Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

geheuer langen Eisperiode keine besonders affenähnlichen Schädel.
Durch gute theoretische Begründung ist aber anderweitig nach¬
gewiesen, daß der Mensch ursprünglich aus affenähnlichen Tier¬
formen hervorgegangen sein muß. Vom Ende der Tertiärzeit,
also der geologischen Epoche, die der Eiszeit voraufgeht und
ganz zweifellos hinter jene Ziffer Hunderttausend weit, weit
zurückgeht, kennen wir jetzt aus Java einen Affen, der schon
regelrechte Menschenbeine hatte und offenbar gewohnheitsmäßig
aufrecht ging wie ein Mensch. Damals mag also die eigent¬
liche "Menschwerdung" stattgefunden haben. Du begreifst, wie
weit das schon führt -- und doch gilt der Mensch von allen
wichtigeren Tierformen der Erde für das unbedingt jüngste
Produkt.

In der ersten Hälfte jener Tertiärzeit ragten in Deutsch¬
land noch hohe Palmbäume. Wälder von Magnolien und
immergrünen Eichen zogen sich bis in heute absolut unwirtliche
Gegenden der polaren Eiswüste hinein. Und doch sagt dir
schon der Name Tertiärzeit (soviel wie die dritte große Zeit¬
epoche der Erdgeschichte), daß es sich um eine späte, relativ
junge Epoche handelt. Unermeßliche Zeiten trennen sie von
jener Juraperiode, in der das heutige Juragebirge als horizon¬
tale Schlammschicht in der Meerestiefe sich ablagerte, -- Schlamm,
der später erhärtete und durch die bauenden Kräfte der Erd¬
rinde hoch über die Wasser hinaus zum Gebirge aufgestaut
wurde. Im Jurameer schwamm der Ichthyosaurus, den schon
die Tertiärzeit nicht mehr kennt. Und das geht nun immer
weiter so zurück, -- in das Urgrau der Erdendinge zurück.
Bis in die Wälder der Steinkohlenzeit, jene geheimnisvollen
Farrenwälder, deren versteinerten Rest wir heute als praktische
Geologen im Ofen verbrennen. Bis zum ersten Auftauchen
organischer Wesen überhaupt. Das reicht sicher hinab bis in
die Millionen. Und doch war auch das wieder nur eine Stufe,
eine hohe zweifellos auf endloser Leiter. War die Erde viel¬
leicht vorher glühend, -- mußte sie sich erst zusammenballen

geheuer langen Eisperiode keine beſonders affenähnlichen Schädel.
Durch gute theoretiſche Begründung iſt aber anderweitig nach¬
gewieſen, daß der Menſch urſprünglich aus affenähnlichen Tier¬
formen hervorgegangen ſein muß. Vom Ende der Tertiärzeit,
alſo der geologiſchen Epoche, die der Eiszeit voraufgeht und
ganz zweifellos hinter jene Ziffer Hunderttauſend weit, weit
zurückgeht, kennen wir jetzt aus Java einen Affen, der ſchon
regelrechte Menſchenbeine hatte und offenbar gewohnheitsmäßig
aufrecht ging wie ein Menſch. Damals mag alſo die eigent¬
liche „Menſchwerdung“ ſtattgefunden haben. Du begreifſt, wie
weit das ſchon führt — und doch gilt der Menſch von allen
wichtigeren Tierformen der Erde für das unbedingt jüngſte
Produkt.

