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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Die Leibeshöhle hatte sich gebildet, und tief drinnen in
dieser Höhle zwischen Magenwand und Außenwand des Leibes
lagen im schönsten Tabernakel fortan die Stellen, wo Samen oder
Eier abgespalten wurden. In ihrer guten Schutzlage gestalteten
sie sich allmählich zu festen Organen aus, die zur rechten Zeit je
ihren Samen oder ihre Eier von sich gaben. Von sich gaben
aber jetzt -- wohin? Eier wie Samen fielen ja jetzt nicht
in den offenen Schlund, sondern zunächst in die rings ge¬
schlossene Leibeshöhle. Es hatte zweifellos seinen guten Zweck
gehabt, daß die Handschuhfinger dieser Höhle hübsch zugewachsen
waren, damit ja die Dinge, die sich in ihnen als intimstes
inneres Körperleben zutragen und ausgestalten sollten, von
außen nicht gestört würden. Aber damit wären die Geschlechts¬
stoffe der Gefahr ausgeliefert worden, wie Münchhausens Schiff
in des Walfisches Bauch gesperrt zu werden. Fröhlich ist es
hineingefahren durch einen offenen Rachen, -- plötzlich macht
das Ungeheuer aber das Maul zu und nun sind Schiff und
Menschen im Bauche eingekerkert. Die Samen- und Eier¬
produktion mußte versuchen, nachdem sie ihren heiligen Graal
glücklich im innersten Heiligenschrein hatte, nun doch wenigstens
durch ein Mauseloch wieder herauszugelangen aus diesem Schrein,
wenn ihre Zeit da war, sich öffentlich zu produzieren.

Hier ergab sich nun eigentlich ein sehr simpler Weg.
Die Bauchhöhle mußte eben, sei es nun wo es sei, irgendwo
doch ein ganz kleines Loch wieder erhalten, gerade so groß,
daß die Samen- und Eizellen hindurchflitschen konnten.

Nimm ein Neunauge zur Hand. Du weißt, diese leckeren
Tierchen stehen deinem Stammbaum sehr nahe und zeigen dir im
Umriß wenigstens noch die Stelle, wo deine Ahnen standen, als
sie zuerst sich einen Schädel um ihr kleines Gehirnchen bildeten.
Beim Neunauge also ist die Sache wirklich so. Samen und
Eier bilden sich offen im Hohlraume des Leibes zwischen Darm¬
wand und Körperdecke. Sind sie reif, so fallen sie in die
Bauchhöhle und nun gilt's herauszukommen. Es verhilft aber

Die Leibeshöhle hatte ſich gebildet, und tief drinnen in
dieſer Höhle zwiſchen Magenwand und Außenwand des Leibes
lagen im ſchönſten Tabernakel fortan die Stellen, wo Samen oder
Eier abgeſpalten wurden. In ihrer guten Schutzlage geſtalteten
ſie ſich allmählich zu feſten Organen aus, die zur rechten Zeit je
ihren Samen oder ihre Eier von ſich gaben. Von ſich gaben
aber jetzt — wohin? Eier wie Samen fielen ja jetzt nicht
in den offenen Schlund, ſondern zunächſt in die rings ge¬
ſchloſſene Leibeshöhle. Es hatte zweifellos ſeinen guten Zweck
gehabt, daß die Handſchuhfinger dieſer Höhle hübſch zugewachſen
waren, damit ja die Dinge, die ſich in ihnen als intimſtes
inneres Körperleben zutragen und ausgeſtalten ſollten, von
außen nicht geſtört würden. Aber damit wären die Geſchlechts¬
ſtoffe der Gefahr ausgeliefert worden, wie Münchhauſens Schiff
in des Walfiſches Bauch geſperrt zu werden. Fröhlich iſt es
hineingefahren durch einen offenen Rachen, — plötzlich macht
das Ungeheuer aber das Maul zu und nun ſind Schiff und
Menſchen im Bauche eingekerkert. Die Samen- und Eier¬
produktion mußte verſuchen, nachdem ſie ihren heiligen Graal
glücklich im innerſten Heiligenſchrein hatte, nun doch wenigſtens
durch ein Mauſeloch wieder herauszugelangen aus dieſem Schrein,
wenn ihre Zeit da war, ſich öffentlich zu produzieren.

