Tischdecke darum herum überpulvert mit goldenem Staub, -- mit dem Haselsamen. Wo immer du in ihrer Liebeszeit unter den grünen Sonnenkindern wandelst, da umschwebt dich dieser Samengruß, aus Millionen und Millionen Köpfchen, Zäpfchen, Kätzchen auf gut Glück der rauschenden Luftwelle anvertraut. Vom Grasplan und vom Kornfeld schwillt es wie zarter, be¬ rauschender Duft. Aus den Kiefernkronen des Waldes wogt es nieder wie aphrodisischer Rauch, jeder Zapfen da oben eine Liebesflamme, von der ungezählte Pfeile strahlen. Ja, un¬ gezählte, unzählbare. Um den Raum von fünf Metern zwischen zwei Nesselstauden zu überbrücken, werden Milliarden von Samenzellen verbraucht. Wo gesellige Pflanzen viele Quadrat¬ meilen des Erdbodens in geringem Abstande voneinander be¬ decken, da wird jene höchste Steigerung fast wahr gemacht, daß die ganze Luftsäule darüber sich zeitweise mit Samenstaub durchsetze. Zeus, der auf einer befruchtenden Wolke über seine schöne Nymphe kam, wird zur Wirklichkeit. Goldene Wolken erheben sich im Anstoß des Windes vom Kiefernwald und fallen weithin auf Laubgehölz und Wiesen ein. Der Regen greift hindurch: da ballt es sich im Gewitternaß zu goldenen Strömen, die das Volk abergläubisch als Schwefel¬ regen bestaunt. Ja, vor Äonen muß das auf Erden ein noch viel gigantischeres Schauspiel gewesen sein. Über Erdteile weg dehnten sich in der sogenannten Steinkohlenperiode endlose einförmige Urwälder von Farrnkräutern, Schachtelhalmen und Bärlappgewächsen. Du kennst den Bärlappsamen, das Hexen¬ mehl, das weich wie ein Hauch dahinschwillt. Denke dir Erd¬ teile überwuchert mit solchem Bärlappkraut in haushohen Stämmen, und davon zur Sonne empordampfend jetzt den Hexenrauch. Einem fernen Beschauer vom Weltraume her hätte es vielleicht wie ein zarter Goldschimmer über der Erd¬ kugel geschwebt. Und wenn die ungeheuren Platzregen einer feuchten Sumpfzeit durch dieses Liebesnetz brachen, rissen sich schwefelgelbe Schlammströme ihre Bahn und im Flußdelta
Tiſchdecke darum herum überpulvert mit goldenem Staub, — mit dem Haſelſamen. Wo immer du in ihrer Liebeszeit unter den grünen Sonnenkindern wandelſt, da umſchwebt dich dieſer Samengruß, aus Millionen und Millionen Köpfchen, Zäpfchen, Kätzchen auf gut Glück der rauſchenden Luftwelle anvertraut. Vom Grasplan und vom Kornfeld ſchwillt es wie zarter, be¬ rauſchender Duft. Aus den Kiefernkronen des Waldes wogt es nieder wie aphrodiſiſcher Rauch, jeder Zapfen da oben eine Liebesflamme, von der ungezählte Pfeile ſtrahlen. Ja, un¬ gezählte, unzählbare. Um den Raum von fünf Metern zwiſchen zwei Neſſelſtauden zu überbrücken, werden Milliarden von Samenzellen verbraucht. Wo geſellige Pflanzen viele Quadrat¬ meilen des Erdbodens in geringem Abſtande voneinander be¬ decken, da wird jene höchſte Steigerung faſt wahr gemacht, daß die ganze Luftſäule darüber ſich zeitweiſe mit Samenſtaub durchſetze. Zeus, der auf einer befruchtenden Wolke über ſeine ſchöne Nymphe kam, wird zur Wirklichkeit. Goldene Wolken erheben ſich im Anſtoß des Windes vom Kiefernwald und fallen weithin auf Laubgehölz und Wieſen ein. Der Regen greift hindurch: da ballt es ſich im Gewitternaß zu goldenen Strömen, die das Volk abergläubiſch als Schwefel¬ regen beſtaunt. Ja, vor Äonen muß das auf Erden ein noch viel gigantiſcheres Schauſpiel geweſen ſein. Über Erdteile weg dehnten ſich in der ſogenannten Steinkohlenperiode endloſe einförmige Urwälder von Farrnkräutern, Schachtelhalmen und Bärlappgewächſen. Du kennſt den Bärlappſamen, das Hexen¬ mehl, das weich wie ein Hauch dahinſchwillt. Denke dir Erd¬ teile überwuchert mit ſolchem Bärlappkraut in haushohen Stämmen, und davon zur Sonne empordampfend jetzt den Hexenrauch. Einem fernen Beſchauer vom Weltraume her hätte es vielleicht wie ein zarter Goldſchimmer über der Erd¬ kugel geſchwebt. Und wenn die ungeheuren Platzregen einer feuchten Sumpfzeit durch dieſes Liebesnetz brachen, riſſen ſich ſchwefelgelbe Schlammſtröme ihre Bahn und im Flußdelta
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0216"n="200"/>
Tiſchdecke darum herum überpulvert mit goldenem Staub, —<lb/>
mit dem Haſelſamen. Wo immer du in ihrer Liebeszeit unter<lb/>
