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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

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Der Advokat und Vertheidiger des Guernon Ran¬
ville, Namens Cremieux, der gestern gesprochen, ist
aus Gemüthsbewegung in Ohnmacht gefallen und
mußte weggebracht werden. In welcher schrecklichen
Lage sind doch die vier unglücklichen Minister! Und
ihre armen Weiber und Kinder! Gewöhnliche Ver¬
brecher dürfen doch hoffen, die Richter würden ihnen
das Leben schenken; aber die Minister müssen vor
ihrer Freisprechung zittern, weil sie dann schrecklicher
als durch das Schwert des Henkers, durch die Hände
des Volks ihr Leben verlören. Am meisten dauert
mich der Guernon Ranville. Dieser ist der Schuld¬
loseste von Allen, er hat an den Ordonnanzen den
wenigsten Theil genommen, er war nur schwach und
ließ sich verführen. Und dieser ist krank und hat eine
Krankheit, die ich kenne, die ich vor zwei Jahren
in Wiesbaden hatte, kann ohne Schmerzen kein Glied
bewegen, und so, bleich, leidend, fast ohne Kraft
der Aufmerksamkeit, muß er täglich sieben Stunden
lang in der Pairs-Kammer schmachten, und zuhören,
wie man sich um sein Leben zankt! Dagegen war
doch mein Rheumatismus, von Ihnen gepflegt, ge¬
wiß eine Seligkeit. Und doch stähle ich mich wieder
und mache mir meine Weichherzigkeit zum Vorwurfe,
wenn ich mich frage; aber jene Könige und ihre
Henkersknechte, wenn wir aus dem Volke ihnen in
die Hände fallen, haben sie Mitleiden mit uns?

Der Advokat und Vertheidiger des Guernon Ran¬
ville, Namens Cremieux, der geſtern geſprochen, iſt
aus Gemüthsbewegung in Ohnmacht gefallen und
mußte weggebracht werden. In welcher ſchrecklichen
Lage ſind doch die vier unglücklichen Miniſter! Und
ihre armen Weiber und Kinder! Gewöhnliche Ver¬
brecher dürfen doch hoffen, die Richter würden ihnen
das Leben ſchenken; aber die Miniſter müſſen vor
ihrer Freiſprechung zittern, weil ſie dann ſchrecklicher
als durch das Schwert des Henkers, durch die Hände
des Volks ihr Leben verlören. Am meiſten dauert
mich der Guernon Ranville. Dieſer iſt der Schuld¬
loſeſte von Allen, er hat an den Ordonnanzen den
wenigſten Theil genommen, er war nur ſchwach und
ließ ſich verführen. Und dieſer iſt krank und hat eine
Krankheit, die ich kenne, die ich vor zwei Jahren
in Wiesbaden hatte, kann ohne Schmerzen kein Glied
bewegen, und ſo, bleich, leidend, faſt ohne Kraft
der Aufmerkſamkeit, muß er täglich ſieben Stunden
lang in der Pairs-Kammer ſchmachten, und zuhören,
wie man ſich um ſein Leben zankt! Dagegen war
doch mein Rheumatismus, von Ihnen gepflegt, ge¬
wiß eine Seligkeit. Und doch ſtähle ich mich wieder
und mache mir meine Weichherzigkeit zum Vorwurfe,
wenn ich mich frage; aber jene Könige und ihre
Henkersknechte, wenn wir aus dem Volke ihnen in
die Hände fallen, haben ſie Mitleiden mit uns?

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[143/0157] Der Advokat und Vertheidiger des Guernon Ran¬ ville, Namens Cremieux, der geſtern geſprochen, iſt aus Gemüthsbewegung in Ohnmacht gefallen und mußte weggebracht werden. In welcher ſchrecklichen Lage ſind doch die vier unglücklichen Miniſter! Und ihre armen Weiber und Kinder! Gewöhnliche Ver¬ brecher dürfen doch hoffen, die Richter würden ihnen das Leben ſchenken; aber die Miniſter müſſen vor ihrer Freiſprechung zittern, weil ſie dann ſchrecklicher als durch das Schwert des Henkers, durch die Hände des Volks ihr Leben verlören. Am meiſten dauert mich der Guernon Ranville. Dieſer iſt der Schuld¬ loſeſte von Allen, er hat an den Ordonnanzen den wenigſten Theil genommen, er war nur ſchwach und ließ ſich verführen. Und dieſer iſt krank und hat eine Krankheit, die ich kenne, die ich vor zwei Jahren in Wiesbaden hatte, kann ohne Schmerzen kein Glied bewegen, und ſo, bleich, leidend, faſt ohne Kraft der Aufmerkſamkeit, muß er täglich ſieben Stunden lang in der Pairs-Kammer ſchmachten, und zuhören, wie man ſich um ſein Leben zankt! Dagegen war doch mein Rheumatismus, von Ihnen gepflegt, ge¬ wiß eine Seligkeit. Und doch ſtähle ich mich wieder und mache mir meine Weichherzigkeit zum Vorwurfe, wenn ich mich frage; aber jene Könige und ihre Henkersknechte, wenn wir aus dem Volke ihnen in die Hände fallen, haben ſie Mitleiden mit uns?

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/157>, abgerufen am 17.05.2024.