gesetzt. Nun geht die Sänfte ab, die Braut einzuholen. Ein Sprecher bittet im Brauthause, der Seele des Mädchens zu gestatten, sich in die Sänfte zu setzen. Diese Seele (oder nach Chinesenglauben eine der drei Seelen jedes Menschen) sitzt gewohnheitsmäßig bei ihrer Ahnentafel im Elternhause, sie wohnt so zu sagen im schriftlichen Stammbaum wie ein Haus¬ geistchen, das sich in der Familienbibel etabliert hat. Da bleibt nichts übrig, als die Ahnentafel vom Altar des Hauses zu nehmen und samt einem Papierbilde des Mädchens in die Sänfte zu legen. So kommt der Zug daher, mit zwei Musi¬ kanten voran, der eine spielt auf der Laute, der andere haut wuchtig die große Trommel. Im Elternhause beim Bräutigam werden die beiden Puppen auf Sesseln zusammengesetzt. Eine Tafel mit wirklichen leckeren Speisen wird ihnen serviert und nicht weniger als sechs Priester segnen und beschwören ihren glücklichen Ehebund. Zuletzt kommt ein Brandgeruch: das papierne Ehepaar wird samt einer Masse von papierner Dienerschaft, Sänften, Geldnachahmungen, Kleidern, Fächern und Pfeifen verbrannt. Im Rauche eint es sich den Toten ...
[Abbildung]
Laß die Rauchwolke sich breiten. In ihr verdämmert das ganze wilde Heer. Das letzte Bild war an der Grenze des Humors. Und du darfst ihn wiederfinden.
Du lächelst zuletzt. So viel Thorheit. So unsagbar groteskes Danebenhauen. So viel tolle Sprünge über die einfache Wirklichkeit. Dieses Lächeln ist aber die Erlösung selbst. Du, der vorgeschrittene Kulturmensch, bist aus diesem Schatten schon heraus.
geſetzt. Nun geht die Sänfte ab, die Braut einzuholen. Ein Sprecher bittet im Brauthauſe, der Seele des Mädchens zu geſtatten, ſich in die Sänfte zu ſetzen. Dieſe Seele (oder nach Chineſenglauben eine der drei Seelen jedes Menſchen) ſitzt gewohnheitsmäßig bei ihrer Ahnentafel im Elternhauſe, ſie wohnt ſo zu ſagen im ſchriftlichen Stammbaum wie ein Haus¬ geiſtchen, das ſich in der Familienbibel etabliert hat. Da bleibt nichts übrig, als die Ahnentafel vom Altar des Hauſes zu nehmen und ſamt einem Papierbilde des Mädchens in die Sänfte zu legen. So kommt der Zug daher, mit zwei Muſi¬ kanten voran, der eine ſpielt auf der Laute, der andere haut wuchtig die große Trommel. Im Elternhauſe beim Bräutigam werden die beiden Puppen auf Seſſeln zuſammengeſetzt. Eine Tafel mit wirklichen leckeren Speiſen wird ihnen ſerviert und nicht weniger als ſechs Prieſter ſegnen und beſchwören ihren glücklichen Ehebund. Zuletzt kommt ein Brandgeruch: das papierne Ehepaar wird ſamt einer Maſſe von papierner Dienerſchaft, Sänften, Geldnachahmungen, Kleidern, Fächern und Pfeifen verbrannt. Im Rauche eint es ſich den Toten ...
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Laß die Rauchwolke ſich breiten. In ihr verdämmert das ganze wilde Heer. Das letzte Bild war an der Grenze des Humors. Und du darfſt ihn wiederfinden.
Du lächelſt zuletzt. So viel Thorheit. So unſagbar groteskes Danebenhauen. So viel tolle Sprünge über die einfache Wirklichkeit. Dieſes Lächeln iſt aber die Erlöſung ſelbſt. Du, der vorgeſchrittene Kulturmenſch, biſt aus dieſem Schatten ſchon heraus.
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geſetzt. Nun geht die Sänfte ab, die Braut einzuholen. Ein
Sprecher bittet im Brauthauſe, der Seele des Mädchens zu
geſtatten, ſich in die Sänfte zu ſetzen. Dieſe Seele (oder nach
Chineſenglauben eine der drei Seelen jedes Menſchen) ſitzt
gewohnheitsmäßig bei ihrer Ahnentafel im Elternhauſe, ſie
wohnt ſo zu ſagen im ſchriftlichen Stammbaum wie ein Haus¬
geiſtchen, das ſich in der Familienbibel etabliert hat. Da bleibt
nichts übrig, als die Ahnentafel vom Altar des Hauſes zu
nehmen und ſamt einem Papierbilde des Mädchens in die
Sänfte zu legen. So kommt der Zug daher, mit zwei Muſi¬
kanten voran, der eine ſpielt auf der Laute, der andere haut
wuchtig die große Trommel. Im Elternhauſe beim Bräutigam
werden die beiden Puppen auf Seſſeln zuſammengeſetzt. Eine
Tafel mit wirklichen leckeren Speiſen wird ihnen ſerviert und
nicht weniger als ſechs Prieſter ſegnen und beſchwören ihren
glücklichen Ehebund. Zuletzt kommt ein Brandgeruch: das
papierne Ehepaar wird ſamt einer Maſſe von papierner
Dienerſchaft, Sänften, Geldnachahmungen, Kleidern, Fächern
und Pfeifen verbrannt. Im Rauche eint es ſich den Toten ...
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Laß die Rauchwolke ſich breiten. In ihr verdämmert das
ganze wilde Heer. Das letzte Bild war an der Grenze des
Humors. Und du darfſt ihn wiederfinden.
Du lächelſt zuletzt. So viel Thorheit. So unſagbar
groteskes Danebenhauen. So viel tolle Sprünge über die
einfache Wirklichkeit. Dieſes Lächeln iſt aber die Erlöſung
ſelbſt. Du, der vorgeſchrittene Kulturmenſch, biſt aus dieſem
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/345>, abgerufen am 22.11.2024.
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