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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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suchen, sich mischen, ein Kind machen. Über deinen Samen¬
zellen ragt vielmehr ein ungeheurer Zellendom: dein männliches
Begattungsglied. Hinter diesem Gliede aber wächst in noch
viel gigantischeren Massen der Milliarden-Zellen-Komplex
deines gesamten Mannesleibes auf. Und entsprechend über
der winzigen Eizelle der Herkules des Weibeskörpers. Jeder
der beiden großen Liebespartner ist in Wahrheit ein Zellen¬
staat, und erst durch Wunsch und im Schutz dieser Staaten
wird der alte Monerenozean der Urwelt für kurze Zeit da im
innersten Weibesleibe noch einmal hergestellt. Hinterher aber
gehen diese Staaten auseinander, weit fort, soweit mindestens,
daß sie nur durch Schallwellen oder Lichtwellen für gewöhnlich
noch miteinander verkehren können. Und auch das Kind, das
schließlich geboren wird, ist ein solcher Zellenstaat schon, ein
ganzes Reich mit Ministerien und Werkstätten aller Art. Und
es reißt sich ebenfalls los von dem Mutterschoße, von dem
alten Ozean, wächst groß wie Vater und Mutter und verkehrt
mit beiden ebenfalls meist nur mehr durch Schallwellen und
Lichtwellen, höchstens ab und zu noch durch einen Händedruck
oder durch jenes wunderliche Symbol, den Kuß.

Nun denn: diese ganze Vielzelligkeit, diese Staatenbildung
bei den Zellen ist ja selber der erste große Fortschritt über jene
Urwesen hinaus geschichtlich gewesen. Die Einzelzellen schlossen
sich schon in sehr alten Tagen zu Zellklumpen zusammen. In
diesen ersten rohen Zellgenossenschaften trat besonders gegen
das Tierreich hin eine immer feinere Arbeitsteilung ein, es
entwickelten sich die einzelnen Organe ... und so fort, --
das weißt du. Unter diesen Organen waren aber mehrere,
die der ganzen Lebenslage und Lebensmöglichkeit der Tiere
nach und nach völlig neue Bahnen öffneten.

Die Sinnesorgane Auge und Ohr rissen die große
Distancewelt der Lichtwellen und Schallwellen auf. Mit der
Lunge kam das Organ der eigenen Erzeugung von Schallwellen
hinzu. Diese Distanceorgane wurden aber doppelt wichtig, da

ſuchen, ſich miſchen, ein Kind machen. Über deinen Samen¬
zellen ragt vielmehr ein ungeheurer Zellendom: dein männliches
Begattungsglied. Hinter dieſem Gliede aber wächſt in noch
viel gigantiſcheren Maſſen der Milliarden-Zellen-Komplex
deines geſamten Mannesleibes auf. Und entſprechend über
der winzigen Eizelle der Herkules des Weibeskörpers. Jeder
der beiden großen Liebespartner iſt in Wahrheit ein Zellen¬
ſtaat, und erſt durch Wunſch und im Schutz dieſer Staaten
wird der alte Monerenozean der Urwelt für kurze Zeit da im
innerſten Weibesleibe noch einmal hergeſtellt. Hinterher aber
gehen dieſe Staaten auseinander, weit fort, ſoweit mindeſtens,
daß ſie nur durch Schallwellen oder Lichtwellen für gewöhnlich
noch miteinander verkehren können. Und auch das Kind, das
ſchließlich geboren wird, iſt ein ſolcher Zellenſtaat ſchon, ein
ganzes Reich mit Miniſterien und Werkſtätten aller Art. Und
es reißt ſich ebenfalls los von dem Mutterſchoße, von dem
alten Ozean, wächſt groß wie Vater und Mutter und verkehrt
mit beiden ebenfalls meiſt nur mehr durch Schallwellen und
Lichtwellen, höchſtens ab und zu noch durch einen Händedruck
oder durch jenes wunderliche Symbol, den Kuß.

Nun denn: dieſe ganze Vielzelligkeit, dieſe Staatenbildung
bei den Zellen iſt ja ſelber der erſte große Fortſchritt über jene
Urweſen hinaus geſchichtlich geweſen. Die Einzelzellen ſchloſſen
ſich ſchon in ſehr alten Tagen zu Zellklumpen zuſammen. In
dieſen erſten rohen Zellgenoſſenſchaften trat beſonders gegen
das Tierreich hin eine immer feinere Arbeitsteilung ein, es
entwickelten ſich die einzelnen Organe ... und ſo fort, —
das weißt du. Unter dieſen Organen waren aber mehrere,
die der ganzen Lebenslage und Lebensmöglichkeit der Tiere
nach und nach völlig neue Bahnen öffneten.

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Diſtancewelt der Lichtwellen und Schallwellen auf. Mit der
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[162/0178] ſuchen, ſich miſchen, ein Kind machen. Über deinen Samen¬ zellen ragt vielmehr ein ungeheurer Zellendom: dein männliches Begattungsglied. Hinter dieſem Gliede aber wächſt in noch viel gigantiſcheren Maſſen der Milliarden-Zellen-Komplex deines geſamten Mannesleibes auf. Und entſprechend über der winzigen Eizelle der Herkules des Weibeskörpers. Jeder der beiden großen Liebespartner iſt in Wahrheit ein Zellen¬ ſtaat, und erſt durch Wunſch und im Schutz dieſer Staaten wird der alte Monerenozean der Urwelt für kurze Zeit da im innerſten Weibesleibe noch einmal hergeſtellt. Hinterher aber gehen dieſe Staaten auseinander, weit fort, ſoweit mindeſtens, daß ſie nur durch Schallwellen oder Lichtwellen für gewöhnlich noch miteinander verkehren können. Und auch das Kind, das ſchließlich geboren wird, iſt ein ſolcher Zellenſtaat ſchon, ein ganzes Reich mit Miniſterien und Werkſtätten aller Art. Und es reißt ſich ebenfalls los von dem Mutterſchoße, von dem alten Ozean, wächſt groß wie Vater und Mutter und verkehrt mit beiden ebenfalls meiſt nur mehr durch Schallwellen und Lichtwellen, höchſtens ab und zu noch durch einen Händedruck oder durch jenes wunderliche Symbol, den Kuß. Nun denn: dieſe ganze Vielzelligkeit, dieſe Staatenbildung bei den Zellen iſt ja ſelber der erſte große Fortſchritt über jene Urweſen hinaus geſchichtlich geweſen. Die Einzelzellen ſchloſſen ſich ſchon in ſehr alten Tagen zu Zellklumpen zuſammen. In dieſen erſten rohen Zellgenoſſenſchaften trat beſonders gegen das Tierreich hin eine immer feinere Arbeitsteilung ein, es entwickelten ſich die einzelnen Organe ... und ſo fort, — das weißt du. Unter dieſen Organen waren aber mehrere, die der ganzen Lebenslage und Lebensmöglichkeit der Tiere nach und nach völlig neue Bahnen öffneten. Die Sinnesorgane Auge und Ohr riſſen die große Diſtancewelt der Lichtwellen und Schallwellen auf. Mit der Lunge kam das Organ der eigenen Erzeugung von Schallwellen hinzu. Dieſe Diſtanceorgane wurden aber doppelt wichtig, da

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/178>, abgerufen am 22.11.2024.