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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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sein. Ferner hat er seine prachtvollen karmoisinroten und
himmelblauen Federn. Er selber hat Schönheitsbewußtsein
genug, um diese Federn schön zu finden. Und ich finde sie
auch schön. Er und ich sind uns unverkennbar näher gekommen
-- bis auf einen Punkt.

Rafael schafft in der Kette der Ursachen sein Bild, proji¬
ziert gleichsam sein Gehirn darin nach außen. Aber was --
und hier kommt die Grundfrage -- was hat das Gehirn des
Vogels (bei all seiner Verwandtschaft mit dem meinigen) mit
dem eigenen Federkleide des Vogels hinsichtlich der Ent¬
stehung
dieses Federkleides zu thun?

Hat der Vogel etwa sich selber so schön gemacht, weil er
es so für schön befand und so aussehen wollte?

Ist mit anderen Worten die That des schönheitsdurstigen
Paradiesvogels sein eigenes Federkleid? Dann, ja dann wäre
der Kreis auch hier geschlossen. Der Rudolfs-Paradiesvogel
hat ein Gehirn mit Schönheitsidealen. Das ist genau so
(natürlich ins Menschliche verstärkt) der Fall bei Rafael. Rafael
schafft sein Bild, das mir schön erscheint, weil ich ein ähnliches
Gehirn mit (wenigstens passiver) Schönheitsempfindung habe.
Der Paradiesvogel schafft seine blaue Federnpracht, die mir
schön erscheint, weil ich ein auch diesem Paradiesvogel immer¬
hin noch ähnliches Gehirn mit Schönheitsempfindung von einer
ihm ebenfalls ähnlichen Art besitze.

Aber wer in aller Welt giebt uns das Recht, ohne weiteres
eine so ungeheuerliche Annahme zu machen, um jenen Kreis
zu schließen?

Der Vogel soll von seinem Gehirn und ästhetischen Können
aus sich selber die herrlichen Federn an den Leib gebracht haben!

Er soll sein eigener Künstler gewesen sein in einem Sinne,
der alles andere Kunstschaffen wie ein Kinderspiel in den
Schatten zu stellen scheint.

Nehmen wir noch einmal Rafael als Vergleich. Er schaute
innerlich ein herrliches Kunstideal, die Sixtinische Madonna,

ſein. Ferner hat er ſeine prachtvollen karmoiſinroten und
himmelblauen Federn. Er ſelber hat Schönheitsbewußtſein
genug, um dieſe Federn ſchön zu finden. Und ich finde ſie
auch ſchön. Er und ich ſind uns unverkennbar näher gekommen
— bis auf einen Punkt.

Rafael ſchafft in der Kette der Urſachen ſein Bild, proji¬
ziert gleichſam ſein Gehirn darin nach außen. Aber was —
und hier kommt die Grundfrage — was hat das Gehirn des
Vogels (bei all ſeiner Verwandtſchaft mit dem meinigen) mit
dem eigenen Federkleide des Vogels hinſichtlich der Ent¬
ſtehung
dieſes Federkleides zu thun?

Hat der Vogel etwa ſich ſelber ſo ſchön gemacht, weil er
es ſo für ſchön befand und ſo ausſehen wollte?

Iſt mit anderen Worten die That des ſchönheitsdurſtigen
Paradiesvogels ſein eigenes Federkleid? Dann, ja dann wäre
der Kreis auch hier geſchloſſen. Der Rudolfs-Paradiesvogel
hat ein Gehirn mit Schönheitsidealen. Das iſt genau ſo
(natürlich ins Menſchliche verſtärkt) der Fall bei Rafael. Rafael
ſchafft ſein Bild, das mir ſchön erſcheint, weil ich ein ähnliches
Gehirn mit (wenigſtens paſſiver) Schönheitsempfindung habe.
Der Paradiesvogel ſchafft ſeine blaue Federnpracht, die mir
ſchön erſcheint, weil ich ein auch dieſem Paradiesvogel immer¬
hin noch ähnliches Gehirn mit Schönheitsempfindung von einer
ihm ebenfalls ähnlichen Art beſitze.

Aber wer in aller Welt giebt uns das Recht, ohne weiteres
eine ſo ungeheuerliche Annahme zu machen, um jenen Kreis
zu ſchließen?

Der Vogel ſoll von ſeinem Gehirn und äſthetiſchen Können
aus ſich ſelber die herrlichen Federn an den Leib gebracht haben!

Er ſoll ſein eigener Künſtler geweſen ſein in einem Sinne,
der alles andere Kunſtſchaffen wie ein Kinderſpiel in den
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[361/0377] ſein. Ferner hat er ſeine prachtvollen karmoiſinroten und himmelblauen Federn. Er ſelber hat Schönheitsbewußtſein genug, um dieſe Federn ſchön zu finden. Und ich finde ſie auch ſchön. Er und ich ſind uns unverkennbar näher gekommen — bis auf einen Punkt. Rafael ſchafft in der Kette der Urſachen ſein Bild, proji¬ ziert gleichſam ſein Gehirn darin nach außen. Aber was — und hier kommt die Grundfrage — was hat das Gehirn des Vogels (bei all ſeiner Verwandtſchaft mit dem meinigen) mit dem eigenen Federkleide des Vogels hinſichtlich der Ent¬ ſtehung dieſes Federkleides zu thun? Hat der Vogel etwa ſich ſelber ſo ſchön gemacht, weil er es ſo für ſchön befand und ſo ausſehen wollte? Iſt mit anderen Worten die That des ſchönheitsdurſtigen Paradiesvogels ſein eigenes Federkleid? Dann, ja dann wäre der Kreis auch hier geſchloſſen. Der Rudolfs-Paradiesvogel hat ein Gehirn mit Schönheitsidealen. Das iſt genau ſo (natürlich ins Menſchliche verſtärkt) der Fall bei Rafael. Rafael ſchafft ſein Bild, das mir ſchön erſcheint, weil ich ein ähnliches Gehirn mit (wenigſtens paſſiver) Schönheitsempfindung habe. Der Paradiesvogel ſchafft ſeine blaue Federnpracht, die mir ſchön erſcheint, weil ich ein auch dieſem Paradiesvogel immer¬ hin noch ähnliches Gehirn mit Schönheitsempfindung von einer ihm ebenfalls ähnlichen Art beſitze. Aber wer in aller Welt giebt uns das Recht, ohne weiteres eine ſo ungeheuerliche Annahme zu machen, um jenen Kreis zu ſchließen? Der Vogel ſoll von ſeinem Gehirn und äſthetiſchen Können aus ſich ſelber die herrlichen Federn an den Leib gebracht haben! Er ſoll ſein eigener Künſtler geweſen ſein in einem Sinne, der alles andere Kunſtſchaffen wie ein Kinderſpiel in den Schatten zu ſtellen ſcheint. Nehmen wir noch einmal Rafael als Vergleich. Er ſchaute innerlich ein herrliches Kunſtideal, die Sixtiniſche Madonna,

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/377>, abgerufen am 23.11.2024.