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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Des Weibes Leib hat ja in vielen Zügen ein altertümlicheres
Gepräge bewahrt als der des Mannes. Er ist konservativer
sozusagen. Wenn du ein nacktes Weib mit sinnendem Philosophen¬
blick anschaust, so hast du ein zäheres Stück Urwelt oder Urwelts¬
erinnerung als bei dir vor Augen. Im Weibe hast du intensiver
auf den ersten Blick das Säugetier vor dir. Das Weib weist, wie
genaueste wissenschaftliche Messungen ergeben, in allen feinen
Maßen seines Körperbaues stärkere Anklänge an das Kind auf,
als der Mann, -- das Kind aber wieder ist, in einem Zu¬
sammenhang offenbar mit jenem früher besprochenen bio¬
genetischen Grundgesetz, allemal dem Stammtypus, dem Ahnen¬
haften, Vorhergehenden noch weit ähnlicher als das erwachsene
Wesen. Du wirst aus diesen ungemein feinen und sinnigen
Schriftunterschieden der Natur bei ihrem Gesamtworte Mensch
natürlich nicht gewisse alberne Folgerungen ziehen, als wenn
das Weib nun etwa noch kurzweg das Tier wäre und der
Mann etwa schon der Herrgott, und vollends wirst du das
nicht hinauslügen bis auf mannesfreundliche Theorien über eine
geistige Minderwertigkeit der Frauen. Solche Schlüsse wären
etwa eben so albern wie wenn du sagen wolltest, der Mensch
stehe in der Linie vom Fisch zum Gott unter dem Pferde, --
sintemalen die Hand des Menschen mit ihren fünf Fingern
thatsächlich im Vergleich zu dem Vorderfuß des Pferdes mit
seiner einen Riesenzehe einen "altertümlicheren" Zug hat, der
vielmehr noch an die Eidechse erinnert, bei der die Hand¬
entwickelung mit jener Fünfzahl einsetzte. Gerade an der Hand
kannst du aber recht sehen: es kommt darauf an, was damit ge¬
macht und inwiefern ein Ding vergeistigt wird, mag die Grund¬
form nun an sich altertümlich oder jung ausschauen. Nur zu oft
in der Natur ist gerade das Altertümlichere, Kindlichere vor dem
Fortschritt wieder das Biegsamere, das Brauchbarere gewesen,
während das einseitig hoch Spezialisierte abfiel. Von solchem
Abfallen wollen wir ja auch beim Manne bei uns nun nicht
reden. In Wahrheit sind diese Alt- und Jungunterschiede der

Des Weibes Leib hat ja in vielen Zügen ein altertümlicheres
Gepräge bewahrt als der des Mannes. Er iſt konſervativer
ſozuſagen. Wenn du ein nacktes Weib mit ſinnendem Philoſophen¬
blick anſchauſt, ſo haſt du ein zäheres Stück Urwelt oder Urwelts¬
erinnerung als bei dir vor Augen. Im Weibe haſt du intenſiver
auf den erſten Blick das Säugetier vor dir. Das Weib weiſt, wie
genaueſte wiſſenſchaftliche Meſſungen ergeben, in allen feinen
Maßen ſeines Körperbaues ſtärkere Anklänge an das Kind auf,
als der Mann, — das Kind aber wieder iſt, in einem Zu¬
ſammenhang offenbar mit jenem früher beſprochenen bio¬
genetiſchen Grundgeſetz, allemal dem Stammtypus, dem Ahnen¬
haften, Vorhergehenden noch weit ähnlicher als das erwachſene
Weſen. Du wirſt aus dieſen ungemein feinen und ſinnigen
Schriftunterſchieden der Natur bei ihrem Geſamtworte Menſch
natürlich nicht gewiſſe alberne Folgerungen ziehen, als wenn
das Weib nun etwa noch kurzweg das Tier wäre und der
Mann etwa ſchon der Herrgott, und vollends wirſt du das
nicht hinauslügen bis auf mannesfreundliche Theorien über eine
geiſtige Minderwertigkeit der Frauen. Solche Schlüſſe wären
etwa eben ſo albern wie wenn du ſagen wollteſt, der Menſch
ſtehe in der Linie vom Fiſch zum Gott unter dem Pferde, —
ſintemalen die Hand des Menſchen mit ihren fünf Fingern
thatſächlich im Vergleich zu dem Vorderfuß des Pferdes mit
ſeiner einen Rieſenzehe einen „altertümlicheren“ Zug hat, der
vielmehr noch an die Eidechſe erinnert, bei der die Hand¬
entwickelung mit jener Fünfzahl einſetzte. Gerade an der Hand
kannſt du aber recht ſehen: es kommt darauf an, was damit ge¬
macht und inwiefern ein Ding vergeiſtigt wird, mag die Grund¬
form nun an ſich altertümlich oder jung ausſchauen. Nur zu oft
in der Natur iſt gerade das Altertümlichere, Kindlichere vor dem
Fortſchritt wieder das Biegſamere, das Brauchbarere geweſen,
während das einſeitig hoch Spezialiſierte abfiel. Von ſolchem
Abfallen wollen wir ja auch beim Manne bei uns nun nicht
reden. In Wahrheit ſind dieſe Alt- und Jungunterſchiede der

