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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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fidel. Eine Sorte Neunaugen entwickelt, wie die Auster,
nacheinander im gleichen Leibe reifen Samen und reife Eier.
Echte Fische aus der Gruppe der Barsche (die sogenannten
Sägebarsche) und der Brassen (die Goldbrassen) sind Herm¬
aphroditen vom reinsten Wasser, die "übers Kreuz" doppelt
miteinander zeugen. Kein Göttergebot hätte bei dir einzu¬
greifen brauchen, als du noch in dieser Region stecktest. Und
Aristophanes hätte hier eher Rat gewußt, der die Götter
eines Tages die doppelgeschlechtigen Menschen erst in zwei
Hälften, Mann und Weib, nachträglich auseinanderspalten läßt.

Nun also: diese Zwitterei hat offenbar eine Weile noch
in jene Urinfrage hineingespielt.

Längere Zeit muß das Ausfuhr-Problem eigentlich ein
dreifaches gewesen sein. In einem und demselben Individuum
handelte es sich erstens um den Urin, zweitens um den
Samen und drittens um die Eier. Wenn Samen und Eier
zu verschiedenen Zeiten erzeugt wurden, wie bei den heutigen
Inger-Neunaugen, so war es ja wohl sehr gleichgültig, ob
sie jedes für sich denselben Ausgangskanal passierten: in die
Gefahr einer inneren Mischung und Selbstbefruchtung kamen
sie ja doch nicht. Aber sobald jene gleichzeitige Erzeugung
beider Stoffe in jedem Individuum, wie wir sie noch bei den
Barschen und Brassen haben, einmal eintrat, mußte ein Be¬
dürfnis nach Trennung der Kanäle auch für diese verschiedenen
und gegensätzlichen Geschlechtsstoffe noch wieder unter sich stark
werden, ganz abgesehen vom Urin. Hier scheint jetzt früh
der folgende Ausweg eingetreten zu sein.

Der jederseitige Urinkanal hatte sich allmählich in je
zwei Kanäle vollständig bis zum Ausgang geteilt, der eine
ausgesprochen als Urinkanal gespeist von den Nierenfiltern,
der andere als Geschlechtskanal von den Geschlechtsorganen
befrachtet. Jetzt regelte sich die Sache aber so, daß die
beiden Geschlechtsorgane sich voneinander separierten hinsichtlich
ihres Frachtweges. Das weibliche Organ, das Eier erzeugte,

fidel. Eine Sorte Neunaugen entwickelt, wie die Auſter,
nacheinander im gleichen Leibe reifen Samen und reife Eier.
Echte Fiſche aus der Gruppe der Barſche (die ſogenannten
Sägebarſche) und der Braſſen (die Goldbraſſen) ſind Herm¬
aphroditen vom reinſten Waſſer, die „übers Kreuz“ doppelt
miteinander zeugen. Kein Göttergebot hätte bei dir einzu¬
greifen brauchen, als du noch in dieſer Region ſteckteſt. Und
Ariſtophanes hätte hier eher Rat gewußt, der die Götter
eines Tages die doppelgeſchlechtigen Menſchen erſt in zwei
Hälften, Mann und Weib, nachträglich auseinanderſpalten läßt.

Nun alſo: dieſe Zwitterei hat offenbar eine Weile noch
in jene Urinfrage hineingeſpielt.

Längere Zeit muß das Ausfuhr-Problem eigentlich ein
dreifaches geweſen ſein. In einem und demſelben Individuum
handelte es ſich erſtens um den Urin, zweitens um den
Samen und drittens um die Eier. Wenn Samen und Eier
zu verſchiedenen Zeiten erzeugt wurden, wie bei den heutigen
Inger-Neunaugen, ſo war es ja wohl ſehr gleichgültig, ob
ſie jedes für ſich denſelben Ausgangskanal paſſierten: in die
Gefahr einer inneren Miſchung und Selbſtbefruchtung kamen
ſie ja doch nicht. Aber ſobald jene gleichzeitige Erzeugung
beider Stoffe in jedem Individuum, wie wir ſie noch bei den
Barſchen und Braſſen haben, einmal eintrat, mußte ein Be¬
dürfnis nach Trennung der Kanäle auch für dieſe verſchiedenen
und gegenſätzlichen Geſchlechtsſtoffe noch wieder unter ſich ſtark
werden, ganz abgeſehen vom Urin. Hier ſcheint jetzt früh
der folgende Ausweg eingetreten zu ſein.

Der jederſeitige Urinkanal hatte ſich allmählich in je
zwei Kanäle vollſtändig bis zum Ausgang geteilt, der eine
ausgeſprochen als Urinkanal geſpeiſt von den Nierenfiltern,
der andere als Geſchlechtskanal von den Geſchlechtsorganen
befrachtet. Jetzt regelte ſich die Sache aber ſo, daß die
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[251/0267] fidel. Eine Sorte Neunaugen entwickelt, wie die Auſter, nacheinander im gleichen Leibe reifen Samen und reife Eier. Echte Fiſche aus der Gruppe der Barſche (die ſogenannten Sägebarſche) und der Braſſen (die Goldbraſſen) ſind Herm¬ aphroditen vom reinſten Waſſer, die „übers Kreuz“ doppelt miteinander zeugen. Kein Göttergebot hätte bei dir einzu¬ greifen brauchen, als du noch in dieſer Region ſteckteſt. Und Ariſtophanes hätte hier eher Rat gewußt, der die Götter eines Tages die doppelgeſchlechtigen Menſchen erſt in zwei Hälften, Mann und Weib, nachträglich auseinanderſpalten läßt. Nun alſo: dieſe Zwitterei hat offenbar eine Weile noch in jene Urinfrage hineingeſpielt. Längere Zeit muß das Ausfuhr-Problem eigentlich ein dreifaches geweſen ſein. In einem und demſelben Individuum handelte es ſich erſtens um den Urin, zweitens um den Samen und drittens um die Eier. Wenn Samen und Eier zu verſchiedenen Zeiten erzeugt wurden, wie bei den heutigen Inger-Neunaugen, ſo war es ja wohl ſehr gleichgültig, ob ſie jedes für ſich denſelben Ausgangskanal paſſierten: in die Gefahr einer inneren Miſchung und Selbſtbefruchtung kamen ſie ja doch nicht. Aber ſobald jene gleichzeitige Erzeugung beider Stoffe in jedem Individuum, wie wir ſie noch bei den Barſchen und Braſſen haben, einmal eintrat, mußte ein Be¬ dürfnis nach Trennung der Kanäle auch für dieſe verſchiedenen und gegenſätzlichen Geſchlechtsſtoffe noch wieder unter ſich ſtark werden, ganz abgeſehen vom Urin. Hier ſcheint jetzt früh der folgende Ausweg eingetreten zu ſein. Der jederſeitige Urinkanal hatte ſich allmählich in je zwei Kanäle vollſtändig bis zum Ausgang geteilt, der eine ausgeſprochen als Urinkanal geſpeiſt von den Nierenfiltern, der andere als Geſchlechtskanal von den Geſchlechtsorganen befrachtet. Jetzt regelte ſich die Sache aber ſo, daß die beiden Geſchlechtsorgane ſich voneinander ſeparierten hinſichtlich ihres Frachtweges. Das weibliche Organ, das Eier erzeugte,

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/267>, abgerufen am 11.05.2024.