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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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hielten, -- Mann und Frau immerfort neu kettend durch das
mächtigste Band mit nur geringfügigen Unterbrechungen, noch
ganz abgesehen von der gemeinsamen Kinderpflege.

Unwillkürlich fühlt man einen Augenblick das Bedürfnis,
die große Liebesbibel hinzulegen und über ihre Seiten hinweg
jetzt zu träumen, wie denn überhaupt irgend ein denkender
Mensch vor solcher Durchsichtigkeit der Linien auf die Idee
kommen konnte, das Liebeskapitel Menschheit habe nicht mit
der Ehe in diesem schlichten Normalsinne angefangen?

Jene zoologischen Thatsachen liegen allerdings nicht gerade
auf der Straße. Und es ist zuzugeben, daß eine ganze Anzahl
Leute bis heute über die Urfragen der Ehe Bücher geschrieben
haben, ohne sich jemals mit ihnen auseinanderzusetzen. Aber
schließlich ist alle Zoologie hier doch nur Unterbau für etwas,
was auch so schon aus allen Menschendingen von heute zunächst
als das Selbstverständliche zu entspringen scheint.

Unsere Kulturbetrachtung ging jederzeit aus von der Ehe,
die Ehe war oben im Mittelpunkt, -- wie sollte sie nicht der
Wahrscheinlichkeit nach doch auch schon unten dagewesen sein.
Der ganze ältere Standpunkt ist hier, er, den eben bloß
Darwins Idee von der Entwickelung des Menschen selber er¬
zittern machen konnte. Nun giebt gerade diese Idee uns aber
wieder die zoologischen Details, wonach die Ehe schon im
Tier unterhalb des Menschen wirklich existiert, -- man sollte
meinen, jetzt sei alles klar.

Wir gehen aber zu dem gleichen Tier noch einmal und
es lehrt uns noch etwas.

[Abbildung]

Jene hübsche gerade Linie der Eheentwickelung wird beim
Tier allenthalben gekreuzt durch eine zweite Entwickelungslinie,
die für sich ebenfalls eine ganz urgewaltige, unwiderstehliche
Macht hat.

hielten, — Mann und Frau immerfort neu kettend durch das
mächtigſte Band mit nur geringfügigen Unterbrechungen, noch
ganz abgeſehen von der gemeinſamen Kinderpflege.

Unwillkürlich fühlt man einen Augenblick das Bedürfnis,
die große Liebesbibel hinzulegen und über ihre Seiten hinweg
jetzt zu träumen, wie denn überhaupt irgend ein denkender
Menſch vor ſolcher Durchſichtigkeit der Linien auf die Idee
kommen konnte, das Liebeskapitel Menſchheit habe nicht mit
der Ehe in dieſem ſchlichten Normalſinne angefangen?

Jene zoologiſchen Thatſachen liegen allerdings nicht gerade
auf der Straße. Und es iſt zuzugeben, daß eine ganze Anzahl
Leute bis heute über die Urfragen der Ehe Bücher geſchrieben
haben, ohne ſich jemals mit ihnen auseinanderzuſetzen. Aber
ſchließlich iſt alle Zoologie hier doch nur Unterbau für etwas,
was auch ſo ſchon aus allen Menſchendingen von heute zunächſt
als das Selbſtverſtändliche zu entſpringen ſcheint.

Unſere Kulturbetrachtung ging jederzeit aus von der Ehe,
die Ehe war oben im Mittelpunkt, — wie ſollte ſie nicht der
Wahrſcheinlichkeit nach doch auch ſchon unten dageweſen ſein.
Der ganze ältere Standpunkt iſt hier, er, den eben bloß
Darwins Idee von der Entwickelung des Menſchen ſelber er¬
zittern machen konnte. Nun giebt gerade dieſe Idee uns aber
wieder die zoologiſchen Details, wonach die Ehe ſchon im
Tier unterhalb des Menſchen wirklich exiſtiert, — man ſollte
meinen, jetzt ſei alles klar.

Wir gehen aber zu dem gleichen Tier noch einmal und
es lehrt uns noch etwas.

[Abbildung]

Jene hübſche gerade Linie der Eheentwickelung wird beim
Tier allenthalben gekreuzt durch eine zweite Entwickelungslinie,
die für ſich ebenfalls eine ganz urgewaltige, unwiderſtehliche
Macht hat.

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[183/0197] hielten, — Mann und Frau immerfort neu kettend durch das mächtigſte Band mit nur geringfügigen Unterbrechungen, noch ganz abgeſehen von der gemeinſamen Kinderpflege. Unwillkürlich fühlt man einen Augenblick das Bedürfnis, die große Liebesbibel hinzulegen und über ihre Seiten hinweg jetzt zu träumen, wie denn überhaupt irgend ein denkender Menſch vor ſolcher Durchſichtigkeit der Linien auf die Idee kommen konnte, das Liebeskapitel Menſchheit habe nicht mit der Ehe in dieſem ſchlichten Normalſinne angefangen? Jene zoologiſchen Thatſachen liegen allerdings nicht gerade auf der Straße. Und es iſt zuzugeben, daß eine ganze Anzahl Leute bis heute über die Urfragen der Ehe Bücher geſchrieben haben, ohne ſich jemals mit ihnen auseinanderzuſetzen. Aber ſchließlich iſt alle Zoologie hier doch nur Unterbau für etwas, was auch ſo ſchon aus allen Menſchendingen von heute zunächſt als das Selbſtverſtändliche zu entſpringen ſcheint. Unſere Kulturbetrachtung ging jederzeit aus von der Ehe, die Ehe war oben im Mittelpunkt, — wie ſollte ſie nicht der Wahrſcheinlichkeit nach doch auch ſchon unten dageweſen ſein. Der ganze ältere Standpunkt iſt hier, er, den eben bloß Darwins Idee von der Entwickelung des Menſchen ſelber er¬ zittern machen konnte. Nun giebt gerade dieſe Idee uns aber wieder die zoologiſchen Details, wonach die Ehe ſchon im Tier unterhalb des Menſchen wirklich exiſtiert, — man ſollte meinen, jetzt ſei alles klar. Wir gehen aber zu dem gleichen Tier noch einmal und es lehrt uns noch etwas. [Abbildung] Jene hübſche gerade Linie der Eheentwickelung wird beim Tier allenthalben gekreuzt durch eine zweite Entwickelungslinie, die für ſich ebenfalls eine ganz urgewaltige, unwiderſtehliche Macht hat.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/197>, abgerufen am 23.11.2024.