den grünen Sonnenkindern wandelſt, da umſchwebt dich dieſer<lb/>
Samengruß, aus Millionen und Millionen Köpfchen, Zäpfchen,<lb/>
Kätzchen auf gut Glück der rauſchenden Luftwelle anvertraut.<lb/>
Vom Grasplan und vom Kornfeld ſchwillt es wie zarter, be¬<lb/>
rauſchender Duft. Aus den Kiefernkronen des Waldes wogt<lb/>
es nieder wie aphrodiſiſcher Rauch, jeder Zapfen da oben eine<lb/>
Liebesflamme, von der ungezählte Pfeile ſtrahlen. Ja, un¬<lb/>
gezählte, unzählbare. Um den Raum von fünf Metern zwiſchen<lb/>
zwei Neſſelſtauden zu überbrücken, werden Milliarden von<lb/>
Samenzellen verbraucht. Wo geſellige Pflanzen viele Quadrat¬<lb/>
meilen des Erdbodens in geringem Abſtande voneinander be¬<lb/>
decken, da wird jene höchſte Steigerung faſt wahr gemacht, daß<lb/>
die ganze Luftſäule darüber ſich zeitweiſe mit Samenſtaub<lb/>
durchſetze. Zeus, der auf einer befruchtenden Wolke über<lb/>ſeine ſchöne Nymphe kam, wird zur Wirklichkeit. Goldene<lb/>
Wolken erheben ſich im Anſtoß des Windes vom Kiefernwald<lb/>
und fallen weithin auf Laubgehölz und Wieſen ein. Der<lb/>
Regen greift hindurch: da ballt es ſich im Gewitternaß zu<lb/>
goldenen Strömen, die das Volk abergläubiſch als Schwefel¬<lb/>
regen beſtaunt. Ja, vor Äonen muß das auf Erden ein<lb/>
noch viel gigantiſcheres Schauſpiel geweſen ſein. Über Erdteile<lb/>
weg dehnten ſich in der ſogenannten Steinkohlenperiode endloſe<lb/>
einförmige Urwälder von Farrnkräutern, Schachtelhalmen und<lb/>
Bärlappgewächſen. Du kennſt den Bärlappſamen, das Hexen¬<lb/>
mehl, das weich wie ein Hauch dahinſchwillt. Denke dir Erd¬<lb/>
teile überwuchert mit ſolchem Bärlappkraut in haushohen<lb/>
Stämmen, und davon zur Sonne empordampfend jetzt den<lb/>
Hexenrauch. Einem fernen Beſchauer vom Weltraume her<lb/>
hätte es vielleicht wie ein zarter Goldſchimmer über der Erd¬<lb/>
kugel geſchwebt. Und wenn die ungeheuren Platzregen einer<lb/>
feuchten Sumpfzeit durch dieſes Liebesnetz brachen, riſſen ſich<lb/>ſchwefelgelbe Schlammſtröme ihre Bahn und im Flußdelta<lb/></p></div></body></text></TEI>
[200/0216]
Tiſchdecke darum herum überpulvert mit goldenem Staub, —
mit dem Haſelſamen. Wo immer du in ihrer Liebeszeit unter
den grünen Sonnenkindern wandelſt, da umſchwebt dich dieſer
Samengruß, aus Millionen und Millionen Köpfchen, Zäpfchen,
Kätzchen auf gut Glück der rauſchenden Luftwelle anvertraut.
Vom Grasplan und vom Kornfeld ſchwillt es wie zarter, be¬
rauſchender Duft. Aus den Kiefernkronen des Waldes wogt
es nieder wie aphrodiſiſcher Rauch, jeder Zapfen da oben eine
Liebesflamme, von der ungezählte Pfeile ſtrahlen. Ja, un¬
gezählte, unzählbare. Um den Raum von fünf Metern zwiſchen
zwei Neſſelſtauden zu überbrücken, werden Milliarden von
Samenzellen verbraucht. Wo geſellige Pflanzen viele Quadrat¬
meilen des Erdbodens in geringem Abſtande voneinander be¬
decken, da wird jene höchſte Steigerung faſt wahr gemacht, daß
die ganze Luftſäule darüber ſich zeitweiſe mit Samenſtaub
durchſetze. Zeus, der auf einer befruchtenden Wolke über
ſeine ſchöne Nymphe kam, wird zur Wirklichkeit. Goldene
Wolken erheben ſich im Anſtoß des Windes vom Kiefernwald
und fallen weithin auf Laubgehölz und Wieſen ein. Der
Regen greift hindurch: da ballt es ſich im Gewitternaß zu
goldenen Strömen, die das Volk abergläubiſch als Schwefel¬
regen beſtaunt. Ja, vor Äonen muß das auf Erden ein
noch viel gigantiſcheres Schauſpiel geweſen ſein. Über Erdteile
weg dehnten ſich in der ſogenannten Steinkohlenperiode endloſe
einförmige Urwälder von Farrnkräutern, Schachtelhalmen und
Bärlappgewächſen. Du kennſt den Bärlappſamen, das Hexen¬
mehl, das weich wie ein Hauch dahinſchwillt. Denke dir Erd¬
teile überwuchert mit ſolchem Bärlappkraut in haushohen
Stämmen, und davon zur Sonne empordampfend jetzt den
Hexenrauch. Einem fernen Beſchauer vom Weltraume her
hätte es vielleicht wie ein zarter Goldſchimmer über der Erd¬
kugel geſchwebt. Und wenn die ungeheuren Platzregen einer
feuchten Sumpfzeit durch dieſes Liebesnetz brachen, riſſen ſich
ſchwefelgelbe Schlammſtröme ihre Bahn und im Flußdelta
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/216>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.