Wagen ist, ebenso natürlich am besten je zwei solcher Paare, rechts vorne und links vorne ein Rad, und rechts hinten eins und links hinten eins. Aufs Haar genau nach diesem Prinzip eines Pferdebahnwagens sind die vier Gliedmaßen beim Haifisch entstanden, die heute noch als zwei Arme und zwei Beine an deinem eigenen nackten weißen Menschenleibe hier im Grase liegen. Der Haifisch schwamm geradeaus durchs Wasser. Anderes als Wasser kannte er ja noch nicht. Aber das zwei¬ seitige Räder-Prinzip paßte genau so auch aufs Wasser. Siehst du das gelbe Ruderboot mit der blauen Flagge dort im See, das die tändelnden Wasservögel wie eine Wolke vor sich her¬ scheucht? Vier schlanke tapfere Gesellen in weißem Rudertrikot und mit sonnenbraunen Hälsen, Armen und Knieen treiben es dahin, im Taktschlag ihrer Ruder. Jeder führt zwei Ruder, rechts eins und links eins. Und das Boot saust pfeilschnell durch die Sonnenfläche des Sees wie ein fideler Frühlingsfisch. Dasselbe Prinzip! Die sehnigen braunen Arme der halbnackten Ruderer führen Ruder als Werkzeuge, als gleichsam verlängerte, über Fleisch und Knochen des Armes künstlich noch hinaus fortgesetzte Gliedmaßen. Die Ruderschaufel packt das Wasser, wirft es dahin und das Boot fliegt, als liefe es auf Rädern. Der Haifisch kannte für sein Teil noch kein Werkzeug. Was er sich als Mittel erwarb, mußte ihm aus dem eigenen Leibe wachsen. Und so wuchsen ihm vier Ruder am Leibesschlauch, vier fest angewachsene Ruder: vier Flossen. Es ist noch einiger¬ maßen strittig, wie sie bei ihm zustande gekommen sind. Viel¬ leicht sind sie zunächst aus weichen Hautfalten an den Leibes¬ seiten entstanden. Wahrscheinlicher ist, daß sie sich aus hintersten Kiemenbogen an jeder Halsseite des Fisches, die Knorpelstacheln trugen, entwickelt haben, sodaß also zuerst zwei Paar Vorder- oder Brustflossen da gewesen wären, von denen allmählich erst das eine Paar gleichsam weiter am Leibesschlauche herabgerutscht und zu den Hinter- oder Bauchflossen geworden wäre. Das sei nun wie es wolle. Jedenfalls steckte in diesen Brust- und
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Wagen iſt, ebenſo natürlich am beſten je zwei ſolcher Paare, rechts vorne und links vorne ein Rad, und rechts hinten eins und links hinten eins. Aufs Haar genau nach dieſem Prinzip eines Pferdebahnwagens ſind die vier Gliedmaßen beim Haifiſch entſtanden, die heute noch als zwei Arme und zwei Beine an deinem eigenen nackten weißen Menſchenleibe hier im Graſe liegen. Der Haifiſch ſchwamm geradeaus durchs Waſſer. Anderes als Waſſer kannte er ja noch nicht. Aber das zwei¬ ſeitige Räder-Prinzip paßte genau ſo auch aufs Waſſer. Siehſt du das gelbe Ruderboot mit der blauen Flagge dort im See, das die tändelnden Waſſervögel wie eine Wolke vor ſich her¬ ſcheucht? Vier ſchlanke tapfere Geſellen in weißem Rudertrikot und mit ſonnenbraunen Hälſen, Armen und Knieen treiben es dahin, im Taktſchlag ihrer Ruder. Jeder führt zwei Ruder, rechts eins und links eins. Und das Boot ſauſt pfeilſchnell durch die Sonnenfläche des Sees wie ein fideler Frühlingsfiſch. Dasſelbe Prinzip! Die ſehnigen braunen Arme der halbnackten Ruderer führen Ruder als