In der erſten Hälfte jener Tertiärzeit ragten in Deutſch¬
land noch hohe Palmbäume. Wälder von Magnolien und
immergrünen Eichen zogen ſich bis in heute abſolut unwirtliche
Gegenden der polaren Eiswüſte hinein. Und doch ſagt dir
ſchon der Name Tertiärzeit (ſoviel wie die dritte große Zeit¬
epoche der Erdgeſchichte), daß es ſich um eine ſpäte, relativ
junge Epoche handelt. Unermeßliche Zeiten trennen ſie von
jener Juraperiode, in der das heutige Juragebirge als horizon¬
tale Schlammſchicht in der Meerestiefe ſich ablagerte, — Schlamm,
der ſpäter erhärtete und durch die bauenden Kräfte der Erd¬
rinde hoch über die Waſſer hinaus zum Gebirge aufgeſtaut
wurde. Im Jurameer ſchwamm der Ichthyoſaurus, den ſchon
die Tertiärzeit nicht mehr kennt. Und das geht nun immer
weiter ſo zurück, — in das Urgrau der Erdendinge zurück.
Bis in die Wälder der Steinkohlenzeit, jene geheimnisvollen
Farrenwälder, deren verſteinerten Reſt wir heute als praktiſche
Geologen im Ofen verbrennen. Bis zum erſten Auftauchen
organiſcher Weſen überhaupt. Das reicht ſicher hinab bis in
die Millionen. Und doch war auch das wieder nur eine Stufe,
eine hohe zweifellos auf endloſer Leiter. War die Erde viel¬
leicht vorher glühend, — mußte ſie ſich erſt zuſammenballen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0096" n="80"/>
geheuer langen Eisperiode keine be&#x017F;onders affenähnlichen Schädel.<lb/>
Durch gute theoreti&#x017F;che Begründung i&#x017F;t aber anderweitig nach¬<lb/>
gewie&#x017F;en, daß der Men&#x017F;ch ur&#x017F;prünglich aus affenähnlichen Tier¬<lb/>
formen hervorgegangen &#x017F;ein muß. Vom Ende der Tertiärzeit,<lb/>
al&#x017F;o der geologi&#x017F;chen Epoche, die der Eiszeit voraufgeht und<lb/>
ganz zweifellos hinter jene Ziffer Hunderttau&#x017F;end weit, weit<lb/>
zurückgeht, kennen wir jetzt aus Java einen Affen, der &#x017F;chon<lb/>
regelrechte Men&#x017F;chenbeine hatte und offenbar gewohnheitsmäßig<lb/>
aufrecht ging wie ein Men&#x017F;ch. Damals mag al&#x017F;o die eigent¬<lb/>
liche &#x201E;Men&#x017F;chwerdung&#x201C; &#x017F;tattgefunden haben. Du begreif&#x017F;t, wie<lb/>
weit das &#x017F;chon führt &#x2014; und doch gilt der Men&#x017F;ch von allen<lb/>
wichtigeren Tierformen der Erde für das unbedingt <hi rendition="#g">jüng&#x017F;te</hi><lb/>
Produkt.</p><lb/>
        <p>In der er&#x017F;ten Hälfte jener Tertiärzeit ragten in Deut&#x017F;ch¬<lb/>
land noch hohe Palmbäume. Wälder von Magnolien und<lb/>
immergrünen Eichen zogen &#x017F;ich bis in heute ab&#x017F;olut unwirtliche<lb/>
Gegenden der polaren Eiswü&#x017F;te hinein. Und doch &#x017F;agt dir<lb/>
&#x017F;chon der Name Tertiärzeit (&#x017F;oviel wie die <hi rendition="#g">dritte</hi> große Zeit¬<lb/>
epoche der Erdge&#x017F;chichte), daß es &#x017F;ich um eine &#x017F;päte, relativ<lb/>
junge Epoche handelt. Unermeßliche Zeiten trennen &#x017F;ie von<lb/>
jener Juraperiode, in der das heutige Juragebirge als horizon¬<lb/>
tale Schlamm&#x017F;chicht in der Meerestiefe &#x017F;ich ablagerte, &#x2014; Schlamm,<lb/>
der &#x017F;päter erhärtete und durch die bauenden Kräfte der Erd¬<lb/>
rinde hoch über die Wa&#x017F;&#x017F;er hinaus zum Gebirge aufge&#x017F;taut<lb/>
wurde. Im Jurameer &#x017F;chwamm der Ichthyo&#x017F;aurus, den &#x017F;chon<lb/>
die Tertiärzeit nicht mehr kennt. Und das geht nun immer<lb/>
weiter &#x017F;o zurück, &#x2014; in das Urgrau der Erdendinge zurück.<lb/>
Bis in die Wälder der Steinkohlenzeit, jene geheimnisvollen<lb/>
Farrenwälder, deren ver&#x017F;teinerten Re&#x017F;t wir heute als prakti&#x017F;che<lb/>
Geologen im Ofen verbrennen. Bis zum er&#x017F;ten Auftauchen<lb/>
organi&#x017F;cher We&#x017F;en überhaupt. Das reicht &#x017F;icher hinab bis in<lb/>
die Millionen. Und doch war auch das wieder nur eine Stufe,<lb/>
eine hohe zweifellos auf endlo&#x017F;er Leiter. War die Erde viel¬<lb/>
leicht vorher glühend, &#x2014; mußte &#x017F;ie &#x017F;ich er&#x017F;t zu&#x017F;ammenballen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0096] geheuer langen Eisperiode keine beſonders affenähnlichen Schädel. Durch gute theoretiſche Begründung iſt aber anderweitig nach¬ gewieſen, daß der Menſch urſprünglich aus affenähnlichen Tier¬ formen hervorgegangen ſein muß. Vom Ende der Tertiärzeit, alſo der geologiſchen Epoche, die der Eiszeit voraufgeht und ganz zweifellos hinter jene Ziffer Hunderttauſend weit, weit zurückgeht, kennen wir jetzt aus Java einen Affen, der ſchon regelrechte Menſchenbeine hatte und offenbar gewohnheitsmäßig aufrecht ging wie ein Menſch. Damals mag alſo die eigent¬ liche „Menſchwerdung“ ſtattgefunden haben. Du begreifſt, wie weit das ſchon führt — und doch gilt der Menſch von allen wichtigeren Tierformen der Erde für das unbedingt jüngſte Produkt. In der erſten Hälfte jener Tertiärzeit ragten in Deutſch¬ land noch hohe Palmbäume. Wälder von Magnolien und immergrünen Eichen zogen ſich bis in heute abſolut unwirtliche Gegenden der polaren Eiswüſte hinein. Und doch ſagt dir ſchon der Name Tertiärzeit (ſoviel wie die dritte große Zeit¬ epoche der Erdgeſchichte), daß es ſich um eine ſpäte, relativ junge Epoche handelt. Unermeßliche Zeiten trennen ſie von jener Juraperiode, in der das heutige Juragebirge als horizon¬ tale Schlammſchicht in der Meerestiefe ſich ablagerte, — Schlamm, der ſpäter erhärtete und durch die bauenden Kräfte der Erd¬ rinde hoch über die Waſſer hinaus zum Gebirge aufgeſtaut wurde. Im Jurameer ſchwamm der Ichthyoſaurus, den ſchon die Tertiärzeit nicht mehr kennt. Und das geht nun immer weiter ſo zurück, — in das Urgrau der Erdendinge zurück. Bis in die Wälder der Steinkohlenzeit, jene geheimnisvollen Farrenwälder, deren verſteinerten Reſt wir heute als praktiſche Geologen im Ofen verbrennen. Bis zum erſten Auftauchen organiſcher Weſen überhaupt. Das reicht ſicher hinab bis in die Millionen. Und doch war auch das wieder nur eine Stufe, eine hohe zweifellos auf endloſer Leiter. War die Erde viel¬ leicht vorher glühend, — mußte ſie ſich erſt zuſammenballen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/96
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/96>, abgerufen am 06.05.2024.