Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

Bild:
<< vorherige Seite

eingebracht, die verhängnisvoll war, um so verhängnisvoller,
als sie ihrem Wesen nach falsch war, innerlich nicht hinein¬
gehörte. Es ist nicht nur der körperliche Schaden selbst ge¬
wesen, der uns unsagbares Leid angethan hat: fast ebenso
schlimm sind die rein geistigen Folgeschäden gewesen, die Schäden,
die sich in unsere ganze Auffassung der Liebe von ihr aus
einfraßen.

Auf der einen Seite hat sie sich im allgemeinen Bilde
mit der Prostitution eng verquickt.

Nichts lag näher, als daß sie sich hier festsetzte, hier, wo
der Geschlechtsakt aller feineren Auslese entrückt war, wo in
einem wirren Taumel wahllos Akt auf Akt folgte, wo ein
krankes Individuum die Brücke der Bazillen-Invasion zu un¬
gezählten gesunden schlagen konnte inmitten der Hatz dieses
planlosen Wechsels. Einmal hier lokalisiert, verlieh die Sy¬
philis dann aber der Prostitution eine neue entsetzliche Macht
in ihrer alten Unheilsbahn, eine positive Macht da, wo sie
früher wenigstens nur negativ gewirkt hatte.

Es war die eine Gefahrlinie der Prostitution, daß sie
das Kind ausschloß. Aber wie die Dinge lagen, setzte sich die
Prostitution ja eben doch damit nicht wirklich durch: neben ihr
blieb siegreich oben die echte Geschlechtsliebe, die bis zum Ziel
des Kindes ging und die Menschheit rettete: die Mutter
triumphierte immer wieder über die sterile Lustameise. Mit
der Syphilis änderte sich das. Die Prostituierte, indem sie
eine Pflanzstätte, eine Reinkultur der vergiftenden Bazillen-
Invasion zu bilden begann, griff damit in jene bisher reinen
Kreise selbstthätig über. Sie vergiftete in unzähligen Fällen
den Mann. Kehrte dieser Mann so nach drüben zurück, so
verkehrte sich gerade das Reine, Heilige des Liebeslebens ins
Satanische: er ruinierte die echte, zur Mutterschaft bereite
Frau, warf den frühen Tod oder hunderterlei feines, zehrendes
Verderben in die dort erzeugte und geborene neue Generation.

Es ist ja an sich schon ein tragisches Geschick, daß der

eingebracht, die verhängnisvoll war, um ſo verhängnisvoller,
als ſie ihrem Weſen nach falſch war, innerlich nicht hinein¬
gehörte. Es iſt nicht nur der körperliche Schaden ſelbſt ge¬
weſen, der uns unſagbares Leid angethan hat: faſt ebenſo
ſchlimm ſind die rein geiſtigen Folgeſchäden geweſen, die Schäden,
die ſich in unſere ganze Auffaſſung der Liebe von ihr aus
einfraßen.

Auf der einen Seite hat ſie ſich im allgemeinen Bilde
mit der Proſtitution eng verquickt.

Nichts lag näher, als daß ſie ſich hier feſtſetzte, hier, wo
der Geſchlechtsakt aller feineren Ausleſe entrückt war, wo in
einem wirren Taumel wahllos Akt auf Akt folgte, wo ein
krankes Individuum die Brücke der Bazillen-Invaſion zu un¬
gezählten geſunden ſchlagen konnte inmitten der Hatz dieſes
planloſen Wechſels. Einmal hier lokaliſiert, verlieh die Sy¬
philis dann aber der Proſtitution eine neue entſetzliche Macht
in ihrer alten Unheilsbahn, eine poſitive Macht da, wo ſie
früher wenigſtens nur negativ gewirkt hatte.

Es war die eine Gefahrlinie der Proſtitution, daß ſie
das Kind ausſchloß. Aber wie die Dinge lagen, ſetzte ſich die
Proſtitution ja eben doch damit nicht wirklich durch: neben ihr
blieb ſiegreich oben die echte Geſchlechtsliebe, die bis zum Ziel
des Kindes ging und die Menſchheit rettete: die Mutter
triumphierte immer wieder über die ſterile Luſtameiſe. Mit
der Syphilis änderte ſich das. Die Proſtituierte, indem ſie
eine Pflanzſtätte, eine Reinkultur der vergiftenden Bazillen-
Invaſion zu bilden begann, griff damit in jene bisher reinen
Kreiſe ſelbſtthätig über. Sie vergiftete in unzähligen Fällen
den Mann. Kehrte dieſer Mann ſo nach drüben zurück, ſo
verkehrte ſich gerade das Reine, Heilige des Liebeslebens ins
Sataniſche: er ruinierte die echte, zur Mutterſchaft bereite
Frau, warf den frühen Tod oder hunderterlei feines, zehrendes
Verderben in die dort erzeugte und geborene neue Generation.

