ihre "Fühlung" im eigentlichsten Sinne mit der Körperober¬ fläche, also dem alten echten Sitze der Haut.
Noch immer, auch bei dir, nimmt diese Außenhaut zunächst die Lichtwellen, wie die Schallwellen, das ärgerliche Piken der Nadel wie die behagliche Wärme der Maiensonne und so weiter und weiter zunächst auf. Der eigentliche Sitz der Empfindung ist dann freilich nicht mehr gleich an der Aufnahmestelle der Oberfläche, sondern es schaltet sich noch der Telegraphendraht des Nervs ein, der den Licht-, Schall-, Stoß- oder Wärmereiz ins innere Hautorgan, also das Rückenmark und Gehirn, be¬ fördert. Auch hat sich die Hautoberfläche mehrfach bei dir schon in bestimmter Weise selber wieder in die Arbeit geteilt. Zwei Stellen, die Augen, passen ausschließlich auf Lichtreize. Zwei, die Ohren, nur auf Gehörsreize. Zwei in der Nase ledig¬ lich auf Geruchsreize. In diesem Falle haben sich sogar diese äußeren Aufnahmestellen nochmals wieder etwas eingesenkt und geschützt: die Netzhautstellen für das Licht liegen tief hinter einer durchsichtigen Oberhautstelle; ebenso ist das Ohr eine geschlossene Kapsel geworden; und die Nase bildet mindestens eine Tasche mit ihrer riechenden Schleimhaut.
Nur die Reaktion auf Druck und Temperatur ist fast der ganzen Hautoberfläche gemeinsam geblieben, -- wo ich dich an Arm oder Bein oder Schulter oder Brust mit der Nadel pike, fühlst du es und zwar unangenehm als Schmerz, und ebenso fühlst du mit jeder dieser Stellen auch die wohlige Wärme der Sonne da droben.
Indessen alle diese Verfeinerungen und Verwickelungen sind Schritt für Schritt erst zwischen den ältesten Hauttieren und dir entstanden. Noch hast du Tiere deutlich heute vor dir, bei denen die ganze wirkliche Oberhaut auch das ganze Gehirn noch darstellt und in ihrer Ganzheit hört oder Licht empfindet. Und erst allmählich siehst du das Gehirn sich sondern als eine Zentralstelle, die alle Empfindungen sämtlicher Haupt¬ zellen noch wieder in eins greift wie eine Spinne die Fäden
ihre „Fühlung“ im eigentlichſten Sinne mit der Körperober¬ fläche, alſo dem alten echten Sitze der Haut.
Noch immer, auch bei dir, nimmt dieſe Außenhaut zunächſt die Lichtwellen, wie die Schallwellen, das ärgerliche Piken der Nadel wie die behagliche Wärme der Maienſonne und ſo weiter und weiter zunächſt auf. Der eigentliche Sitz der Empfindung iſt dann freilich nicht mehr gleich an der Aufnahmeſtelle der Oberfläche, ſondern es ſchaltet ſich noch der Telegraphendraht des Nervs ein, der den Licht-, Schall-, Stoß- oder Wärmereiz ins innere Hautorgan, alſo das Rückenmark und Gehirn, be¬ fördert. Auch hat ſich die Hautoberfläche mehrfach bei dir ſchon in beſtimmter Weiſe ſelber wieder in die Arbeit geteilt. Zwei Stellen, die Augen, paſſen ausſchließlich auf Lichtreize. Zwei, die Ohren, nur auf Gehörsreize. Zwei in der Naſe ledig¬ lich auf Geruchsreize. In dieſem Falle haben ſich ſogar dieſe äußeren Aufnahmeſtellen nochmals wieder etwas eingeſenkt und geſchützt: die Netzhautſtellen für das Licht liegen tief hinter einer durchſichtigen Oberhautſtelle; ebenſo iſt das Ohr eine geſchloſſene Kapſel geworden; und die Naſe bildet mindeſtens eine Taſche mit ihrer riechenden Schleimhaut.
Nur die Reaktion auf Druck und Temperatur iſt faſt der ganzen Hautoberfläche gemeinſam geblieben, — wo ich dich an Arm oder Bein oder Schulter oder Bruſt mit der Nadel pike, fühlſt du es und zwar unangenehm als Schmerz, und ebenſo fühlſt du mit jeder dieſer Stellen auch die wohlige Wärme der Sonne da droben.
