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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

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vorher noch so friedlich durch die Adern floß, heftig
zu stürmen an, und ich verwünschte mein Geschick,
das mich verurtheilte jeden Schmerz verdampfen zu
lassen wie eine heiße Suppe und ihn dann löffelweise
hinunter zu schlucken. Wie glücklich ist der Kämpfer
in der Schlacht, der seinen Schmerz, seinen Zorn
kann ausbluten lassen und der keine andere Schwäche
fühlt als die dem Gebrauche der Kraft nachfolgt!

Es war eine Todtesfeier für jene vier Unter-
Officiere, welche in der Verschwörung von Berton
der Gewalt in die Hände gefallen und als wehrlose
Gefangene ermordert wurden. Heute vor acht Jah¬
ren wurden sie auf dem Greve-Platz niedergemetzelt,
und weil es ein Mord mit Floskeln war, nannte
man es eine Hinrichtung. Abends war Concert bei
Hofe. Es ist zum rasend werden! Acht Jahre sind
es erst und schon hat sich in Tugend umgewandelt,
was damals für Verbrechen galt. Wenn man, wie
es die Menschlichkeit und das Kriegsrecht will, auch
die im Freiheitskampfe Besiegten in Gefangenschaft
behielte, statt sie zu tödten, dann lebten jene unglück¬
lichen Jünglinge noch. Mit welchem Siegesjubel
wäre ihr Kerker geöffnet worden, mit welchem Ent¬
zücken hätten sie das Licht, die Luft der Freiheit
begrüßt! Könige sind schnell, weil sie wissen, daß
es keine Ewigkeit gibt für sie, und Völker sind lang¬
sam, weil sie wissen, daß sie ewig dauern. Hier

vorher noch ſo friedlich durch die Adern floß, heftig
zu ſtürmen an, und ich verwünſchte mein Geſchick,
das mich verurtheilte jeden Schmerz verdampfen zu
laſſen wie eine heiße Suppe und ihn dann löffelweiſe
hinunter zu ſchlucken. Wie glücklich iſt der Kämpfer
in der Schlacht, der ſeinen Schmerz, ſeinen Zorn
kann ausbluten laſſen und der keine andere Schwäche
fühlt als die dem Gebrauche der Kraft nachfolgt!

Es war eine Todtesfeier für jene vier Unter-
Officiere, welche in der Verſchwörung von Berton
der Gewalt in die Hände gefallen und als wehrloſe
Gefangene ermordert wurden. Heute vor acht Jah¬
ren wurden ſie auf dem Greve-Platz niedergemetzelt,
und weil es ein Mord mit Floskeln war, nannte
man es eine Hinrichtung. Abends war Concert bei
Hofe. Es iſt zum raſend werden! Acht Jahre ſind
es erſt und ſchon hat ſich in Tugend umgewandelt,
was damals für Verbrechen galt. Wenn man, wie
es die Menſchlichkeit und das Kriegsrecht will, auch
die im Freiheitskampfe Beſiegten in Gefangenſchaft
behielte, ſtatt ſie zu tödten, dann lebten jene unglück¬
lichen Jünglinge noch. Mit welchem Siegesjubel
wäre ihr Kerker geöffnet worden, mit welchem Ent¬
zücken hätten ſie das Licht, die Luft der Freiheit
begrüßt! Könige ſind ſchnell, weil ſie wiſſen, daß
es keine Ewigkeit gibt für ſie, und Völker ſind lang¬
ſam, weil ſie wiſſen, daß ſie ewig dauern. Hier

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[48/0062] vorher noch ſo friedlich durch die Adern floß, heftig zu ſtürmen an, und ich verwünſchte mein Geſchick, das mich verurtheilte jeden Schmerz verdampfen zu laſſen wie eine heiße Suppe und ihn dann löffelweiſe hinunter zu ſchlucken. Wie glücklich iſt der Kämpfer in der Schlacht, der ſeinen Schmerz, ſeinen Zorn kann ausbluten laſſen und der keine andere Schwäche fühlt als die dem Gebrauche der Kraft nachfolgt! Es war eine Todtesfeier für jene vier Unter- Officiere, welche in der Verſchwörung von Berton der Gewalt in die Hände gefallen und als wehrloſe Gefangene ermordert wurden. Heute vor acht Jah¬ ren wurden ſie auf dem Greve-Platz niedergemetzelt, und weil es ein Mord mit Floskeln war, nannte man es eine Hinrichtung. Abends war Concert bei Hofe. Es iſt zum raſend werden! Acht Jahre ſind es erſt und ſchon hat ſich in Tugend umgewandelt, was damals für Verbrechen galt. Wenn man, wie es die Menſchlichkeit und das Kriegsrecht will, auch die im Freiheitskampfe Beſiegten in Gefangenſchaft behielte, ſtatt ſie zu tödten, dann lebten jene unglück¬ lichen Jünglinge noch. Mit welchem Siegesjubel wäre ihr Kerker geöffnet worden, mit welchem Ent¬ zücken hätten ſie das Licht, die Luft der Freiheit begrüßt! Könige ſind ſchnell, weil ſie wiſſen, daß es keine Ewigkeit gibt für ſie, und Völker ſind lang¬ ſam, weil ſie wiſſen, daß ſie ewig dauern. Hier

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/62>, abgerufen am 17.05.2024.