zaubervolle Lächeln, das man trinkt und trinkt und nie berauscht wird; und so ohne alle Tücke, man siehet es, sie will ihren alten Vormund einen Tag betrügen, nur um ihn nicht Jahre lang betrügen zu müssen; so ohne alles Streben zu gefallen! Kein Hauch von Koketterie an der Malibran. Wäre es aber doch, käme ihr Zauberlächeln nicht aus der Seele, -- dann seid ihr Weiber fürchterliche Ge¬ schöpfe. Ihr Gesang! Er kam aus dem Herzen des Herzens. Ich mußte mich daran erinnern, ge¬ recht zu seyn, um mich zu erinnern, daß die Sontag eben so schön gesungen. Ich will Kenner fragen, die Beide gehört. Aber das will ich verbürgen: die Sontag singt schön, weil sie gefallen will, und die Malibran gefällt, weil sie schön singt. ... Ich werde sparen, und reicht das nicht hin, werde ich stehlen, und reicht das nicht hin, werde ich rauben, und reicht das nicht hin, werde ich in die Didaskalia schreiben; aber ich versäume die Malibran nicht mehr, so lange ich hier bin. Zwölf Franken kostet mich mein Platz, den vornächsten zu ihr, den man haben kann. Ehe ich die Malibran gehört, ahndete ich gar nicht, daß ein musikalischer Vortrag auch genia¬ lisch seyn könne; ich dachte der Gesang stände im Dienste der Composition, und wie der Herr so der Diener. Aber nein. Aus der Spielerei Rossinischer Musik machte die Malibran etwas sehr Ernstes, sehr
zaubervolle Lächeln, das man trinkt und trinkt und nie berauſcht wird; und ſo ohne alle Tücke, man ſiehet es, ſie will ihren alten Vormund einen Tag betrügen, nur um ihn nicht Jahre lang betrügen zu müſſen; ſo ohne alles Streben zu gefallen! Kein Hauch von Koketterie an der Malibran. Wäre es aber doch, käme ihr Zauberlächeln nicht aus der Seele, — dann ſeid ihr Weiber fürchterliche Ge¬ ſchöpfe. Ihr Geſang! Er kam aus dem Herzen des Herzens. Ich mußte mich daran erinnern, ge¬ recht zu ſeyn, um mich zu erinnern, daß die Sontag eben ſo ſchön geſungen. Ich will Kenner fragen, die Beide gehört. Aber das will ich verbürgen: die Sontag ſingt ſchön, weil ſie gefallen will, und die Malibran gefällt, weil ſie ſchön ſingt. ... Ich werde ſparen, und reicht das nicht hin, werde ich ſtehlen, und reicht das nicht hin, werde ich rauben, und reicht das nicht hin, werde ich in die Didaskalia ſchreiben; aber ich verſäume die Malibran nicht mehr, ſo lange ich hier bin. Zwölf Franken koſtet mich mein Platz, den vornächſten zu ihr, den man haben kann. Ehe ich die Malibran gehört, ahndete ich gar nicht, daß ein muſikaliſcher Vortrag auch genia¬ liſch ſeyn könne; ich dachte der Geſang ſtände im Dienſte der Compoſition, und wie der Herr ſo der Diener. Aber nein. Aus der Spielerei Roſſiniſcher Muſik machte die Malibran etwas ſehr Ernſtes, ſehr
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zaubervolle Lächeln, das man trinkt und trinkt und
nie berauſcht wird; und ſo ohne alle Tücke, man
ſiehet es, ſie will ihren alten Vormund einen Tag
betrügen, nur um ihn nicht Jahre lang betrügen zu
müſſen; ſo ohne alles Streben zu gefallen! Kein
Hauch von Koketterie an der Malibran. Wäre es
aber doch, käme ihr Zauberlächeln nicht aus der
Seele, — dann ſeid ihr Weiber fürchterliche Ge¬
ſchöpfe. Ihr Geſang! Er kam aus dem Herzen
des Herzens. Ich mußte mich daran erinnern, ge¬
recht zu ſeyn, um mich zu erinnern, daß die Sontag
eben ſo ſchön geſungen. Ich will Kenner fragen, die
Beide gehört. Aber das will ich verbürgen: die
Sontag ſingt ſchön, weil ſie gefallen will, und die
Malibran gefällt, weil ſie ſchön ſingt. ... Ich
werde ſparen, und reicht das nicht hin, werde ich
ſtehlen, und reicht das nicht hin, werde ich rauben,
und reicht das nicht hin, werde ich in die Didaskalia
ſchreiben; aber ich verſäume die Malibran nicht mehr,
ſo lange ich hier bin. Zwölf Franken koſtet mich
mein Platz, den vornächſten zu ihr, den man haben
kann. Ehe ich die Malibran gehört, ahndete ich
gar nicht, daß ein muſikaliſcher Vortrag auch genia¬
liſch ſeyn könne; ich dachte der Geſang ſtände im
Dienſte der Compoſition, und wie der Herr ſo der
Diener. Aber nein. Aus der Spielerei Roſſiniſcher
Muſik machte die Malibran etwas ſehr Ernſtes, ſehr
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/214>, abgerufen am 27.07.2024.
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