Erde, um die Sonne sich rollend, grünend, in der Walpurgis¬ freude irgend eines Frühlings, wie schon so viel tausend und tausend Mal -- und da der Mensch auf ihr ....
Die Nebel dort unten über dem See wallen und ziehen. Ein leiser Wind hat sich aufgemacht, wie ein allererster Vor¬ morgengruß. Drüben ist auf einmal ein Stück Weite wie aufgehaucht in dem weißgrünen Nebelfeld. Ein schwarzer Riß. Und in dem Riß geisterhaft einsam schwebend, wie zwischen Himmel und Erde, ein rötliches Licht. Von dem kleinen Dorf herüber, das dort unsichtbar am Seeseingang in der Nacht hängt. Der Nebel greift darunter und darüber mit weißem Arm. Wenn er den Arm etwas sinken läßt, wird er es wieder begraben.
[Abbildung]
Und mir ist, der Blick gleitet durch Jahrhunderte, durch Jahrtausende zurück, -- immer in diesem grünen Nebel und vor diesem roten Licht, zurück und zurück. Wie eine leise Musik läutet der Gedanke in mich hinein aus all dem Nebel, der uralte Philosophengedanke: daß die Dinge der Welt eine ewige Gegenwart sind, ein ewig Heilig-Seiendes, und daß nur der gewordene Mensch den Zeitbegriff wie ein verschieb¬ bares Mikroskop gegen diesen unermeßlichen Weltenteppich lenkt, bald aufwärts, bald abwärts, als Vergangenheit, als Zukunft, als Jetzt ......
Das Mikroskop schiebt sich und schiebt sich -- über schnur¬ grade Eisenbahnlinien, deren feuchtes Metall zwischen dem roten Haidekraut und dem rauchschwarzen Kiefernforst blitzt, -- über alte, schlechte, sandige Landstraßen, auf denen der Postwagen rumpelt, -- über Ritterburgen und bunte gothische Fenster, -- über wilden Wald, in dem ein Einsiedler betet, während draußen die Wölfe heulen und fern der Kriegsschrecken tobt, -- über wendische Götzen, vor denen rotes Blut aus
Erde, um die Sonne ſich rollend, grünend, in der Walpurgis¬ freude irgend eines Frühlings, wie ſchon ſo viel tauſend und tauſend Mal — und da der Menſch auf ihr ....
Die Nebel dort unten über dem See wallen und ziehen. Ein leiſer Wind hat ſich aufgemacht, wie ein allererſter Vor¬ morgengruß. Drüben iſt auf einmal ein Stück Weite wie aufgehaucht in dem weißgrünen Nebelfeld. Ein ſchwarzer Riß. Und in dem Riß geiſterhaft einſam ſchwebend, wie zwiſchen Himmel und Erde, ein rötliches Licht. Von dem kleinen Dorf herüber, das dort unſichtbar am Seeſeingang in der Nacht hängt. Der Nebel greift darunter und darüber mit weißem Arm. Wenn er den Arm etwas ſinken läßt, wird er es wieder begraben.
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Und mir iſt, der Blick gleitet durch Jahrhunderte, durch Jahrtauſende zurück, — immer in dieſem grünen Nebel und vor dieſem roten Licht, zurück und zurück. Wie eine leiſe Muſik läutet der Gedanke in mich hinein aus all dem Nebel, der uralte Philoſophengedanke: daß die Dinge der Welt eine ewige Gegenwart ſind, ein ewig Heilig-Seiendes, und daß nur der gewordene Menſch den Zeitbegriff wie ein verſchieb¬ bares Mikroſkop gegen dieſen unermeßlichen Weltenteppich lenkt, bald aufwärts, bald abwärts, als Vergangenheit, als Zukunft, als Jetzt ......
Das Mikroſkop ſchiebt ſich und ſchiebt ſich — über ſchnur¬ grade Eiſenbahnlinien, deren feuchtes Metall zwiſchen dem roten Haidekraut und dem rauchſchwarzen Kiefernforſt blitzt, — über alte, ſchlechte, ſandige Landſtraßen, auf denen der Poſtwagen rumpelt, — über Ritterburgen und bunte gothiſche Fenſter, — über wilden Wald, in dem ein Einſiedler betet, während draußen die Wölfe heulen und fern der Kriegsſchrecken tobt, — über wendiſche Götzen, vor denen rotes Blut aus
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Erde, um die Sonne ſich rollend, grünend, in der Walpurgis¬
freude irgend eines Frühlings, wie ſchon ſo viel tauſend und
tauſend Mal — und da der Menſch auf ihr ....
Die Nebel dort unten über dem See wallen und ziehen.
Ein leiſer Wind hat ſich aufgemacht, wie ein allererſter Vor¬
morgengruß. Drüben iſt auf einmal ein Stück Weite wie
aufgehaucht in dem weißgrünen Nebelfeld. Ein ſchwarzer Riß.
Und in dem Riß geiſterhaft einſam ſchwebend, wie zwiſchen
Himmel und Erde, ein rötliches Licht. Von dem kleinen Dorf
herüber, das dort unſichtbar am Seeſeingang in der Nacht
hängt. Der Nebel greift darunter und darüber mit weißem
Arm. Wenn er den Arm etwas ſinken läßt, wird er es wieder
begraben.
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Und mir iſt, der Blick gleitet durch Jahrhunderte, durch
Jahrtauſende zurück, — immer in dieſem grünen Nebel und
vor dieſem roten Licht, zurück und zurück. Wie eine leiſe
Muſik läutet der Gedanke in mich hinein aus all dem Nebel,
der uralte Philoſophengedanke: daß die Dinge der Welt eine
ewige Gegenwart ſind, ein ewig Heilig-Seiendes, und daß
nur der gewordene Menſch den Zeitbegriff wie ein verſchieb¬
bares Mikroſkop gegen dieſen unermeßlichen Weltenteppich lenkt,
bald aufwärts, bald abwärts, als Vergangenheit, als Zukunft,
als Jetzt ......
Das Mikroſkop ſchiebt ſich und ſchiebt ſich — über ſchnur¬
grade Eiſenbahnlinien, deren feuchtes Metall zwiſchen dem
roten Haidekraut und dem rauchſchwarzen Kiefernforſt blitzt,
— über alte, ſchlechte, ſandige Landſtraßen, auf denen der
Poſtwagen rumpelt, — über Ritterburgen und bunte gothiſche
Fenſter, — über wilden Wald, in dem ein Einſiedler betet,
während draußen die Wölfe heulen und fern der Kriegsſchrecken
tobt, — über wendiſche Götzen, vor denen rotes Blut aus
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/26>, abgerufen am 22.11.2024.
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