Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

Bild:
<< vorherige Seite

da dann allein beide Parteien, außer dem Mannessamen auch
das Weibesei, am richtigen Fleck zur Begegnung beisammen
wären. Das ist dann von einer andern modernen Forscher¬
schule wieder lebhaft bezweifelt worden, und das Ganze läßt
sich wirklich in irgend einer absoluten Form heute noch weder
pro noch contra benutzen. Wahr aber bleibt die sinnfällige
äußere Ähnlichkeit des Menstruationsvorgangs selber mit den
Voraussetzungen einer tierischen Brunstperiode, -- einerlei, wie
es nun für den Menschen mit der bindenden Kraft der Em¬
pfängnis dabei stehe. Ebenso sinnfällig aber wird sogleich,
wie verschwenderisch häufig diese Periode dann beim Menschen
auftritt. Sie ist nicht an bestimmte Jahreszeiten, etwa an den
Frühling gebunden. Ich lasse dahingestellt, ob das ganz schon
echtes Affenerbe war, die Menstruation des Schimpanse kann
dafür sprechen, oder ob die wachsende Unabhängigkeit des Werk¬
zeugmenschen von der Jahreszeit (vor allem im Norden die
Überwindung des Winters durch Kleid, Hütte, Feuer) noch
dabei nachgeholfen hat. Jedenfalls siehst du in einen schon
sehr frühen embarras de richesse dieser Dinge bei uns. In
unserer verfeinerten Kulturwelt hat man heute fast nur noch
den Eindruck, daß es sich selbst bei diesen zwölf Blutungs¬
stationen des Jahres nicht mehr um die Voraussetzung von
entsprechenden zwölf Liebesstationen handle, -- sondern die
Bluttage erscheinen viel eher als eine zwölfmalige kleine Schon¬
zeit innerhalb eines sonst kontinuierlichen erotischen Jahres.
Und dazu halte noch die nahezu vollzogene Unabhängigkeit des
Mannes von jeder auf- und absteigenden Liebeskurve im Jahr.
Ich sage nahezu, viele werden sagen absolut. Ich persönlich
glaube an kleine Schatten brunstartiger Schwankungen, Zu¬
nahmen und Abnahmen auch in der jährlichen Zeugungslust
und Zeugungskraft des Mannes, aber sie sind zweifellos gering
und auch noch zu wenig erforscht, um eine ernsthafte Rolle
in der Rechnung zu spielen; und sicher bleibt auch bei ihnen
die Häufigkeit bezeichnend, die auch hier nicht mehr die Brunst

da dann allein beide Parteien, außer dem Mannesſamen auch
das Weibesei, am richtigen Fleck zur Begegnung beiſammen
wären. Das iſt dann von einer andern modernen Forſcher¬
ſchule wieder lebhaft bezweifelt worden, und das Ganze läßt
ſich wirklich in irgend einer abſoluten Form heute noch weder
pro noch contra benutzen. Wahr aber bleibt die ſinnfällige
äußere Ähnlichkeit des Menſtruationsvorgangs ſelber mit den
Vorausſetzungen einer tieriſchen Brunſtperiode, — einerlei, wie
es nun für den Menſchen mit der bindenden Kraft der Em¬
pfängnis dabei ſtehe. Ebenſo ſinnfällig aber wird ſogleich,
wie verſchwenderiſch häufig dieſe Periode dann beim Menſchen
auftritt. Sie iſt nicht an beſtimmte Jahreszeiten, etwa an den
Frühling gebunden. Ich laſſe dahingeſtellt, ob das ganz ſchon
echtes Affenerbe war, die Menſtruation des Schimpanſe kann
dafür ſprechen, oder ob die wachſende Unabhängigkeit des Werk¬
zeugmenſchen von der Jahreszeit (vor allem im Norden die
Überwindung des Winters durch Kleid, Hütte, Feuer) noch
dabei nachgeholfen hat. Jedenfalls ſiehſt du in einen ſchon
ſehr frühen embarras de richesse dieſer Dinge bei uns. In
unſerer verfeinerten Kulturwelt hat man heute faſt nur noch
den Eindruck, daß es ſich ſelbſt bei dieſen zwölf Blutungs¬
ſtationen des Jahres nicht mehr um die Vorausſetzung von
entſprechenden zwölf Liebesſtationen handle, — ſondern die
Bluttage erſcheinen viel eher als eine zwölfmalige kleine Schon¬
zeit innerhalb eines ſonſt kontinuierlichen erotiſchen Jahres.