Werkzeuge, als gleichſam verlängerte, über Fleiſch und Knochen des Armes künſtlich noch hinaus fortgeſetzte Gliedmaßen. Die Ruderſchaufel packt das Waſſer, wirft es dahin und das Boot fliegt, als liefe es auf Rädern. Der Haifiſch kannte für ſein Teil noch kein Werkzeug. Was er ſich als Mittel erwarb, mußte ihm aus dem eigenen Leibe wachſen. Und ſo wuchſen ihm vier Ruder am Leibesſchlauch, vier feſt angewachſene Ruder: vier Floſſen. Es iſt noch einiger¬ maßen ſtrittig, wie ſie bei ihm zuſtande gekommen ſind. Viel¬ leicht ſind ſie zunächſt aus weichen Hautfalten an den Leibes¬ ſeiten entſtanden. Wahrſcheinlicher iſt, daß ſie ſich aus hinterſten Kiemenbogen an jeder Halsſeite des Fiſches, die Knorpelſtacheln trugen, entwickelt haben, ſodaß alſo zuerſt zwei Paar Vorder- oder Bruſtfloſſen da geweſen wären, von denen allmählich erſt das eine Paar gleichſam weiter am Leibesſchlauche herabgerutſcht und zu den Hinter- oder Bauchfloſſen geworden wäre. Das ſei nun wie es wolle. Jedenfalls ſteckte in dieſen Bruſt- und
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Wagen iſt, ebenſo natürlich am beſten je zwei ſolcher Paare,
rechts vorne und links vorne ein Rad, und rechts hinten
eins und links hinten eins. Aufs Haar genau nach dieſem
Prinzip eines Pferdebahnwagens ſind die vier Gliedmaßen beim
Haifiſch entſtanden, die heute noch als zwei Arme und zwei
Beine an deinem eigenen nackten weißen Menſchenleibe hier im
Graſe liegen. Der Haifiſch ſchwamm geradeaus durchs Waſſer.
Anderes als Waſſer kannte er ja noch nicht. Aber das zwei¬
ſeitige Räder-Prinzip paßte genau ſo auch aufs Waſſer. Siehſt
du das gelbe Ruderboot mit der blauen Flagge dort im See,
das die tändelnden Waſſervögel wie eine Wolke vor ſich her¬
ſcheucht? Vier ſchlanke tapfere Geſellen in weißem Rudertrikot
und mit ſonnenbraunen Hälſen, Armen und Knieen treiben es
dahin, im Taktſchlag ihrer Ruder. Jeder führt zwei Ruder,
rechts eins und links eins. Und das Boot ſauſt pfeilſchnell
durch die Sonnenfläche des Sees wie ein fideler Frühlingsfiſch.
Dasſelbe Prinzip! Die ſehnigen braunen Arme der halbnackten
Ruderer führen Ruder als Werkzeuge, als gleichſam verlängerte,
über Fleiſch und Knochen des Armes künſtlich noch hinaus
fortgeſetzte Gliedmaßen. Die Ruderſchaufel packt das Waſſer,
wirft es dahin und das Boot fliegt, als liefe es auf Rädern.
Der Haifiſch kannte für ſein Teil noch kein Werkzeug. Was
er ſich als Mittel erwarb, mußte ihm aus dem eigenen Leibe
wachſen. Und ſo wuchſen ihm vier Ruder am Leibesſchlauch,
vier feſt angewachſene Ruder: vier Floſſen. Es iſt noch einiger¬
maßen ſtrittig, wie ſie bei ihm zuſtande gekommen ſind. Viel¬
leicht ſind ſie zunächſt aus weichen Hautfalten an den Leibes¬
ſeiten entſtanden. Wahrſcheinlicher iſt, daß ſie ſich aus hinterſten
Kiemenbogen an jeder Halsſeite des Fiſches, die Knorpelſtacheln
trugen, entwickelt haben, ſodaß alſo zuerſt zwei Paar Vorder-
oder Bruſtfloſſen da geweſen wären, von denen allmählich erſt
das eine Paar gleichſam weiter am Leibesſchlauche herabgerutſcht
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/99>, abgerufen am 23.11.2024.
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