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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Oder die Kraftwelle, die Mayerisch und Helmholtzisch ein¬
heitlich von dem Nadelstich bis zum Au deinen Leib durch¬
quert, giebt auf irgend einer Teilstrecke innerhalb des Gehirns
so und so viel Prozent Kraft ab zur Entwickelung der kuriosen
Nebenerscheinung, die wir Empfindung nennen.

Du kannst aber auch mit Dubois Reymond (es hatten's
andere vordem schon schärfer gethan!) jedes Durcheinander¬
schmeißen und Auseinanderentwickeln von mechanischer Kraft
und Empfindung für ein logisches Unding erklären. Und
du kannst im Sinne eines sogenannten Parallelismus die
mechanische Kette auch durch dein Gehirn vom Piken bis zum
Au für eine in sich geschlossene halten, über der aber gleich¬
zeitig die Empfindungslinie wie ein geheimnisvoller Regenbogen
parallel erglänzt, ohne "erzeugt" vom Mechanischen aus zu sein.

Willst du konsequent sein nach dieser Seite, so wirst du
diesen seelischen Regenbogen aber wohl noch viel weiter spannen
müssen: du wirst sagen, daß schon jede ins Gehirn eintretende
Kraftwelle eine seelische Parallele mitbringt. Also auch das
Piken der Nadel. Und das dieses Piken also seelisch ebenso
empfunden, als "Schmerz" empfunden wird, wie mechanisch
sein Stoß als Kraftwelle eine Rolle in dem Mechanismus
spielt. Und daß mit dem Au eine seelische Parallele zum
mechanischen Abströmen dich auch ebenso wieder verläßt.

Die Lust mag dich an dieser Ecke anwandeln, diese
wunderliche Parallelerei nochmals nachträglich zu vereinfachen.

Zuerst wirst du fragen, ob sie nicht bloß ein Anschauen
desselben Dings von zwei Seiten bedeute: nämlich erstens von
einer innerlichen subjektiven und zweitens von einer veräußer¬
lichten, gewaltsam objektiven. Die Empfindung wäre der sub¬
jektive, die mechanische Kraftwelle der objektive Anblick desselben
Dinges. Das Ding selber also wäre nicht mehr dualistisch,
sondern die Zweiheit, der Dualismus steckte bloß noch in deiner
Anschauungsweise.

Hier denn endlich könnte dich sehr gut die Lust anwandeln,

Oder die Kraftwelle, die Mayeriſch und Helmholtziſch ein¬
heitlich von dem Nadelſtich bis zum Au deinen Leib durch¬
quert, giebt auf irgend einer Teilſtrecke innerhalb des Gehirns
ſo und ſo viel Prozent Kraft ab zur Entwickelung der kurioſen
Nebenerſcheinung, die wir Empfindung nennen.

Du kannſt aber auch mit Dubois Reymond (es hatten's
andere vordem ſchon ſchärfer gethan!) jedes Durcheinander¬
ſchmeißen und Auseinanderentwickeln von mechaniſcher Kraft
und Empfindung für ein logiſches Unding erklären. Und
du kannſt im Sinne eines ſogenannten Parallelismus die
mechaniſche Kette auch durch dein Gehirn vom Piken bis zum
Au für eine in ſich geſchloſſene halten, über der aber gleich¬
zeitig die Empfindungslinie wie ein geheimnisvoller Regenbogen
parallel erglänzt, ohne „erzeugt“ vom Mechaniſchen aus zu ſein.

Willſt du konſequent ſein nach dieſer Seite, ſo wirſt du
dieſen ſeeliſchen Regenbogen aber wohl noch viel weiter ſpannen
müſſen: du wirſt ſagen, daß ſchon jede ins Gehirn eintretende
Kraftwelle eine ſeeliſche Parallele mitbringt. Alſo auch das
Piken der Nadel. Und das dieſes Piken alſo ſeeliſch ebenſo
empfunden, als „Schmerz“ empfunden wird, wie mechaniſch
ſein Stoß als Kraftwelle eine Rolle in dem Mechanismus
ſpielt. Und daß mit dem Au eine ſeeliſche Parallele zum
mechaniſchen Abſtrömen dich auch ebenſo wieder verläßt.

Die Luſt mag dich an dieſer Ecke anwandeln, dieſe
wunderliche Parallelerei nochmals nachträglich zu vereinfachen.

Zuerſt wirſt du fragen, ob ſie nicht bloß ein Anſchauen
desſelben Dings von zwei Seiten bedeute: nämlich erſtens von
einer innerlichen ſubjektiven und zweitens von einer veräußer¬
lichten, gewaltſam objektiven. Die Empfindung wäre der ſub¬
jektive, die mechaniſche Kraftwelle der objektive Anblick desſelben
Dinges. Das Ding ſelber alſo wäre nicht mehr dualiſtiſch,
ſondern die Zweiheit, der Dualismus ſteckte bloß noch in deiner
Anſchauungsweiſe.

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[298/0314] Oder die Kraftwelle, die Mayeriſch und Helmholtziſch ein¬ heitlich von dem Nadelſtich bis zum Au deinen Leib durch¬ quert, giebt auf irgend einer Teilſtrecke innerhalb des Gehirns ſo und ſo viel Prozent Kraft ab zur Entwickelung der kurioſen Nebenerſcheinung, die wir Empfindung nennen. Du kannſt aber auch mit Dubois Reymond (es hatten's andere vordem ſchon ſchärfer gethan!) jedes Durcheinander¬ ſchmeißen und Auseinanderentwickeln von mechaniſcher Kraft und Empfindung für ein logiſches Unding erklären. Und du kannſt im Sinne eines ſogenannten Parallelismus die mechaniſche Kette auch durch dein Gehirn vom Piken bis zum Au für eine in ſich geſchloſſene halten, über der aber gleich¬ zeitig die Empfindungslinie wie ein geheimnisvoller Regenbogen parallel erglänzt, ohne „erzeugt“ vom Mechaniſchen aus zu ſein. Willſt du konſequent ſein nach dieſer Seite, ſo wirſt du dieſen ſeeliſchen Regenbogen aber wohl noch viel weiter ſpannen müſſen: du wirſt ſagen, daß ſchon jede ins Gehirn eintretende Kraftwelle eine ſeeliſche Parallele mitbringt. Alſo auch das Piken der Nadel. Und das dieſes Piken alſo ſeeliſch ebenſo empfunden, als „Schmerz“ empfunden wird, wie mechaniſch ſein Stoß als Kraftwelle eine Rolle in dem Mechanismus ſpielt. Und daß mit dem Au eine ſeeliſche Parallele zum mechaniſchen Abſtrömen dich auch ebenſo wieder verläßt. Die Luſt mag dich an dieſer Ecke anwandeln, dieſe wunderliche Parallelerei nochmals nachträglich zu vereinfachen. Zuerſt wirſt du fragen, ob ſie nicht bloß ein Anſchauen desſelben Dings von zwei Seiten bedeute: nämlich erſtens von einer innerlichen ſubjektiven und zweitens von einer veräußer¬ lichten, gewaltſam objektiven. Die Empfindung wäre der ſub¬ jektive, die mechaniſche Kraftwelle der objektive Anblick desſelben Dinges. Das Ding ſelber alſo wäre nicht mehr dualiſtiſch, ſondern die Zweiheit, der Dualismus ſteckte bloß noch in deiner Anſchauungsweiſe. Hier denn endlich könnte dich ſehr gut die Luſt anwandeln,

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/314>, abgerufen am 23.11.2024.