Hier ergab ſich nun eigentlich ein ſehr ſimpler Weg.
Die Bauchhöhle mußte eben, ſei es nun wo es ſei, irgendwo
doch ein ganz kleines Loch wieder erhalten, gerade ſo groß,
daß die Samen- und Eizellen hindurchflitſchen konnten.

Nimm ein Neunauge zur Hand. Du weißt, dieſe leckeren
Tierchen ſtehen deinem Stammbaum ſehr nahe und zeigen dir im
Umriß wenigſtens noch die Stelle, wo deine Ahnen ſtanden, als
ſie zuerſt ſich einen Schädel um ihr kleines Gehirnchen bildeten.
Beim Neunauge alſo iſt die Sache wirklich ſo. Samen und
Eier bilden ſich offen im Hohlraume des Leibes zwiſchen Darm¬
wand und Körperdecke. Sind ſie reif, ſo fallen ſie in die
Bauchhöhle und nun gilt's herauszukommen. Es verhilft aber

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[237/0253] Die Leibeshöhle hatte ſich gebildet, und tief drinnen in dieſer Höhle zwiſchen Magenwand und Außenwand des Leibes lagen im ſchönſten Tabernakel fortan die Stellen, wo Samen oder Eier abgeſpalten wurden. In ihrer guten Schutzlage geſtalteten ſie ſich allmählich zu feſten Organen aus, die zur rechten Zeit je ihren Samen oder ihre Eier von ſich gaben. Von ſich gaben aber jetzt — wohin? Eier wie Samen fielen ja jetzt nicht in den offenen Schlund, ſondern zunächſt in die rings ge¬ ſchloſſene Leibeshöhle. Es hatte zweifellos ſeinen guten Zweck gehabt, daß die Handſchuhfinger dieſer Höhle hübſch zugewachſen waren, damit ja die Dinge, die ſich in ihnen als intimſtes inneres Körperleben zutragen und ausgeſtalten ſollten, von außen nicht geſtört würden. Aber damit wären die Geſchlechts¬ ſtoffe der Gefahr ausgeliefert worden, wie Münchhauſens Schiff in des Walfiſches Bauch geſperrt zu werden. Fröhlich iſt es hineingefahren durch einen offenen Rachen, — plötzlich macht das Ungeheuer aber das Maul zu und nun ſind Schiff und Menſchen im Bauche eingekerkert. Die Samen- und Eier¬ produktion mußte verſuchen, nachdem ſie ihren heiligen Graal glücklich im innerſten Heiligenſchrein hatte, nun doch wenigſtens durch ein Mauſeloch wieder herauszugelangen aus dieſem Schrein, wenn ihre Zeit da war, ſich öffentlich zu produzieren. Hier ergab ſich nun eigentlich ein ſehr ſimpler Weg. Die Bauchhöhle mußte eben, ſei es nun wo es ſei, irgendwo doch ein ganz kleines Loch wieder erhalten, gerade ſo groß, daß die Samen- und Eizellen hindurchflitſchen konnten. Nimm ein Neunauge zur Hand. Du weißt, dieſe leckeren Tierchen ſtehen deinem Stammbaum ſehr nahe und zeigen dir im Umriß wenigſtens noch die Stelle, wo deine Ahnen ſtanden, als ſie zuerſt ſich einen Schädel um ihr kleines Gehirnchen bildeten. Beim Neunauge alſo iſt die Sache wirklich ſo. Samen und Eier bilden ſich offen im Hohlraume des Leibes zwiſchen Darm¬ wand und Körperdecke. Sind ſie reif, ſo fallen ſie in die Bauchhöhle und nun gilt's herauszukommen. Es verhilft aber

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/253>, abgerufen am 22.11.2024.