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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Zwang der "Luft" dabei alle drei lungenartig luftathmende
Organe entwickelt. Der Flügel ist vom Vogel selbständig
erfunden worden, aber ebenso von der Fledermaus, von der
Flugeidechse Pterodactylus und in etwas veränderter Form
bei gleicher Leistung auch vom Schmetterling. Bei so und
so viel himmelweit getrennten Tiergruppen hat das Licht¬
bedürfnis regelrechte Augen geschaffen. Und so fort.

In diesem Sinne ist auch das Begattungsglied ein
Kollektivprodukt. Wo immer bei den streng gesonderten großen
Tierstämmen das Bedürfnis auftauchte, die Begattung mög¬
lichst eng zu gestalten, da trat auch die ähnliche Bildung
einer eingebohrten Liebesschraube auf. Die Geschlechter ver¬
nagelten sich momentweise ineinander und das Glied mußte
den Nagel hergeben. Ein letztes Stück Distance noch in den
Weibeskörper hinein wurde zum Mischakt abgekürzt und
gleichzeitig ein mechanischer Halt während des Aktes für die
großen Zellleiber der zeugenden Hälften des Liebes-Individuums
geschaffen.

Diese Grundmechanik war zu simpel, um nicht hundert¬
mal genau so sich zu ergeben wie die Regennässe auf der
Haut jener beiden weit getrennten Menschenkinder. Und so
findest du ein männliches Glied bei allerhand wirbellosen
Tieren bereits. Du erinnerst dich an die Schnecken, von
denen wir früher gesprochen haben, an die Insekten, an ge¬
wisse Würmer. Beim Tintenfisch, der den Schnecken zunächst
steht, war ein Arm, also im buchstäblichen Sinne ein Glied,
dazu umgeformt. Und die Spinne machte die Sache gar mit
den Kiefern. Alle diese separaten Methoden aber interessieren
uns jetzt nicht weiter. Wir suchen speziell nur noch in der
menschlichen Linie vom Fisch etwa an aufwärts. Wie die
Sache hier erfunden wurde, das trifft auf uns und erklärt
uns selber unmittelbar. Erklärt unsere menschlichen "Liebes¬
absurditäten". Aber ich denke, du bist schon nicht mehr so
kühn, von solchen Absurditäten ernstlich zu sprechen.

Zwang der „Luft“ dabei alle drei lungenartig luftathmende
Organe entwickelt. Der Flügel iſt vom Vogel ſelbſtändig
erfunden worden, aber ebenſo von der Fledermaus, von der
Flugeidechſe Pterodactylus und in etwas veränderter Form
bei gleicher Leiſtung auch vom Schmetterling. Bei ſo und
ſo viel himmelweit getrennten Tiergruppen hat das Licht¬
bedürfnis regelrechte Augen geſchaffen. Und ſo fort.

In dieſem Sinne iſt auch das Begattungsglied ein
Kollektivprodukt. Wo immer bei den ſtreng geſonderten großen
Tierſtämmen das Bedürfnis auftauchte, die Begattung mög¬
lichſt eng zu geſtalten, da trat auch die ähnliche Bildung
einer eingebohrten Liebesſchraube auf. Die Geſchlechter ver¬
nagelten ſich momentweiſe ineinander und das Glied mußte
den Nagel hergeben. Ein letztes Stück Diſtance noch in den
Weibeskörper hinein wurde zum Miſchakt abgekürzt und
gleichzeitig ein mechaniſcher Halt während des Aktes für die
großen Zellleiber der zeugenden Hälften des Liebes-Individuums
geſchaffen.

Dieſe Grundmechanik war zu ſimpel, um nicht hundert¬
mal genau ſo ſich zu ergeben wie die Regennäſſe auf der
Haut jener beiden weit getrennten Menſchenkinder. Und ſo
findeſt du ein männliches Glied bei allerhand wirbelloſen
Tieren bereits. Du erinnerſt dich an die Schnecken, von
denen wir früher geſprochen haben, an die Inſekten, an ge¬
wiſſe Würmer. Beim Tintenfiſch, der den Schnecken zunächſt
ſteht, war ein Arm, alſo im buchſtäblichen Sinne ein Glied,
dazu umgeformt. Und die Spinne machte die Sache gar mit
den Kiefern. Alle dieſe ſeparaten Methoden aber intereſſieren
uns jetzt nicht weiter. Wir ſuchen ſpeziell nur noch in der
menſchlichen Linie vom Fiſch etwa an aufwärts. Wie die
Sache hier erfunden wurde, das trifft auf uns und erklärt
uns ſelber unmittelbar. Erklärt unſere menſchlichen „Liebes¬
abſurditäten“. Aber ich denke, du biſt ſchon nicht mehr ſo
kühn, von ſolchen Abſurditäten ernſtlich zu ſprechen.

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[269/0285] Zwang der „Luft“ dabei alle drei lungenartig luftathmende Organe entwickelt. Der Flügel iſt vom Vogel ſelbſtändig erfunden worden, aber ebenſo von der Fledermaus, von der Flugeidechſe Pterodactylus und in etwas veränderter Form bei gleicher Leiſtung auch vom Schmetterling. Bei ſo und ſo viel himmelweit getrennten Tiergruppen hat das Licht¬ bedürfnis regelrechte Augen geſchaffen. Und ſo fort. In dieſem Sinne iſt auch das Begattungsglied ein Kollektivprodukt. Wo immer bei den ſtreng geſonderten großen Tierſtämmen das Bedürfnis auftauchte, die Begattung mög¬ lichſt eng zu geſtalten, da trat auch die ähnliche Bildung einer eingebohrten Liebesſchraube auf. Die Geſchlechter ver¬ nagelten ſich momentweiſe ineinander und das Glied mußte den Nagel hergeben. Ein letztes Stück Diſtance noch in den Weibeskörper hinein wurde zum Miſchakt abgekürzt und gleichzeitig ein mechaniſcher Halt während des Aktes für die großen Zellleiber der zeugenden Hälften des Liebes-Individuums geſchaffen. Dieſe Grundmechanik war zu ſimpel, um nicht hundert¬ mal genau ſo ſich zu ergeben wie die Regennäſſe auf der Haut jener beiden weit getrennten Menſchenkinder. Und ſo findeſt du ein männliches Glied bei allerhand wirbelloſen Tieren bereits. Du erinnerſt dich an die Schnecken, von denen wir früher geſprochen haben, an die Inſekten, an ge¬ wiſſe Würmer. Beim Tintenfiſch, der den Schnecken zunächſt ſteht, war ein Arm, alſo im buchſtäblichen Sinne ein Glied, dazu umgeformt. Und die Spinne machte die Sache gar mit den Kiefern. Alle dieſe ſeparaten Methoden aber intereſſieren uns jetzt nicht weiter. Wir ſuchen ſpeziell nur noch in der menſchlichen Linie vom Fiſch etwa an aufwärts. Wie die Sache hier erfunden wurde, das trifft auf uns und erklärt uns ſelber unmittelbar. Erklärt unſere menſchlichen „Liebes¬ abſurditäten“. Aber ich denke, du biſt ſchon nicht mehr ſo kühn, von ſolchen Abſurditäten ernſtlich zu ſprechen.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/285>, abgerufen am 22.11.2024.