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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

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Wenn Sie mir es nicht glauben werden, daß
ich gestern drei Stunden im Theater gesessen, und
mit himmlischer Geduld Minna von Barnhelm bis
zu Ende gesehen -- bin ich gar nicht böse darüber.
Aber das Unwahrscheinlichste ist manchmal wahr.
Auf der Reise kann ich alles vertragen.

Die Theaterwache in Darmstadt war gewiß
funfzig Mann stark. Ich glaube auf je zwei Zu¬
schauer war ein Soldat gerechnet. Noch viel zu
wenig in solcher tollen Zeit. Und diesen Morgen
um sechs Uhr zogen einige Schwadronen Reiter an
meinem Fenster vorüber und trompeteten mich, und
alle Kinder, und alle Greise, und alle Kranken, und
alle süßträumenden Mädchen aus dem Schlafe. Das
geschieht wohl jeden Tag. Diese kleinen deutschen
Fürsten in ihren Nußschal-Residenzen sind gerüstet
und gestachelt wie die wilden Kastanien. Wie froh
bin ich, daß ich aus dem Lande gehe.

Adieu, Adieu. Und schreiben Sie mir es nur
auf der Stelle, so oft bei uns eine schöne Dumm¬
heit vorfällt.


1 *

Wenn Sie mir es nicht glauben werden, daß
ich geſtern drei Stunden im Theater geſeſſen, und
mit himmliſcher Geduld Minna von Barnhelm bis
zu Ende geſehen — bin ich gar nicht böſe darüber.
Aber das Unwahrſcheinlichſte iſt manchmal wahr.
Auf der Reiſe kann ich alles vertragen.

Die Theaterwache in Darmſtadt war gewiß
funfzig Mann ſtark. Ich glaube auf je zwei Zu¬
ſchauer war ein Soldat gerechnet. Noch viel zu
wenig in ſolcher tollen Zeit. Und dieſen Morgen
um ſechs Uhr zogen einige Schwadronen Reiter an
meinem Fenſter vorüber und trompeteten mich, und
alle Kinder, und alle Greiſe, und alle Kranken, und
alle ſüßträumenden Mädchen aus dem Schlafe. Das
geſchieht wohl jeden Tag. Dieſe kleinen deutſchen
Fürſten in ihren Nußſchal-Reſidenzen ſind gerüſtet
und geſtachelt wie die wilden Kaſtanien. Wie froh
bin ich, daß ich aus dem Lande gehe.

Adieu, Adieu. Und ſchreiben Sie mir es nur
auf der Stelle, ſo oft bei uns eine ſchöne Dumm¬
heit vorfällt.


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[3/0017] Wenn Sie mir es nicht glauben werden, daß ich geſtern drei Stunden im Theater geſeſſen, und mit himmliſcher Geduld Minna von Barnhelm bis zu Ende geſehen — bin ich gar nicht böſe darüber. Aber das Unwahrſcheinlichſte iſt manchmal wahr. Auf der Reiſe kann ich alles vertragen. Die Theaterwache in Darmſtadt war gewiß funfzig Mann ſtark. Ich glaube auf je zwei Zu¬ ſchauer war ein Soldat gerechnet. Noch viel zu wenig in ſolcher tollen Zeit. Und dieſen Morgen um ſechs Uhr zogen einige Schwadronen Reiter an meinem Fenſter vorüber und trompeteten mich, und alle Kinder, und alle Greiſe, und alle Kranken, und alle ſüßträumenden Mädchen aus dem Schlafe. Das geſchieht wohl jeden Tag. Dieſe kleinen deutſchen Fürſten in ihren Nußſchal-Reſidenzen ſind gerüſtet und geſtachelt wie die wilden Kaſtanien. Wie froh bin ich, daß ich aus dem Lande gehe. Adieu, Adieu. Und ſchreiben Sie mir es nur auf der Stelle, ſo oft bei uns eine ſchöne Dumm¬ heit vorfällt. 1 *

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/17>, abgerufen am 02.05.2024.