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[239/0255] Des Weibes Leib hat ja in vielen Zügen ein altertümlicheres Gepräge bewahrt als der des Mannes. Er iſt konſervativer ſozuſagen. Wenn du ein nacktes Weib mit ſinnendem Philoſophen¬ blick anſchauſt, ſo haſt du ein zäheres Stück Urwelt oder Urwelts¬ erinnerung als bei dir vor Augen. Im Weibe haſt du intenſiver auf den erſten Blick das Säugetier vor dir. Das Weib weiſt, wie genaueſte wiſſenſchaftliche Meſſungen ergeben, in allen feinen Maßen ſeines Körperbaues ſtärkere Anklänge an das Kind auf, als der Mann, — das Kind aber wieder iſt, in einem Zu¬ ſammenhang offenbar mit jenem früher beſprochenen bio¬ genetiſchen Grundgeſetz, allemal dem Stammtypus, dem Ahnen¬ haften, Vorhergehenden noch weit ähnlicher als das erwachſene Weſen. Du wirſt aus dieſen ungemein feinen und ſinnigen Schriftunterſchieden der Natur bei ihrem Geſamtworte Menſch natürlich nicht gewiſſe alberne Folgerungen ziehen, als wenn das Weib nun etwa noch kurzweg das Tier wäre und der Mann etwa ſchon der Herrgott, und vollends wirſt du das nicht hinauslügen bis auf mannesfreundliche Theorien über eine geiſtige Minderwertigkeit der Frauen. Solche Schlüſſe wären etwa eben ſo albern wie wenn du ſagen wollteſt, der Menſch ſtehe in der Linie vom Fiſch zum Gott unter dem Pferde, — ſintemalen die Hand des Menſchen mit ihren fünf Fingern thatſächlich im Vergleich zu dem Vorderfuß des Pferdes mit ſeiner einen Rieſenzehe einen „altertümlicheren“ Zug hat, der vielmehr noch an die Eidechſe erinnert, bei der die Hand¬ entwickelung mit jener Fünfzahl einſetzte. Gerade an der Hand kannſt du aber recht ſehen: es kommt darauf an, was damit ge¬ macht und inwiefern ein Ding vergeiſtigt wird, mag die Grund¬ form nun an ſich altertümlich oder jung ausſchauen. Nur zu oft in der Natur iſt gerade das Altertümlichere, Kindlichere vor dem Fortſchritt wieder das Biegſamere, das Brauchbarere geweſen, während das einſeitig hoch Spezialiſierte abfiel. Von ſolchem Abfallen wollen wir ja auch beim Manne bei uns nun nicht reden. In Wahrheit ſind dieſe Alt- und Jungunterſchiede der

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/255>, abgerufen am 22.11.2024.