Eine Vision, wie Künstleraugen sich die Auferstehung der Toten gedacht haben. Aber über diesen Seelen läge nicht das Entrückte, Unnahbare des Todes. Eine ungeheure weiße Blüte würde sich plötzlich entfalten, -- aber über diese Blüte hauchte zugleich ein roter Schein: der Schein der Scham. Und in dieser Röte einten sich ganz deutlich zwei Motive. Einmal die Scham, nackt zu stehen auf der Straße, in der profanen Öffentlichkeit überhaupt, zur unrechten Zeit. Dann aber in so und so viel Fällen noch die besondere Scham, nackt zu stehen vor anderen als vier Augen: den eigenen und denen eines ganz bestimmten auserwählten Wesens, das das erotische Privileg darauf besitzt.
Scham ist im Kern Entrüstung. Diese Entrüstung würdest du noch unverkennbar als solche sehen bei so und so viel Männern, deren erste Handlung sein würde, ihre Frau vor den Blicken der andern Männer zu verhüllen. Ihre Frau!
Von einem ganz bestimmten Punkt der Kulturgeschichte aus muß noch ein Motiv in das wachsende Verlangen nach Kleidung hineingespielt haben. Die Ehe. Das Zusammen¬ halten von zwei Menschen verschiedenen Geschlechts zu einem engeren Verbande innerhalb der großen Masse. Mann und Weib verhüllten nicht nur symbolisch oder wirklich ihr Geschlecht, um anzudeuten, daß es jetzt nicht an der Zeit sei, überhaupt an Erotisches zu denken. Sondern sie verhüllten es auch als Signal für die Welt, daß ihr Leib erotisch vergeben sei an ein ganz bestimmtes Individuum.
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Hier erheben sich auf einmal ganze Ketten neuer Bilder. Über die Schamverhüllung von dieser Seite her wacht nicht nur die Moral, die allgemeine Sitte als abstrakter Begriff und
Eine Viſion, wie Künſtleraugen ſich die Auferſtehung der Toten gedacht haben. Aber über dieſen Seelen läge nicht das Entrückte, Unnahbare des Todes. Eine ungeheure weiße Blüte würde ſich plötzlich entfalten, — aber über dieſe Blüte hauchte zugleich ein roter Schein: der Schein der Scham. Und in dieſer Röte einten ſich ganz deutlich zwei Motive. Einmal die Scham, nackt zu ſtehen auf der Straße, in der profanen Öffentlichkeit überhaupt, zur unrechten Zeit. Dann aber in ſo und ſo viel Fällen noch die beſondere Scham, nackt zu ſtehen vor anderen als vier Augen: den eigenen und denen eines ganz beſtimmten auserwählten Weſens, das das erotiſche Privileg darauf beſitzt.
Scham iſt im Kern Entrüſtung. Dieſe Entrüſtung würdeſt du noch unverkennbar als ſolche ſehen bei ſo und ſo viel Männern, deren erſte Handlung ſein würde, ihre Frau vor den Blicken der andern Männer zu verhüllen. Ihre Frau!
Von einem ganz beſtimmten Punkt der Kulturgeſchichte aus muß noch ein Motiv in das wachſende Verlangen nach Kleidung hineingeſpielt haben. Die Ehe. Das Zuſammen¬ halten von zwei Menſchen verſchiedenen Geſchlechts zu einem engeren Verbande innerhalb der großen Maſſe. Mann und Weib verhüllten nicht nur ſymboliſch oder wirklich ihr Geſchlecht, um anzudeuten, daß es jetzt nicht an der Zeit ſei, überhaupt an Erotiſches zu denken. Sondern ſie verhüllten es auch als Signal für die Welt, daß ihr Leib erotiſch vergeben ſei an ein ganz beſtimmtes Individuum.
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Hier erheben ſich auf einmal ganze Ketten neuer Bilder. Über die Schamverhüllung von dieſer Seite her wacht nicht nur die Moral, die allgemeine Sitte als abſtrakter Begriff und
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Eine Viſion, wie Künſtleraugen ſich die Auferſtehung der
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Entrückte, Unnahbare des Todes. Eine ungeheure weiße Blüte
würde ſich plötzlich entfalten, — aber über dieſe Blüte hauchte
zugleich ein roter Schein: der Schein der Scham. Und in
dieſer Röte einten ſich ganz deutlich zwei Motive. Einmal
die Scham, nackt zu ſtehen auf der Straße, in der profanen
Öffentlichkeit überhaupt, zur unrechten Zeit. Dann aber in
ſo und ſo viel Fällen noch die beſondere Scham, nackt zu
ſtehen vor anderen als vier Augen: den eigenen und denen
eines ganz beſtimmten auserwählten Weſens, das
das erotiſche Privileg darauf beſitzt.
Scham iſt im Kern Entrüſtung. Dieſe Entrüſtung würdeſt
du noch unverkennbar als ſolche ſehen bei ſo und ſo viel
Männern, deren erſte Handlung ſein würde, ihre Frau vor
den Blicken der andern Männer zu verhüllen. Ihre Frau!
Von einem ganz beſtimmten Punkt der Kulturgeſchichte
aus muß noch ein Motiv in das wachſende Verlangen nach
Kleidung hineingeſpielt haben. Die Ehe. Das Zuſammen¬
halten von zwei Menſchen verſchiedenen Geſchlechts zu einem
engeren Verbande innerhalb der großen Maſſe. Mann und
Weib verhüllten nicht nur ſymboliſch oder wirklich ihr Geſchlecht,
um anzudeuten, daß es jetzt nicht an der Zeit ſei, überhaupt
an Erotiſches zu denken. Sondern ſie verhüllten es auch als
Signal für die Welt, daß ihr Leib erotiſch vergeben ſei an
ein ganz beſtimmtes Individuum.
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/162>, abgerufen am 23.11.2024.
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