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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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werden, so ist es, als sei mit der Wirbelsäule ein steifes
Brett
unter die Rückenwand dieses Schlauches gestoßen -- ein
Brett, das dem ganzen jetzt erst derartig den Halt und Stütz¬
punkt giebt, daß der Schlauch nachträglich beinah bloß wie
ein Überzug und bauchseitiges weiches Anhängsel dieses Brettes
erscheint.

Dabei ist sehr interessant, wie dieses Brett in den Schlauch
eingestoßen ist. Es liegt zunächst, wie gesagt, auffällig an der
Rückenseite -- das Wort Rückgrat trägt dem ja schon Rechnung.
Die Haut mit ihrer darunterliegenden Muskelschicht, also die
äußerste Schlauchwand, faßt zwar ganz darum herum. Der
innere Separat-Schlauch des Magens und Darmes dagegen
liegt wesentlich frei davor an der Bauchseite. Gehirn und
Rückenmark, also die wichtigsten Nervensubstanz-Massen des
Schlauches, sind für den ersten Anblick sozusagen hineingeraten
in das Brett. Schaut man aber genauer zu, so hat man vor
allem bei der Wirbelsäule doch den Eindruck, daß das Brett
in seiner soliden Masse eigentlich so eingeschoben ist, daß es
genau zwischen diesem Nervenmark und dem Magenschlauch
steckt. Von dieser Basis erst haben dann Wirbel für Wirbel
und endlich auch beim Schädel harte Brettteile (-- also Kno¬
chenteile!) so nach oben um die weichen Gehirn- und Rücken¬
markteile herumgegriffen, daß schließlich diese Teile geradezu in
die oberste Brettschicht wie in einen übergreifenden Kanal mit
hineingeraten sind.

Diese famose innere Rückenstütze deines Leibes ist nun
des Rätsels Lösung, wo du oberhalb des Wurmes hingehörst.
Da findest du in den Tierstämmen jenseits der Würmer ja
allerlei ähnliche Versuche, den weichen Schlauchleib des Wurmes
irgendwie zu festigen, zu stützen und zu schützen durch allerlei
Verknöcherungen und Verhärtungen -- durch so und so viel
Bretter, die bald über, bald untergestülpt werden. Die Schnecke
hat ihr Haus, die Muschel ihre Doppelschale, der Seeigel seine
sonderbare Melone voller Stacheln, in der er wie eine Kastanie

werden, ſo iſt es, als ſei mit der Wirbelſäule ein ſteifes
Brett
unter die Rückenwand dieſes Schlauches geſtoßen — ein
Brett, das dem ganzen jetzt erſt derartig den Halt und Stütz¬
punkt giebt, daß der Schlauch nachträglich beinah bloß wie
ein Überzug und bauchſeitiges weiches Anhängſel dieſes Brettes
erſcheint.

Dabei iſt ſehr intereſſant, wie dieſes Brett in den Schlauch
eingeſtoßen iſt. Es liegt zunächſt, wie geſagt, auffällig an der
Rückenſeite — das Wort Rückgrat trägt dem ja ſchon Rechnung.
Die Haut mit ihrer darunterliegenden Muskelſchicht, alſo die
äußerſte Schlauchwand, faßt zwar ganz darum herum. Der
innere Separat-Schlauch des Magens und Darmes dagegen
liegt weſentlich frei davor an der Bauchſeite. Gehirn und
Rückenmark, alſo die wichtigſten Nervenſubſtanz-Maſſen des
Schlauches, ſind für den erſten Anblick ſozuſagen hineingeraten
in das Brett. Schaut man aber genauer zu, ſo hat man vor
allem bei der Wirbelſäule doch den Eindruck, daß das Brett
in ſeiner ſoliden Maſſe eigentlich ſo eingeſchoben iſt, daß es
genau zwiſchen dieſem Nervenmark und dem Magenſchlauch
ſteckt. Von dieſer Baſis erſt haben dann Wirbel für Wirbel
und endlich auch beim Schädel harte Brettteile (— alſo Kno¬
chenteile!) ſo nach oben um die weichen Gehirn- und Rücken¬
markteile herumgegriffen, daß ſchließlich dieſe Teile geradezu in
die oberſte Brettſchicht wie in einen übergreifenden Kanal mit
hineingeraten ſind.

Dieſe famoſe innere Rückenſtütze deines Leibes iſt nun
des Rätſels Löſung, wo du oberhalb des Wurmes hingehörſt.
Da findeſt du in den Tierſtämmen jenſeits der Würmer ja
allerlei ähnliche Verſuche, den weichen Schlauchleib des Wurmes
irgendwie zu feſtigen, zu ſtützen und zu ſchützen durch allerlei
Verknöcherungen und Verhärtungen — durch ſo und ſo viel
Bretter, die bald über, bald untergeſtülpt werden. Die Schnecke
hat ihr Haus, die Muſchel ihre Doppelſchale, der Seeigel ſeine
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[75/0091] werden, ſo iſt es, als ſei mit der Wirbelſäule ein ſteifes Brett unter die Rückenwand dieſes Schlauches geſtoßen — ein Brett, das dem ganzen jetzt erſt derartig den Halt und Stütz¬ punkt giebt, daß der Schlauch nachträglich beinah bloß wie ein Überzug und bauchſeitiges weiches Anhängſel dieſes Brettes erſcheint. Dabei iſt ſehr intereſſant, wie dieſes Brett in den Schlauch eingeſtoßen iſt. Es liegt zunächſt, wie geſagt, auffällig an der Rückenſeite — das Wort Rückgrat trägt dem ja ſchon Rechnung. Die Haut mit ihrer darunterliegenden Muskelſchicht, alſo die äußerſte Schlauchwand, faßt zwar ganz darum herum. Der innere Separat-Schlauch des Magens und Darmes dagegen liegt weſentlich frei davor an der Bauchſeite. Gehirn und Rückenmark, alſo die wichtigſten Nervenſubſtanz-Maſſen des Schlauches, ſind für den erſten Anblick ſozuſagen hineingeraten in das Brett. Schaut man aber genauer zu, ſo hat man vor allem bei der Wirbelſäule doch den Eindruck, daß das Brett in ſeiner ſoliden Maſſe eigentlich ſo eingeſchoben iſt, daß es genau zwiſchen dieſem Nervenmark und dem Magenſchlauch ſteckt. Von dieſer Baſis erſt haben dann Wirbel für Wirbel und endlich auch beim Schädel harte Brettteile (— alſo Kno¬ chenteile!) ſo nach oben um die weichen Gehirn- und Rücken¬ markteile herumgegriffen, daß ſchließlich dieſe Teile geradezu in die oberſte Brettſchicht wie in einen übergreifenden Kanal mit hineingeraten ſind. Dieſe famoſe innere Rückenſtütze deines Leibes iſt nun des Rätſels Löſung, wo du oberhalb des Wurmes hingehörſt. Da findeſt du in den Tierſtämmen jenſeits der Würmer ja allerlei ähnliche Verſuche, den weichen Schlauchleib des Wurmes irgendwie zu feſtigen, zu ſtützen und zu ſchützen durch allerlei Verknöcherungen und Verhärtungen — durch ſo und ſo viel Bretter, die bald über, bald untergeſtülpt werden. Die Schnecke hat ihr Haus, die Muſchel ihre Doppelſchale, der Seeigel ſeine ſonderbare Melone voller Stacheln, in der er wie eine Kaſtanie

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/91>, abgerufen am 02.05.2024.