Und dazu halte noch die nahezu vollzogene Unabhängigkeit des
Mannes von jeder auf- und abſteigenden Liebeskurve im Jahr.
Ich ſage nahezu, viele werden ſagen abſolut. Ich perſönlich
glaube an kleine Schatten brunſtartiger Schwankungen, Zu¬
nahmen und Abnahmen auch in der jährlichen Zeugungsluſt
und Zeugungskraft des Mannes, aber ſie ſind zweifellos gering
und auch noch zu wenig erforſcht, um eine ernſthafte Rolle
in der Rechnung zu ſpielen; und ſicher bleibt auch bei ihnen
die Häufigkeit bezeichnend, die auch hier nicht mehr die Brunſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0120" n="106"/>
da dann allein beide Parteien, außer dem Mannes&#x017F;amen auch<lb/>
das Weibesei, am richtigen Fleck zur Begegnung bei&#x017F;ammen<lb/>
wären. Das i&#x017F;t dann von einer andern modernen For&#x017F;cher¬<lb/>
&#x017F;chule wieder lebhaft bezweifelt worden, und das Ganze läßt<lb/>
&#x017F;ich wirklich in irgend einer ab&#x017F;oluten Form heute noch weder<lb/><hi rendition="#aq">pro</hi> noch <hi rendition="#aq">contra</hi> benutzen. Wahr aber bleibt die &#x017F;innfällige<lb/>
äußere Ähnlichkeit des Men&#x017F;truationsvorgangs &#x017F;elber mit den<lb/>
Voraus&#x017F;etzungen einer tieri&#x017F;chen Brun&#x017F;tperiode, &#x2014; einerlei, wie<lb/>
es nun für den Men&#x017F;chen mit der bindenden Kraft der Em¬<lb/>
pfängnis dabei &#x017F;tehe. Eben&#x017F;o &#x017F;innfällig aber wird &#x017F;ogleich,<lb/>
wie ver&#x017F;chwenderi&#x017F;ch häufig die&#x017F;e Periode dann beim Men&#x017F;chen<lb/>
auftritt. Sie i&#x017F;t nicht an be&#x017F;timmte Jahreszeiten, etwa an den<lb/>
Frühling gebunden. Ich la&#x017F;&#x017F;e dahinge&#x017F;tellt, ob das ganz &#x017F;chon<lb/>
echtes Affenerbe war, die Men&#x017F;truation des Schimpan&#x017F;e kann<lb/>
dafür &#x017F;prechen, oder ob die wach&#x017F;ende Unabhängigkeit des Werk¬<lb/>
zeugmen&#x017F;chen von der Jahreszeit (vor allem im Norden die<lb/>
Überwindung des Winters durch Kleid, Hütte, Feuer) noch<lb/>
dabei nachgeholfen hat. Jedenfalls &#x017F;ieh&#x017F;t du in einen &#x017F;chon<lb/>
&#x017F;ehr frühen <hi rendition="#aq">embarras de richesse</hi> die&#x017F;er Dinge bei uns. In<lb/>
un&#x017F;erer verfeinerten Kulturwelt hat man heute fa&#x017F;t nur noch<lb/>
den Eindruck, daß es &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t bei die&#x017F;en zwölf Blutungs¬<lb/>
&#x017F;tationen des Jahres nicht mehr um die Voraus&#x017F;etzung von<lb/>
ent&#x017F;prechenden zwölf Liebes&#x017F;tationen handle, &#x2014; &#x017F;ondern die<lb/>
Bluttage er&#x017F;cheinen viel eher als eine zwölfmalige kleine Schon¬<lb/>
zeit innerhalb eines &#x017F;on&#x017F;t kontinuierlichen eroti&#x017F;chen Jahres.<lb/>
Und dazu halte noch die nahezu vollzogene Unabhängigkeit des<lb/>
