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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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als Ganzes vorübergehend in den Dienst und die Gefolgschaft
des Willens jener beiden Zeugungszellen traten -- in einem
solchen Moment ist die wirkliche Vereinigung erfolgt. Einmal
beide im gleichen Mutterleibe, haben die zwei Zellen jetzt jenes
verwickelte Schauspiel ihrer engeren Liebesverbindung und
Verschmelzung aufgeführt, das ich dir früher einmal erzählt
habe. Erst dann sind sie dazu übergegangen, zu deinem Leibe
im engeren Sinne sich zu gestalten. Durch eine Art eigener
Vermehrung, aber ungeschlechtlicher Art, indem sie aus sich
selber immer neue Zellen haben hervorgehen lassen. Diese
Zellen haben sich geordnet, zu einander gelagert, zunächst so,
daß etwas wie ein allgemeiner Grundriß entstand deines Körpers,
dann gleichsam Zimmer um Zimmer, Korridor um Korridor,
Treppe um Treppe.

Denke dir, der größte Bewußtseins-Genius der Menschheit,
Spinoza oder Goethe oder Darwin, einerlei, wen du nimmst:
er sollte vor diese Aufgabe gestellt worden sein, einen rohen
Zellenhaufen Stück für Stück so aneinander zu setzen, daß ein
Menschenleib entstünde. Unmöglich. Selbst der raffinierteste
Anatom von heute könnte es auch noch nicht annähernd.

Und doch müssen diese bauenden Körperteilchen selbst, die
Zellen da im Mutterleibe, thatsächlich die Sache verstehen.
Sie wissen ganz zweifellos, wie man eine Niere, ein Rücken¬
mark, eine Leber so baut, daß sie hinterher viele Jahre lang
ihren Dienst thut in einer Arbeitsteilung, vor deren Verwickelung
dem Beschauer schwindelt.

Sie müssen sogar nicht bloß unmittelbar wissen, wie ein
Mensch bis in jedes mikroskopische Detail beschaffen sein muß,
-- diese Körper-Bauzellen. Du erinnerst dich, wie ich dir
früher von dem höchst seltsamen Gesetz erzählt habe, das bei
diesem Aufbau des Leibes im Mutterleibe seine Rolle noch be¬
sonders zu spielen scheint. Man hat es das biogenetische
Grundgesetz genannt und es besagt in diesem Falle, daß der
Keim oder Embryo da im Mutterleibe nicht sofort Menschen¬

als Ganzes vorübergehend in den Dienſt und die Gefolgſchaft
des Willens jener beiden Zeugungszellen traten — in einem
ſolchen Moment iſt die wirkliche Vereinigung erfolgt. Einmal
beide im gleichen Mutterleibe, haben die zwei Zellen jetzt jenes
verwickelte Schauſpiel ihrer engeren Liebesverbindung und
Verſchmelzung aufgeführt, das ich dir früher einmal erzählt
habe. Erſt dann ſind ſie dazu übergegangen, zu deinem Leibe
im engeren Sinne ſich zu geſtalten. Durch eine Art eigener
Vermehrung, aber ungeſchlechtlicher Art, indem ſie aus ſich
ſelber immer neue Zellen haben hervorgehen laſſen. Dieſe
Zellen haben ſich geordnet, zu einander gelagert, zunächſt ſo,
daß etwas wie ein allgemeiner Grundriß entſtand deines Körpers,
dann gleichſam Zimmer um Zimmer, Korridor um Korridor,
Treppe um Treppe.

Denke dir, der größte Bewußtſeins-Genius der Menſchheit,
Spinoza oder Goethe oder Darwin, einerlei, wen du nimmſt:
er ſollte vor dieſe Aufgabe geſtellt worden ſein, einen rohen
Zellenhaufen Stück für Stück ſo aneinander zu ſetzen, daß ein
Menſchenleib entſtünde. Unmöglich. Selbſt der raffinierteſte
Anatom von heute könnte es auch noch nicht annähernd.

Und doch müſſen dieſe bauenden Körperteilchen ſelbſt, die
Zellen da im Mutterleibe, thatſächlich die Sache verſtehen.
Sie wiſſen ganz zweifellos, wie man eine Niere, ein Rücken¬
mark, eine Leber ſo baut, daß ſie hinterher viele Jahre lang
ihren Dienſt thut in einer Arbeitsteilung, vor deren Verwickelung
dem Beſchauer ſchwindelt.

Sie müſſen ſogar nicht bloß unmittelbar wiſſen, wie ein
Menſch bis in jedes mikroſkopiſche Detail beſchaffen ſein muß,
— dieſe Körper-Bauzellen. Du erinnerſt dich, wie ich dir
früher von dem höchſt ſeltſamen Geſetz erzählt habe, das bei
dieſem Aufbau des Leibes im Mutterleibe ſeine Rolle noch be¬
ſonders zu ſpielen ſcheint. Man hat es das biogenetiſche
Grundgeſetz genannt und es beſagt in dieſem Falle, daß der
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[46/0062] als Ganzes vorübergehend in den Dienſt und die Gefolgſchaft des Willens jener beiden Zeugungszellen traten — in einem ſolchen Moment iſt die wirkliche Vereinigung erfolgt. Einmal beide im gleichen Mutterleibe, haben die zwei Zellen jetzt jenes verwickelte Schauſpiel ihrer engeren Liebesverbindung und Verſchmelzung aufgeführt, das ich dir früher einmal erzählt habe. Erſt dann ſind ſie dazu übergegangen, zu deinem Leibe im engeren Sinne ſich zu geſtalten. Durch eine Art eigener Vermehrung, aber ungeſchlechtlicher Art, indem ſie aus ſich ſelber immer neue Zellen haben hervorgehen laſſen. Dieſe Zellen haben ſich geordnet, zu einander gelagert, zunächſt ſo, daß etwas wie ein allgemeiner Grundriß entſtand deines Körpers, dann gleichſam Zimmer um Zimmer, Korridor um Korridor, Treppe um Treppe. Denke dir, der größte Bewußtſeins-Genius der Menſchheit, Spinoza oder Goethe oder Darwin, einerlei, wen du nimmſt: er ſollte vor dieſe Aufgabe geſtellt worden ſein, einen rohen Zellenhaufen Stück für Stück ſo aneinander zu ſetzen, daß ein Menſchenleib entſtünde. Unmöglich. Selbſt der raffinierteſte Anatom von heute könnte es auch noch nicht annähernd. Und doch müſſen dieſe bauenden Körperteilchen ſelbſt, die Zellen da im Mutterleibe, thatſächlich die Sache verſtehen. Sie wiſſen ganz zweifellos, wie man eine Niere, ein Rücken¬ mark, eine Leber ſo baut, daß ſie hinterher viele Jahre lang ihren Dienſt thut in einer Arbeitsteilung, vor deren Verwickelung dem Beſchauer ſchwindelt. Sie müſſen ſogar nicht bloß unmittelbar wiſſen, wie ein Menſch bis in jedes mikroſkopiſche Detail beſchaffen ſein muß, — dieſe Körper-Bauzellen. Du erinnerſt dich, wie ich dir früher von dem höchſt ſeltſamen Geſetz erzählt habe, das bei dieſem Aufbau des Leibes im Mutterleibe ſeine Rolle noch be¬ ſonders zu ſpielen ſcheint. Man hat es das biogenetiſche Grundgeſetz genannt und es beſagt in dieſem Falle, daß der Keim oder Embryo da im Mutterleibe nicht ſofort Menſchen¬

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/62>, abgerufen am 24.11.2024.