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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

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medicinischen und chirurgischen Handbüchern hätten
von den Anwesenden 7000 Menschen 2000 ersticken,
2000 erdrückt werden und die drei übrigen Tausend
mehr oder weniger krank werden müssen. Doch von
dem allen ist nichts geschehen, und die 7000 leben
sämmtlich noch. Von den Weibern begreife ich
das; die erhält auf jedem Balle die Religion, der
Märtyrerglaube, der den Körper ganz unempfindlich
macht und wie vernichtet. Aber wie hielten es die
Männer aus? Es hatte keiner mehr Platz und Luft
als in einem Sarge. Die Franzosen müssen mit
Springfedern gefüttert seyn. Aber es ist wahr, der
Anblick war herrlich, bezaubernd, es war ein Mähr¬
chen aus Tausend und eine Nacht. Dieser sonnen¬
helle Lichterglanz, dieses strahlende Farbengemisch
von Gold, Silber und Seide, von Weibern, Kry¬
stall und Blumen, und das Alles mit so viel Sinn
und Kunst angeordnet, daß es das Auge erquickte
und nicht blendete, und die Musik dazwischen, wie
hinein gestickt in den großen Teppich, eins damit --
es war zu schön. Das Parterre verlängert durch
die Bühne, hatte Reihen von Bänken, auf welchen
die Damen saßen, oder hinter Balustraden an den
Wänden herum. Zwischen schmalen Gassen bewegten
sich die dunkeln Männer, oder (sollte ich sagen) zog
der Mann; denn sie waren alle wie zusammen¬

mediciniſchen und chirurgiſchen Handbüchern hätten
von den Anweſenden 7000 Menſchen 2000 erſticken,
2000 erdrückt werden und die drei übrigen Tauſend
mehr oder weniger krank werden müſſen. Doch von
dem allen iſt nichts geſchehen, und die 7000 leben
ſämmtlich noch. Von den Weibern begreife ich
das; die erhält auf jedem Balle die Religion, der
Märtyrerglaube, der den Körper ganz unempfindlich
macht und wie vernichtet. Aber wie hielten es die
Männer aus? Es hatte keiner mehr Platz und Luft
als in einem Sarge. Die Franzoſen müſſen mit
Springfedern gefüttert ſeyn. Aber es iſt wahr, der
Anblick war herrlich, bezaubernd, es war ein Mähr¬
chen aus Tauſend und eine Nacht. Dieſer ſonnen¬
helle Lichterglanz, dieſes ſtrahlende Farbengemiſch
von Gold, Silber und Seide, von Weibern, Kry¬
ſtall und Blumen, und das Alles mit ſo viel Sinn
und Kunſt angeordnet, daß es das Auge erquickte
und nicht blendete, und die Muſik dazwiſchen, wie
hinein geſtickt in den großen Teppich, eins damit —
es war zu ſchön. Das Parterre verlängert durch
die Bühne, hatte Reihen von Bänken, auf welchen
die Damen ſaßen, oder hinter Baluſtraden an den
Wänden herum. Zwiſchen ſchmalen Gaſſen bewegten
ſich die dunkeln Männer, oder (ſollte ich ſagen) zog
der Mann; denn ſie waren alle wie zuſammen¬

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[224/0238] mediciniſchen und chirurgiſchen Handbüchern hätten von den Anweſenden 7000 Menſchen 2000 erſticken, 2000 erdrückt werden und die drei übrigen Tauſend mehr oder weniger krank werden müſſen. Doch von dem allen iſt nichts geſchehen, und die 7000 leben ſämmtlich noch. Von den Weibern begreife ich das; die erhält auf jedem Balle die Religion, der Märtyrerglaube, der den Körper ganz unempfindlich macht und wie vernichtet. Aber wie hielten es die Männer aus? Es hatte keiner mehr Platz und Luft als in einem Sarge. Die Franzoſen müſſen mit Springfedern gefüttert ſeyn. Aber es iſt wahr, der Anblick war herrlich, bezaubernd, es war ein Mähr¬ chen aus Tauſend und eine Nacht. Dieſer ſonnen¬ helle Lichterglanz, dieſes ſtrahlende Farbengemiſch von Gold, Silber und Seide, von Weibern, Kry¬ ſtall und Blumen, und das Alles mit ſo viel Sinn und Kunſt angeordnet, daß es das Auge erquickte und nicht blendete, und die Muſik dazwiſchen, wie hinein geſtickt in den großen Teppich, eins damit — es war zu ſchön. Das Parterre verlängert durch die Bühne, hatte Reihen von Bänken, auf welchen die Damen ſaßen, oder hinter Baluſtraden an den Wänden herum. Zwiſchen ſchmalen Gaſſen bewegten ſich die dunkeln Männer, oder (ſollte ich ſagen) zog der Mann; denn ſie waren alle wie zuſammen¬

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/238>, abgerufen am 18.06.2024.