Mannes von jeder auf- und ab&#x017F;teigenden Liebeskurve im Jahr.<lb/>
Ich &#x017F;age nahezu, viele werden &#x017F;agen ab&#x017F;olut. Ich per&#x017F;önlich<lb/>
glaube an kleine Schatten brun&#x017F;tartiger Schwankungen, Zu¬<lb/>
nahmen und Abnahmen auch in der jährlichen Zeugungslu&#x017F;t<lb/>
und Zeugungskraft des Mannes, aber &#x017F;ie &#x017F;ind zweifellos gering<lb/>
und auch noch zu wenig erfor&#x017F;cht, um eine ern&#x017F;thafte Rolle<lb/>
in der Rechnung zu &#x017F;pielen; und &#x017F;icher bleibt auch bei ihnen<lb/>
die Häufigkeit bezeichnend, die auch hier nicht mehr die Brun&#x017F;t<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0120] da dann allein beide Parteien, außer dem Mannesſamen auch das Weibesei, am richtigen Fleck zur Begegnung beiſammen wären. Das iſt dann von einer andern modernen Forſcher¬ ſchule wieder lebhaft bezweifelt worden, und das Ganze läßt ſich wirklich in irgend einer abſoluten Form heute noch weder pro noch contra benutzen. Wahr aber bleibt die ſinnfällige äußere Ähnlichkeit des Menſtruationsvorgangs ſelber mit den Vorausſetzungen einer tieriſchen Brunſtperiode, — einerlei, wie es nun für den Menſchen mit der bindenden Kraft der Em¬ pfängnis dabei ſtehe. Ebenſo ſinnfällig aber wird ſogleich, wie verſchwenderiſch häufig dieſe Periode dann beim Menſchen auftritt. Sie iſt nicht an beſtimmte Jahreszeiten, etwa an den Frühling gebunden. Ich laſſe dahingeſtellt, ob das ganz ſchon echtes Affenerbe war, die Menſtruation des Schimpanſe kann dafür ſprechen, oder ob die wachſende Unabhängigkeit des Werk¬ zeugmenſchen von der Jahreszeit (vor allem im Norden die Überwindung des Winters durch Kleid, Hütte, Feuer) noch dabei nachgeholfen hat. Jedenfalls ſiehſt du in einen ſchon ſehr frühen embarras de richesse dieſer Dinge bei uns. In unſerer verfeinerten Kulturwelt hat man heute faſt nur noch den Eindruck, daß es ſich ſelbſt bei dieſen zwölf Blutungs¬ ſtationen des Jahres nicht mehr um die Vorausſetzung von entſprechenden zwölf Liebesſtationen handle, — ſondern die Bluttage erſcheinen viel eher als eine zwölfmalige kleine Schon¬ zeit innerhalb eines ſonſt kontinuierlichen erotiſchen Jahres. Und dazu halte noch die nahezu vollzogene Unabhängigkeit des Mannes von jeder auf- und abſteigenden Liebeskurve im Jahr. Ich ſage nahezu, viele werden ſagen abſolut. Ich perſönlich glaube an kleine Schatten brunſtartiger Schwankungen, Zu¬ nahmen und Abnahmen auch in der jährlichen Zeugungsluſt und Zeugungskraft des Mannes, aber ſie ſind zweifellos gering und auch noch zu wenig erforſcht, um eine ernſthafte Rolle in der Rechnung zu ſpielen; und ſicher bleibt auch bei ihnen die Häufigkeit bezeichnend, die auch hier nicht mehr die Brunſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/120
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/120>, abgerufen am 17.05.2024.