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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Halte also für dich bloß einmal an der ganz groben
Vorstellung des Handschuhfingers fest, der jederseits sich von
der Mundecke her einsenkte und, indem die Finger verschmolzen,
schließlich einen neuen, innerlichsten Schlauch um den Magen¬
schlauch herum bildete: eben die bewußte Leibeshöhle. Es lag
nun wirklich nahe, daß die Stellen des Tieres, wo sich ge¬
wohnheitsmäßig Samen oder Eier abspalteten, sich diese neu
eingesackte Höhle gerade zu Nutzen machten. Die Cyklopen¬
höhle des verdauenden Magens, wo ihre kostbaren Zellen
immerfort der Gefahr unterlagen, von Polyphem als einfaches
Ernährungsschaf mitgeschlachtet und mitgefressen zu werden,
war ihnen verleidet. So hatten sie sich nach Kräften schon
nächst dem Höhleneingange, also am Munde, festgesetzt. Aber
auch hier war noch ein windiger Fleck.

Denke dir bloß einmal, bei dir heute sollten die Hoden¬
säcke oder Eierstöcke etwa da liegen, wo die Mandeln jeder¬
seits vom Schlunde sitzen. Ich rede jetzt nicht davon, wie sich
der eigentliche Begattungsakt so vollziehen sollte, -- wir halten
ja einstweilen für den bloß erst das Bild jener Leib zu Leib
tanzenden Blaufelchen fest. Aber überlege, welche mit Arbeit
jeder Art überlastete Stelle dieser Schlund so wie so schon ist.
Hinab fließt und würgt sich der Strom flüssiger und fester
Nahrung. Hinab und hinauf weht die Luft für die ebenfalls
hier einmündende atmende Lunge, noch kompliziert durch
die Rolle der Kehle als Sprachorgan. Weiter vorne im
Munde liegt in Gestalt der Zunge ein feines chemisches Sinnes¬
organ, das bei der Auswahl der Nahrung eine hochwichtige
Rolle spielt. Dann liegen aber da auch schon gleichsam Vor¬
posten des Magens selbst, die schon hier die Verdauung ein¬
leiten: die Zähne zerkleinern als gröbste erste Handlanger die
Nahrung, die Speicheldrüsen schütten die erste lösende Sauce
darauf. Jetzt in diese wahrhaft schwindelnde Überlastung nun
noch die Zeugungsstoffe! Welche schier unvermeidliche Gefahr,
daß sie rein unwillkürlich hier zerbissen, vom Speichel ange¬

Halte alſo für dich bloß einmal an der ganz groben
Vorſtellung des Handſchuhfingers feſt, der jederſeits ſich von
der Mundecke her einſenkte und, indem die Finger verſchmolzen,
ſchließlich einen neuen, innerlichſten Schlauch um den Magen¬
ſchlauch herum bildete: eben die bewußte Leibeshöhle. Es lag
nun wirklich nahe, daß die Stellen des Tieres, wo ſich ge¬
wohnheitsmäßig Samen oder Eier abſpalteten, ſich dieſe neu
eingeſackte Höhle gerade zu Nutzen machten. Die Cyklopen¬
höhle des verdauenden Magens, wo ihre koſtbaren Zellen
immerfort der Gefahr unterlagen, von Polyphem als einfaches
Ernährungsſchaf mitgeſchlachtet und mitgefreſſen zu werden,
war ihnen verleidet. So hatten ſie ſich nach Kräften ſchon
nächſt dem Höhleneingange, alſo am Munde, feſtgeſetzt. Aber
auch hier war noch ein windiger Fleck.