Es iſt ja an ſich ſchon ein tragiſches Geſchick, daß der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0360" n="346"/>
eingebracht, die verhängnisvoll war, um &#x017F;o verhängnisvoller,<lb/>
als &#x017F;ie ihrem We&#x017F;en nach fal&#x017F;ch war, innerlich nicht hinein¬<lb/>
gehörte. Es i&#x017F;t nicht nur der körperliche Schaden &#x017F;elb&#x017F;t ge¬<lb/>
we&#x017F;en, der uns un&#x017F;agbares Leid angethan hat: fa&#x017F;t eben&#x017F;o<lb/>
&#x017F;chlimm &#x017F;ind die rein gei&#x017F;tigen Folge&#x017F;chäden gewe&#x017F;en, die Schäden,<lb/>
die &#x017F;ich in un&#x017F;ere ganze Auffa&#x017F;&#x017F;ung der Liebe von ihr aus<lb/>
einfraßen.</p><lb/>
        <p>Auf der einen Seite hat &#x017F;ie &#x017F;ich im allgemeinen Bilde<lb/>
mit der Pro&#x017F;titution eng verquickt.</p><lb/>
        <p>Nichts lag näher, als daß &#x017F;ie &#x017F;ich hier fe&#x017F;t&#x017F;etzte, hier, wo<lb/>
der Ge&#x017F;chlechtsakt aller feineren Ausle&#x017F;e entrückt war, wo in<lb/>
einem wirren Taumel wahllos Akt auf Akt folgte, wo ein<lb/>
krankes Individuum die Brücke der Bazillen-Inva&#x017F;ion zu un¬<lb/>
gezählten ge&#x017F;unden &#x017F;chlagen konnte inmitten der Hatz die&#x017F;es<lb/>
planlo&#x017F;en Wech&#x017F;els. Einmal hier lokali&#x017F;iert, verlieh die Sy¬<lb/>
philis dann aber der Pro&#x017F;titution eine neue ent&#x017F;etzliche Macht<lb/>
in ihrer alten Unheilsbahn, eine po&#x017F;itive Macht da, wo &#x017F;ie<lb/>
früher wenig&#x017F;tens nur negativ gewirkt hatte.</p><lb/>
        <p>Es war die eine Gefahrlinie der Pro&#x017F;titution, daß &#x017F;ie<lb/>
das Kind aus&#x017F;chloß. Aber wie die Dinge lagen, &#x017F;etzte &#x017F;ich die<lb/>
Pro&#x017F;titution ja eben doch damit nicht wirklich durch: neben ihr<lb/>
blieb &#x017F;iegreich oben die echte Ge&#x017F;chlechtsliebe, die bis zum Ziel<lb/>
des Kindes ging und die Men&#x017F;chheit rettete: die Mutter<lb/>
triumphierte immer wieder über die &#x017F;terile Lu&#x017F;tamei&#x017F;e. Mit<lb/>
der Syphilis änderte &#x017F;ich das. Die Pro&#x017F;tituierte, indem &#x017F;ie<lb/>
eine Pflanz&#x017F;tätte, eine Reinkultur der vergiftenden Bazillen-<lb/>
Inva&#x017F;ion zu bilden begann, griff damit in jene bisher reinen<lb/>
Krei&#x017F;e &#x017F;elb&#x017F;tthätig über. Sie vergiftete in unzähligen Fällen<lb/>
den Mann. Kehrte die&#x017F;er Mann &#x017F;o nach drüben zurück, &#x017F;o<lb/>
verkehrte &#x017F;ich gerade das Reine, Heilige des Liebeslebens ins<lb/>
Satani&#x017F;che: er ruinierte die echte, zur Mutter&#x017F;chaft bereite<lb/>
Frau, warf den frühen Tod oder hunderterlei feines, zehrendes<lb/>
Verderben in die dort erzeugte und geborene neue Generation.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t ja an &#x017F;ich &#x017F;chon ein tragi&#x017F;ches Ge&#x017F;chick, daß der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[346/0360] eingebracht, die verhängnisvoll war, um ſo verhängnisvoller, als ſie ihrem Weſen nach falſch war, innerlich nicht hinein¬ gehörte. Es iſt nicht nur der körperliche Schaden ſelbſt ge¬ weſen, der uns unſagbares Leid angethan hat: faſt ebenſo ſchlimm ſind die rein geiſtigen Folgeſchäden geweſen, die Schäden, die ſich in unſere ganze Auffaſſung der Liebe von ihr aus einfraßen. Auf der einen Seite hat ſie ſich im allgemeinen Bilde mit der Proſtitution eng verquickt. Nichts lag näher, als daß ſie ſich hier feſtſetzte, hier, wo der Geſchlechtsakt aller feineren Ausleſe entrückt war, wo in einem wirren Taumel wahllos Akt auf Akt folgte, wo ein krankes Individuum die Brücke der Bazillen-Invaſion zu un¬ gezählten geſunden ſchlagen konnte inmitten der Hatz dieſes planloſen Wechſels. Einmal hier lokaliſiert, verlieh die Sy¬ philis dann aber der Proſtitution eine neue entſetzliche Macht in ihrer alten Unheilsbahn, eine poſitive Macht da, wo ſie früher wenigſtens nur negativ gewirkt hatte. Es war die eine Gefahrlinie der Proſtitution, daß ſie das Kind ausſchloß. Aber wie die Dinge lagen, ſetzte ſich die Proſtitution ja eben doch damit nicht wirklich durch: neben ihr blieb ſiegreich oben die echte Geſchlechtsliebe, die bis zum Ziel des Kindes ging und die Menſchheit rettete: die Mutter triumphierte immer wieder über die ſterile Luſtameiſe. Mit der Syphilis änderte ſich das. Die Proſtituierte, indem ſie eine Pflanzſtätte, eine Reinkultur der vergiftenden Bazillen- Invaſion zu bilden begann, griff damit in jene bisher reinen Kreiſe ſelbſtthätig über. Sie vergiftete in unzähligen Fällen den Mann. Kehrte dieſer Mann ſo nach drüben zurück, ſo verkehrte ſich gerade das Reine, Heilige des Liebeslebens ins Sataniſche: er ruinierte die echte, zur Mutterſchaft bereite Frau, warf den frühen Tod oder hunderterlei feines, zehrendes Verderben in die dort erzeugte und geborene neue Generation. Es iſt ja an ſich ſchon ein tragiſches Geſchick, daß der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/360
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/360>, abgerufen am 22.11.2024.