,
König von Neapel, eine Biographie mit Muſik und
Dekorationen. Die dramatiſche Kunſt, wenn hier je
nach ſo etwas gefragt werden darf, hatte dabei nicht
die geringſte Arbeit; man brauchte blos die Erinne¬
rung auszuſtopfen, und Mürat ſtand da, wie er
lebte. Er war ein ſchöner Mann, hatte den Anſtand

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0168" n="154"/>
werden &#x017F;oll. Sie hören die wunderlichen Reden des<lb/>
Soldaten, werden argwöhni&#x017F;ch, und dringen in ihn,<lb/>
zu erklären, wer von ihnen eine Frau und &#x017F;eine Ehe¬<lb/>
hälfte wäre. Der Soldat bekömmt einen ver&#x017F;tohle¬<lb/>
nen Wink von Johanna, den er ver&#x017F;teht. Er &#x017F;türtzt<lb/>
mit ausgebreiteten Armen auf den älte&#x017F;ten und gar¬<lb/>
&#x017F;tig&#x017F;ten Cardinal los, fällt ihm um den Hals, küßt<lb/>
ihn und &#x017F;chreit: &#x201E;Du bi&#x017F;t meine Frau! Kenn&#x017F;t Du<lb/>
mich nicht mehr liebe Sophie?&#x201C; Die andern Car¬<lb/>
dinale &#x017F;tellen &#x017F;ich als glaubten &#x017F;ie das, denn gerade<lb/>
derjenige von ihnen, den &#x017F;ich der Reiter zur Frau<lb/>
gewählt, hat die mei&#x017F;te Aus&#x017F;icht, Pap&#x017F;t zu werden,<lb/>
und &#x017F;ie möchten ihn be&#x017F;eitigen. Sie &#x017F;perren den<lb/>
Verräther ein, und eilen in das Conclave, wo Jo¬<lb/>
hanna zum Pap&#x017F;t gewählt wird. Der heilige Vater<lb/>
und die Cardinäle &#x017F;ingen die &#x017F;chön&#x017F;ten und <choice><sic>erbaulich¬<lb/>
lich&#x017F;ten</sic><corr>erbaulich¬<lb/>
&#x017F;ten</corr></choice> Lieder, der Kreuz-Soldat wird zum Haupt¬<lb/>
mann der päp&#x017F;tlichen Leibwache ernannt, und die Ge¬<lb/>
&#x017F;chichte i&#x017F;t aus. Nutzanwendung: Wer den Schaden<lb/>
hat, braucht nicht für den Spott zu &#x017F;orgen.</p><lb/>
          <p>Das zweite Stück war <hi rendition="#g">Joachim Mürat</hi>,<lb/>
König von Neapel, eine Biographie mit Mu&#x017F;ik und<lb/>
Dekorationen. Die dramati&#x017F;che Kun&#x017F;t, wenn hier je<lb/>
nach &#x017F;o etwas gefragt werden darf, hatte dabei nicht<lb/>
die gering&#x017F;te Arbeit; man brauchte blos die Erinne¬<lb/>
rung auszu&#x017F;topfen, und Mürat &#x017F;tand da, wie er<lb/>
lebte. Er war ein &#x017F;chöner Mann, hatte den An&#x017F;tand<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0168] werden ſoll. Sie hören die wunderlichen Reden des Soldaten, werden argwöhniſch, und dringen in ihn, zu erklären, wer von ihnen eine Frau und ſeine Ehe¬ hälfte wäre. Der Soldat bekömmt einen verſtohle¬ nen Wink von Johanna, den er verſteht. Er ſtürtzt mit ausgebreiteten Armen auf den älteſten und gar¬ ſtigſten Cardinal los, fällt ihm um den Hals, küßt ihn und ſchreit: „Du biſt meine Frau! Kennſt Du mich nicht mehr liebe Sophie?“ Die andern Car¬ dinale ſtellen ſich als glaubten ſie das, denn gerade derjenige von ihnen, den ſich der Reiter zur Frau gewählt, hat die meiſte Ausſicht, Papſt zu werden, und ſie möchten ihn beſeitigen. Sie ſperren den Verräther ein, und eilen in das Conclave, wo Jo¬ hanna zum Papſt gewählt wird. Der heilige Vater und die Cardinäle ſingen die ſchönſten und erbaulich¬ ſten Lieder, der Kreuz-Soldat wird zum Haupt¬ mann der päpſtlichen Leibwache ernannt, und die Ge¬ ſchichte iſt aus. Nutzanwendung: Wer den Schaden hat, braucht nicht für den Spott zu ſorgen. Das zweite Stück war Joachim Mürat, König von Neapel, eine Biographie mit Muſik und Dekorationen. Die dramatiſche Kunſt, wenn hier je nach ſo etwas gefragt werden darf, hatte dabei nicht die geringſte Arbeit; man brauchte blos die Erinne¬ rung auszuſtopfen, und Mürat ſtand da, wie er lebte. Er war ein ſchöner Mann, hatte den Anſtand

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/168
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/168>, abgerufen am 29.11.2024.