Indeſſen alle dieſe Verfeinerungen und Verwickelungen ſind Schritt für Schritt erſt zwiſchen den älteſten Hauttieren und dir entſtanden. Noch haſt du Tiere deutlich heute vor dir, bei denen die ganze wirkliche Oberhaut auch das ganze Gehirn noch darſtellt und in ihrer Ganzheit hört oder Licht empfindet. Und erſt allmählich ſiehſt du das Gehirn ſich ſondern als eine Zentralſtelle, die alle Empfindungen ſämtlicher Haupt¬ zellen noch wieder in eins greift wie eine Spinne die Fäden
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0326"n="310"/>
ihre „Fühlung“ im eigentlichſten Sinne mit der Körperober¬<lb/>
fläche, alſo dem alten echten Sitze der Haut.</p><lb/><p>Noch immer, auch bei dir, nimmt dieſe Außenhaut zunächſt<lb/>
die Lichtwellen, wie die Schallwellen, das ärgerliche Piken der<lb/>
Nadel wie die behagliche Wärme der Maienſonne und ſo weiter<lb/>
und weiter zunächſt auf. Der eigentliche Sitz der Empfindung<lb/>
iſt dann freilich nicht mehr gleich an der Aufnahmeſtelle der<lb/>
Oberfläche, ſondern es ſchaltet ſich noch der Telegraphendraht<lb/>
des Nervs ein, der den Licht-, Schall-, Stoß- oder Wärmereiz<lb/>
ins <hirendition="#g">innere</hi> Hautorgan, alſo das Rückenmark und Gehirn, be¬<lb/>
fördert. Auch hat ſich die Hautoberfläche mehrfach bei dir<lb/>ſchon in beſtimmter Weiſe ſelber wieder in die Arbeit geteilt.<lb/>
Zwei Stellen, die Augen, paſſen ausſchließlich auf Lichtreize.<lb/>
Zwei, die Ohren, nur auf Gehörsreize. Zwei in der Naſe ledig¬<lb/>
lich auf Geruchsreize. In dieſem Falle haben ſich ſogar dieſe<lb/>
äußeren Aufnahmeſtellen nochmals wieder etwas eingeſenkt und<lb/>
geſchützt: die Netzhautſtellen für das Licht liegen tief hinter einer<lb/>
durchſichtigen Oberhautſtelle; ebenſo iſt das Ohr eine geſchloſſene<lb/>
Kapſel geworden; und die Naſe bildet mindeſtens eine Taſche<lb/>
mit ihrer riechenden Schleimhaut.</p><lb/><p>Nur die Reaktion auf Druck und Temperatur iſt faſt der<lb/>
ganzen Hautoberfläche gemeinſam geblieben, — wo ich dich an<lb/>
Arm oder Bein oder Schulter oder Bruſt mit der Nadel pike,<lb/>
fühlſt du es und zwar unangenehm als Schmerz, und ebenſo<lb/>
fühlſt du mit jeder dieſer Stellen auch die wohlige Wärme der<lb/>
Sonne da droben.</p><lb/><p>Indeſſen alle dieſe Verfeinerungen und Verwickelungen<lb/>ſind Schritt für Schritt erſt zwiſchen den älteſten Hauttieren<lb/>
und dir entſtanden. Noch haſt du Tiere deutlich heute vor<lb/>
dir, bei denen die ganze wirkliche Oberhaut auch das ganze<lb/>
Gehirn noch darſtellt und in ihrer Ganzheit hört oder Licht<lb/>
empfindet. Und erſt allmählich ſiehſt du das Gehirn ſich ſondern<lb/>
als eine Zentralſtelle, die alle Empfindungen ſämtlicher Haupt¬<lb/>
zellen noch wieder in eins greift wie eine Spinne die Fäden<lb/></p></div></body></text></TEI>
[310/0326]
ihre „Fühlung“ im eigentlichſten Sinne mit der Körperober¬
fläche, alſo dem alten echten Sitze der Haut.
Noch immer, auch bei dir, nimmt dieſe Außenhaut zunächſt
die Lichtwellen, wie die Schallwellen, das ärgerliche Piken der
Nadel wie die behagliche Wärme der Maienſonne und ſo weiter
und weiter zunächſt auf. Der eigentliche Sitz der Empfindung
iſt dann freilich nicht mehr gleich an der Aufnahmeſtelle der
Oberfläche, ſondern es ſchaltet ſich noch der Telegraphendraht
des Nervs ein, der den Licht-, Schall-, Stoß- oder Wärmereiz
ins innere Hautorgan, alſo das Rückenmark und Gehirn, be¬
fördert. Auch hat ſich die Hautoberfläche mehrfach bei dir
ſchon in beſtimmter Weiſe ſelber wieder in die Arbeit geteilt.
Zwei Stellen, die Augen, paſſen ausſchließlich auf Lichtreize.
Zwei, die Ohren, nur auf Gehörsreize. Zwei in der Naſe ledig¬
lich auf Geruchsreize. In dieſem Falle haben ſich ſogar dieſe
äußeren Aufnahmeſtellen nochmals wieder etwas eingeſenkt und
geſchützt: die Netzhautſtellen für das Licht liegen tief hinter einer
durchſichtigen Oberhautſtelle; ebenſo iſt das Ohr eine geſchloſſene
Kapſel geworden; und die Naſe bildet mindeſtens eine Taſche
mit ihrer riechenden Schleimhaut.
Nur die Reaktion auf Druck und Temperatur iſt faſt der
ganzen Hautoberfläche gemeinſam geblieben, — wo ich dich an
Arm oder Bein oder Schulter oder Bruſt mit der Nadel pike,
fühlſt du es und zwar unangenehm als Schmerz, und ebenſo
fühlſt du mit jeder dieſer Stellen auch die wohlige Wärme der
Sonne da droben.
Indeſſen alle dieſe Verfeinerungen und Verwickelungen
ſind Schritt für Schritt erſt zwiſchen den älteſten Hauttieren
und dir entſtanden. Noch haſt du Tiere deutlich heute vor
dir, bei denen die ganze wirkliche Oberhaut auch das ganze
Gehirn noch darſtellt und in ihrer Ganzheit hört oder Licht
empfindet. Und erſt allmählich ſiehſt du das Gehirn ſich ſondern
als eine Zentralſtelle, die alle Empfindungen ſämtlicher Haupt¬
zellen noch wieder in eins greift wie eine Spinne die Fäden
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/326>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.