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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Gieb dich selbst den kühnsten Phantasiebildern hin und
male dir Vorgänge als möglich aus, wie sie bei der heute so
bewährten künstlichen Fischzucht angewandt werden. Da be¬
mächtigt sich der Mensch der austretenden Samenzellen (Milch)
und Eizellen (Rogen) von zeugungsreifen Fischen, füllt beide
Produkte in Flaschen, die sich mehrere Tage bequem aufbe¬
wahren lassen, und vollzieht selber durch Zugießen des einen
Stoffs zum andern je nach Bedarf die Zeugung, -- schließt
also gewissermaßen nachträglich und künstlich noch den Ring
des Liebesindividuums. Denke dir kühnster Weise selbst so etwas
beim Menschen möglich und denke dir, daß auch diese Produkte
noch versandt werden könnten. Selbst in dieser äußersten
Phantasie-Möglichkeit bleibt die endliche Vermischung der Ei¬
zelle und Samenzelle einzige, aber absolute Notwendigkeit.
Der Vorgang wäre so zu sagen bis ins Mikroskopische getrieben,
hier unter dem Mikroskop aber vollzöge sich doch noch die letzte
Distance-Aufhebung, die Mischung Leib in Leib.

Das menschliche Liebesindividuum ist also schlechterdings
ein ganz bestimmter, mit nichts vergleichbarer Sonderfall inner¬
halb der allgemeinen Bildung menschlicher Überindividuen.
Es hat eine einzige Stelle, wo es nicht denkbar scheint, daß
der Raum von der einen Person zur andern im genossenschaft¬
lichen Individuum jemals durch künstliche Werkzeuge überbrückt
werden könnte, die den Distance-Unterschied gleichgültig machten.
Du kannst dir denken, daß du bei vervollkommneter Technik
mit dem Mars durch Lichtsignale sprechen könntest . . . aber
nicht, daß du eine echte Zeugung vollziehen könntest, bei der
zwischen der Samenzelle und der Eizelle auch nur die Distance
eines winzigen Millimeterbruchteils bliebe. Aus dieser That¬
sache ergeben sich nun weitere Folgerungen sofort. Auf das
Liebesindividuum findet jenes Robinson-Ideal von vornherein
keine Anwendung. Jener ideale Robinson auf Salas y Gomez
könnte, mit dem gesamten Wissen der Menschheit im Kopf, wie
eine Samenzelle die ganze Kultur aus sich allein wiedererzeugen.

Gieb dich ſelbſt den kühnſten Phantaſiebildern hin und
male dir Vorgänge als möglich aus, wie ſie bei der heute ſo
bewährten künſtlichen Fiſchzucht angewandt werden. Da be¬
mächtigt ſich der Menſch der austretenden Samenzellen (Milch)
und Eizellen (Rogen) von zeugungsreifen Fiſchen, füllt beide
Produkte in Flaſchen, die ſich mehrere Tage bequem aufbe¬
wahren laſſen, und vollzieht ſelber durch Zugießen des einen
Stoffs zum andern je nach Bedarf die Zeugung, — ſchließt
alſo gewiſſermaßen nachträglich und künſtlich noch den Ring
des Liebesindividuums. Denke dir kühnſter Weiſe ſelbſt ſo etwas
beim Menſchen möglich und denke dir, daß auch dieſe Produkte
noch verſandt werden könnten. Selbſt in dieſer äußerſten
Phantaſie-Möglichkeit bleibt die endliche Vermiſchung der Ei¬
zelle und Samenzelle einzige, aber abſolute Notwendigkeit.
Der Vorgang wäre ſo zu ſagen bis ins Mikroſkopiſche getrieben,
hier unter dem Mikroſkop aber vollzöge ſich doch noch die letzte
Diſtance-Aufhebung, die Miſchung Leib in Leib.

Das menſchliche Liebesindividuum iſt alſo ſchlechterdings
ein ganz beſtimmter, mit nichts vergleichbarer Sonderfall inner¬
halb der allgemeinen Bildung menſchlicher Überindividuen.
Es hat eine einzige Stelle, wo es nicht denkbar ſcheint, daß
der Raum von der einen Perſon zur andern im genoſſenſchaft¬
lichen Individuum jemals durch künſtliche Werkzeuge überbrückt
werden könnte, die den Diſtance-Unterſchied gleichgültig machten.
Du kannſt dir denken, daß du bei vervollkommneter Technik
mit dem Mars durch Lichtſignale ſprechen könnteſt . . . aber
nicht, daß du eine echte Zeugung vollziehen könnteſt, bei der
zwiſchen der Samenzelle und der Eizelle auch nur die Diſtance
eines winzigen Millimeterbruchteils bliebe. Aus dieſer That¬
ſache ergeben ſich nun weitere Folgerungen ſofort. Auf das
Liebesindividuum findet jenes Robinſon-Ideal von vornherein
keine Anwendung. Jener ideale Robinſon auf Salas y Gomez
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[143/0159] Gieb dich ſelbſt den kühnſten Phantaſiebildern hin und male dir Vorgänge als möglich aus, wie ſie bei der heute ſo bewährten künſtlichen Fiſchzucht angewandt werden. Da be¬ mächtigt ſich der Menſch der austretenden Samenzellen (Milch) und Eizellen (Rogen) von zeugungsreifen Fiſchen, füllt beide Produkte in Flaſchen, die ſich mehrere Tage bequem aufbe¬ wahren laſſen, und vollzieht ſelber durch Zugießen des einen Stoffs zum andern je nach Bedarf die Zeugung, — ſchließt alſo gewiſſermaßen nachträglich und künſtlich noch den Ring des Liebesindividuums. Denke dir kühnſter Weiſe ſelbſt ſo etwas beim Menſchen möglich und denke dir, daß auch dieſe Produkte noch verſandt werden könnten. Selbſt in dieſer äußerſten Phantaſie-Möglichkeit bleibt die endliche Vermiſchung der Ei¬ zelle und Samenzelle einzige, aber abſolute Notwendigkeit. Der Vorgang wäre ſo zu ſagen bis ins Mikroſkopiſche getrieben, hier unter dem Mikroſkop aber vollzöge ſich doch noch die letzte Diſtance-Aufhebung, die Miſchung Leib in Leib. Das menſchliche Liebesindividuum iſt alſo ſchlechterdings ein ganz beſtimmter, mit nichts vergleichbarer Sonderfall inner¬ halb der allgemeinen Bildung menſchlicher Überindividuen. Es hat eine einzige Stelle, wo es nicht denkbar ſcheint, daß der Raum von der einen Perſon zur andern im genoſſenſchaft¬ lichen Individuum jemals durch künſtliche Werkzeuge überbrückt werden könnte, die den Diſtance-Unterſchied gleichgültig machten. Du kannſt dir denken, daß du bei vervollkommneter Technik mit dem Mars durch Lichtſignale ſprechen könnteſt . . . aber nicht, daß du eine echte Zeugung vollziehen könnteſt, bei der zwiſchen der Samenzelle und der Eizelle auch nur die Diſtance eines winzigen Millimeterbruchteils bliebe. Aus dieſer That¬ ſache ergeben ſich nun weitere Folgerungen ſofort. Auf das Liebesindividuum findet jenes Robinſon-Ideal von vornherein keine Anwendung. Jener ideale Robinſon auf Salas y Gomez könnte, mit dem geſamten Wiſſen der Menſchheit im Kopf, wie eine Samenzelle die ganze Kultur aus ſich allein wiedererzeugen.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/159>, abgerufen am 22.11.2024.