Denke dir bloß einmal, bei dir heute ſollten die Hoden¬
ſäcke oder Eierſtöcke etwa da liegen, wo die Mandeln jeder¬
ſeits vom Schlunde ſitzen. Ich rede jetzt nicht davon, wie ſich
der eigentliche Begattungsakt ſo vollziehen ſollte, — wir halten
ja einſtweilen für den bloß erſt das Bild jener Leib zu Leib
tanzenden Blaufelchen feſt. Aber überlege, welche mit Arbeit
jeder Art überlaſtete Stelle dieſer Schlund ſo wie ſo ſchon iſt.
Hinab fließt und würgt ſich der Strom flüſſiger und feſter
Nahrung. Hinab und hinauf weht die Luft für die ebenfalls
hier einmündende atmende Lunge, noch kompliziert durch
die Rolle der Kehle als Sprachorgan. Weiter vorne im
Munde liegt in Geſtalt der Zunge ein feines chemiſches Sinnes¬
organ, das bei der Auswahl der Nahrung eine hochwichtige
Rolle ſpielt. Dann liegen aber da auch ſchon gleichſam Vor¬
poſten des Magens ſelbſt, die ſchon hier die Verdauung ein¬
leiten: die Zähne zerkleinern als gröbſte erſte Handlanger die
Nahrung, die Speicheldrüſen ſchütten die erſte löſende Sauce
darauf. Jetzt in dieſe wahrhaft ſchwindelnde Überlaſtung nun
noch die Zeugungsſtoffe! Welche ſchier unvermeidliche Gefahr,
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[235/0251] Halte alſo für dich bloß einmal an der ganz groben Vorſtellung des Handſchuhfingers feſt, der jederſeits ſich von der Mundecke her einſenkte und, indem die Finger verſchmolzen, ſchließlich einen neuen, innerlichſten Schlauch um den Magen¬ ſchlauch herum bildete: eben die bewußte Leibeshöhle. Es lag nun wirklich nahe, daß die Stellen des Tieres, wo ſich ge¬ wohnheitsmäßig Samen oder Eier abſpalteten, ſich dieſe neu eingeſackte Höhle gerade zu Nutzen machten. Die Cyklopen¬ höhle des verdauenden Magens, wo ihre koſtbaren Zellen immerfort der Gefahr unterlagen, von Polyphem als einfaches Ernährungsſchaf mitgeſchlachtet und mitgefreſſen zu werden, war ihnen verleidet. So hatten ſie ſich nach Kräften ſchon nächſt dem Höhleneingange, alſo am Munde, feſtgeſetzt. Aber auch hier war noch ein windiger Fleck. Denke dir bloß einmal, bei dir heute ſollten die Hoden¬ ſäcke oder Eierſtöcke etwa da liegen, wo die Mandeln jeder¬ ſeits vom Schlunde ſitzen. Ich rede jetzt nicht davon, wie ſich der eigentliche Begattungsakt ſo vollziehen ſollte, — wir halten ja einſtweilen für den bloß erſt das Bild jener Leib zu Leib tanzenden Blaufelchen feſt. Aber überlege, welche mit Arbeit jeder Art überlaſtete Stelle dieſer Schlund ſo wie ſo ſchon iſt. Hinab fließt und würgt ſich der Strom flüſſiger und feſter Nahrung. Hinab und hinauf weht die Luft für die ebenfalls hier einmündende atmende Lunge, noch kompliziert durch die Rolle der Kehle als Sprachorgan. Weiter vorne im Munde liegt in Geſtalt der Zunge ein feines chemiſches Sinnes¬ organ, das bei der Auswahl der Nahrung eine hochwichtige Rolle ſpielt. Dann liegen aber da auch ſchon gleichſam Vor¬ poſten des Magens ſelbſt, die ſchon hier die Verdauung ein¬ leiten: die Zähne zerkleinern als gröbſte erſte Handlanger die Nahrung, die Speicheldrüſen ſchütten die erſte löſende Sauce darauf. Jetzt in dieſe wahrhaft ſchwindelnde Überlaſtung nun noch die Zeugungsſtoffe! Welche ſchier unvermeidliche Gefahr, daß ſie rein unwillkürlich hier zerbiſſen, vom Speichel ange¬

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/251>, abgerufen am 22.11.2024.