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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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geschrieben worden, dann ist die Tintenschrift mit Wasser
wieder abgewaschen worden und das jetzt trinkt die Leidende,
das Psalmwort symbolisch mitverschluckend. In ihr rechtes
Ohr wird zugleich "Memor esto Domine" mit drei Pater¬
nostern gesprochen und um ihren Hals hängt das "Dixit Do¬
minus Domino meo"
auf einem Blatte, durch das eine reine
Jungfrau einen wollenen Faden gezogen hat.

Auch der alte Plinius erhebt noch einmal seine Stimme
dazu: er empfiehlt einen Adlerstein, im Neste des Vogelkönigs
gefunden, als Talisman zur Niederkunft herbeizubringen. Über
die Schulter des alten Cäsarenfreundes, der in Pompeji mit¬
verunglückt ist, aber lächelt dich verschmitzt ein ganz modernes
Gesicht an: ein Bauerndoktor von Reichenhall in Bayern. Er
besaß und verwertete in unseren Tagen noch den gleichen
uralt berühmten Adlerstein. Ein braungelber Thoneisenstein
mit lockerem Kern, ein sogenannter Klapperstein, ist es nach
der Analyse unserer unheiligen Chemie. Er ist in Messing
gefaßt, mit einer Öse zum Anhängen um die linke Hüfte der
Gebärenden nach dem gleichen Rezept, das schon der brave
Jakob Rueff von Zürich im Jahre 1554 in seinem "schön
lustig Trostbüchle von den Empfangknussen und Geburten der
Menschen" giebt. Einige Stellen sind ausgeschabt: da haben
wohl der Wunderdoktor oder seine Vorfahren gelegentlich ein¬
mal einer ganz besonders gut zahlenden hohen Patientin
etwas Thoneisenstein auch innerlich vergeben. Der Stein liegt
übrigens jetzt, seinem mystischen Werk ins Profanste entrückt,
im Berliner Museum für deutsche Volkstrachten.

Das nächste Paar, das im Zuge schreitet, stammt von
der Insel Nias. Die Frau ist gesegnet, aber für das wilde
Paar bedeutet das eine harte Zeit. Denn vom Tage an
liegen sie im Netz der Phantasie ihres Volkes. Eine ganz
neue Lebensweise hat für sie begonnen, jede Kleinigkeit wird
abgewogen auf eine geheimnisvolle Beziehung zwischen den
Alltagsthaten der Eltern und dem kommenden Kind. Wo ein

geſchrieben worden, dann iſt die Tintenſchrift mit Waſſer
wieder abgewaſchen worden und das jetzt trinkt die Leidende,
das Pſalmwort ſymboliſch mitverſchluckend. In ihr rechtes
Ohr wird zugleich „Memor esto Domine“ mit drei Pater¬
noſtern geſprochen und um ihren Hals hängt das „Dixit Do¬
minus Domino meo“
auf einem Blatte, durch das eine reine
Jungfrau einen wollenen Faden gezogen hat.

Auch der alte Plinius erhebt noch einmal ſeine Stimme
dazu: er empfiehlt einen Adlerſtein, im Neſte des Vogelkönigs
gefunden, als Talisman zur Niederkunft herbeizubringen. Über
die Schulter des alten Cäſarenfreundes, der in Pompeji mit¬
verunglückt iſt, aber lächelt dich verſchmitzt ein ganz modernes
Geſicht an: ein Bauerndoktor von Reichenhall in Bayern. Er
beſaß und verwertete in unſeren Tagen noch den gleichen
uralt berühmten Adlerſtein. Ein braungelber Thoneiſenſtein
mit lockerem Kern, ein ſogenannter Klapperſtein, iſt es nach
der Analyſe unſerer unheiligen Chemie. Er iſt in Meſſing
gefaßt, mit einer Öſe zum Anhängen um die linke Hüfte der
Gebärenden nach dem gleichen Rezept, das ſchon der brave
Jakob Rueff von Zürich im Jahre 1554 in ſeinem „ſchön
luſtig Troſtbüchle von den Empfangknuſſen und Geburten der
Menſchen“ giebt. Einige Stellen ſind ausgeſchabt: da haben
wohl der Wunderdoktor oder ſeine Vorfahren gelegentlich ein¬
mal einer ganz beſonders gut zahlenden hohen Patientin
etwas Thoneiſenſtein auch innerlich vergeben. Der Stein liegt
übrigens jetzt, ſeinem myſtiſchen Werk ins Profanſte entrückt,
im Berliner Muſeum für deutſche Volkstrachten.

Das nächſte Paar, das im Zuge ſchreitet, ſtammt von
der Inſel Nias. Die Frau iſt geſegnet, aber für das wilde
Paar bedeutet das eine harte Zeit. Denn vom Tage an
liegen ſie im Netz der Phantaſie ihres Volkes. Eine ganz
neue Lebensweiſe hat für ſie begonnen, jede Kleinigkeit wird
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[316/0330] geſchrieben worden, dann iſt die Tintenſchrift mit Waſſer wieder abgewaſchen worden und das jetzt trinkt die Leidende, das Pſalmwort ſymboliſch mitverſchluckend. In ihr rechtes Ohr wird zugleich „Memor esto Domine“ mit drei Pater¬ noſtern geſprochen und um ihren Hals hängt das „Dixit Do¬ minus Domino meo“ auf einem Blatte, durch das eine reine Jungfrau einen wollenen Faden gezogen hat. Auch der alte Plinius erhebt noch einmal ſeine Stimme dazu: er empfiehlt einen Adlerſtein, im Neſte des Vogelkönigs gefunden, als Talisman zur Niederkunft herbeizubringen. Über die Schulter des alten Cäſarenfreundes, der in Pompeji mit¬ verunglückt iſt, aber lächelt dich verſchmitzt ein ganz modernes Geſicht an: ein Bauerndoktor von Reichenhall in Bayern. Er beſaß und verwertete in unſeren Tagen noch den gleichen uralt berühmten Adlerſtein. Ein braungelber Thoneiſenſtein mit lockerem Kern, ein ſogenannter Klapperſtein, iſt es nach der Analyſe unſerer unheiligen Chemie. Er iſt in Meſſing gefaßt, mit einer Öſe zum Anhängen um die linke Hüfte der Gebärenden nach dem gleichen Rezept, das ſchon der brave Jakob Rueff von Zürich im Jahre 1554 in ſeinem „ſchön luſtig Troſtbüchle von den Empfangknuſſen und Geburten der Menſchen“ giebt. Einige Stellen ſind ausgeſchabt: da haben wohl der Wunderdoktor oder ſeine Vorfahren gelegentlich ein¬ mal einer ganz beſonders gut zahlenden hohen Patientin etwas Thoneiſenſtein auch innerlich vergeben. Der Stein liegt übrigens jetzt, ſeinem myſtiſchen Werk ins Profanſte entrückt, im Berliner Muſeum für deutſche Volkstrachten. Das nächſte Paar, das im Zuge ſchreitet, ſtammt von der Inſel Nias. Die Frau iſt geſegnet, aber für das wilde Paar bedeutet das eine harte Zeit. Denn vom Tage an liegen ſie im Netz der Phantaſie ihres Volkes. Eine ganz neue Lebensweiſe hat für ſie begonnen, jede Kleinigkeit wird abgewogen auf eine geheimnisvolle Beziehung zwiſchen den Alltagsthaten der Eltern und dem kommenden Kind. Wo ein

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/330>, abgerufen am 22.11.2024.