gleich darin wie ein Baumblatt, das nicht wandern und nicht reden kann, zu dem sich aber die goldene Sonne in tiefem Weltverhängnis von selber hingefunden hat. Und das nun glühend aufschauert unter dem niederstürzenden Regen von Licht, Wärme, Himmelsblau.
Doch der Sturm verrauscht. Du sitzt wieder auf dem dürren Strand. Dem Strande deines Denkens. Und du denkst. Buddah stützt die Stirn auf die Hand. Seltsamkeit der Seltsamkeiten!
Diese glutheiße, blutrote Nervenprämie da unten zahlt wohl der Geschlechtsakt. Aber nicht, wohlverstanden, der wahre Zeugungsakt.
Es wäre in der Logik wieder so absolut selbstverständlich, daß die Dinge umgekehrt lägen. Die Zeugung war nötig. Sagen wir: nach göttlichem Gebot. Damit der Baum der Menschheit wachse, nachdem sein Samenkorn einmal in die Zeit geworfen war. Jetzt als Prämie dieser Zeugung wurde die Wollust erschaffen. Als Prämie, die mit Siegergewalt die Geschlechter zu einander zwang, -- stärker als all ihr Denken. Wie einfach: der Moment der wahrhaft vollzogenen Zeugung mußte auch die Wollustempfindungen bei Mann wie Weib auslösen. Also der Moment, da die Samenzelle sich mit der Eizelle mischte, oder in jener Sprache, die wir uns vorhin gebildet: die Wollust mußte regelmäßig zusammenfallen mit der echten Mischliebe.
Seltsamkeit der Seltsamkeiten! Es fällt der Wollust gar nicht ein, sich dieser Logik zu fügen. Mit der tief verborgenen, nachträglichen Mischung von Eizelle und Samenzelle hat sie überhaupt nichts zu thun. Gerade sie macht nicht den geringsten Unterschied zwischen einem Geschlechtsakt, der wirklich Mischliebe wird, und einem, der hoffnungslos in der Distanceliebe stecken bleibt. Und sie eben hat am meisten dazu beigetragen, daß die feine aber scharfe Grenzlinie zwischen Mischakt und Distance¬ akt unserem Erkennen sich immer wieder verwischt hat. Genau
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gleich darin wie ein Baumblatt, das nicht wandern und nicht reden kann, zu dem ſich aber die goldene Sonne in tiefem Weltverhängnis von ſelber hingefunden hat. Und das nun glühend aufſchauert unter dem niederſtürzenden Regen von Licht, Wärme, Himmelsblau.
Doch der Sturm verrauſcht. Du ſitzt wieder auf dem dürren Strand. Dem Strande deines Denkens. Und du denkſt. Buddah ſtützt die Stirn auf die Hand. Seltſamkeit der Seltſamkeiten!
Dieſe glutheiße, blutrote Nervenprämie da unten zahlt wohl der Geſchlechtsakt. Aber nicht, wohlverſtanden, der wahre Zeugungsakt.
Es wäre in der Logik wieder ſo abſolut ſelbſtverſtändlich, daß die Dinge umgekehrt lägen. Die Zeugung war nötig. Sagen wir: nach göttlichem Gebot. Damit der Baum der Menſchheit wachſe, nachdem ſein Samenkorn einmal in die Zeit geworfen war. Jetzt als Prämie dieſer Zeugung wurde die Wolluſt erſchaffen. Als Prämie, die mit Siegergewalt die Geſchlechter zu einander zwang, — ſtärker als all ihr Denken. Wie einfach: der Moment der wahrhaft vollzogenen Zeugung mußte auch die Wolluſtempfindungen bei Mann wie Weib auslöſen. Alſo der Moment, da die Samenzelle ſich mit der Eizelle miſchte, oder in jener Sprache, die wir uns vorhin gebildet: die Wolluſt mußte regelmäßig zuſammenfallen mit der echten Miſchliebe.
Seltſamkeit der Seltſamkeiten! Es fällt der Wolluſt gar nicht ein, ſich dieſer Logik zu fügen. Mit der tief verborgenen, nachträglichen Miſchung von Eizelle und Samenzelle hat ſie überhaupt nichts zu thun. Gerade ſie macht nicht den geringſten Unterſchied zwiſchen einem Geſchlechtsakt, der wirklich Miſchliebe wird, und einem, der hoffnungslos in der Diſtanceliebe ſtecken bleibt. Und ſie eben hat am meiſten dazu beigetragen, daß die feine aber ſcharfe Grenzlinie zwiſchen Miſchakt und Diſtance¬ akt unſerem Erkennen ſich immer wieder verwiſcht hat. Genau
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gleich darin wie ein Baumblatt, das nicht wandern und nicht
reden kann, zu dem ſich aber die goldene Sonne in tiefem
Weltverhängnis von ſelber hingefunden hat. Und das nun
glühend aufſchauert unter dem niederſtürzenden Regen von
Licht, Wärme, Himmelsblau.
Doch der Sturm verrauſcht. Du ſitzt wieder auf dem
dürren Strand. Dem Strande deines Denkens. Und du
denkſt. Buddah ſtützt die Stirn auf die Hand. Seltſamkeit
der Seltſamkeiten!
Dieſe glutheiße, blutrote Nervenprämie da unten zahlt
wohl der Geſchlechtsakt. Aber nicht, wohlverſtanden, der wahre
Zeugungsakt.
Es wäre in der Logik wieder ſo abſolut ſelbſtverſtändlich,
daß die Dinge umgekehrt lägen. Die Zeugung war nötig.
Sagen wir: nach göttlichem Gebot. Damit der Baum der
Menſchheit wachſe, nachdem ſein Samenkorn einmal in die
Zeit geworfen war. Jetzt als Prämie dieſer Zeugung wurde
die Wolluſt erſchaffen. Als Prämie, die mit Siegergewalt
die Geſchlechter zu einander zwang, — ſtärker als all ihr
Denken. Wie einfach: der Moment der wahrhaft vollzogenen
Zeugung mußte auch die Wolluſtempfindungen bei Mann wie
Weib auslöſen. Alſo der Moment, da die Samenzelle ſich
mit der Eizelle miſchte, oder in jener Sprache, die wir uns
vorhin gebildet: die Wolluſt mußte regelmäßig zuſammenfallen
mit der echten Miſchliebe.
Seltſamkeit der Seltſamkeiten! Es fällt der Wolluſt gar
nicht ein, ſich dieſer Logik zu fügen. Mit der tief verborgenen,
nachträglichen Miſchung von Eizelle und Samenzelle hat ſie
überhaupt nichts zu thun. Gerade ſie macht nicht den geringſten
Unterſchied zwiſchen einem Geſchlechtsakt, der wirklich Miſchliebe
wird, und einem, der hoffnungslos in der Diſtanceliebe ſtecken
bleibt. Und ſie eben hat am meiſten dazu beigetragen, daß
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/193>, abgerufen am 22.11.2024.
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