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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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wiederholen, weil es noch immer der Ausgangspunkt ist auch
all unserer Weisheit jenseits von Mikroskopen und physiologischen
Theorien, ist im Herzen grau wie Mumienstaub. Der Euphrat,
der Nil, der Ganges und der Ilissos wühlen sich mit singender
Welle hindurch. Gegen diese uralten Ideen gehalten, ist
Christus ein Epigone.

[Abbildung]

Diese Philosophie richtet ihren Blick auf die einfachsten
Grundthatsachen des menschlichen Lebens
.

Der Mensch, als Individuum genommen, steht plötzlich
inmitten dieses Lebens, er fühlt sich als Ich, als lebendig, als
bewußt vorwärts schreitend in der Zeit. Seine Erinnerung
giebt ihm keinen Anfangspunkt seiner Existenz. Unmittelbar ist
ihm weder begreiflich, daß er jemals vorher nicht da war,
noch, daß er in der Folge jemals nicht da sein sollte. Aber
er lernt. Und zwar lernt er zweierlei in erster Linie.

Mit Unerbittlichkeit wirft ihn das Leben selbst vor die
Thatsache des Todes.

Eine bestimmte Zeitspanne begrenzt das Individuum.
Keine Größe, keine Kleinheit des geistigen Wertes, den das
Individuum entwickelt, schützt gegen die Sense, die allerorten
schwirrt. Patroklus liegt begraben, aber auch Thersites hat
eines Tages daran glauben müssen. In der Jobsiade liest
du als einen gelungenen Scherz das große Totenregister, in
dem alle Helden der Weltgeschichte in unmögliche Reime ge¬
bracht sind und zwar jeder mit dem Zusatz, daß er auch
gestorben sei. Auch Cäsar. Auch Alexander. Auch Aristoteles.
Und auch Schinderhannes. Und der Kandidat Jobs. Das
wirkt komisch. Aber hinter der Komik liegt eine verborgene
Tragik, die in einen furchtbaren Ernst umschlägt, wenn man

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wiederholen, weil es noch immer der Ausgangspunkt iſt auch
all unſerer Weisheit jenſeits von Mikroſkopen und phyſiologiſchen
Theorien, iſt im Herzen grau wie Mumienſtaub. Der Euphrat,
der Nil, der Ganges und der Iliſſos wühlen ſich mit ſingender
Welle hindurch. Gegen dieſe uralten Ideen gehalten, iſt
Chriſtus ein Epigone.

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Dieſe Philoſophie richtet ihren Blick auf die einfachſten
Grundthatſachen des menſchlichen Lebens
.

Der Menſch, als Individuum genommen, ſteht plötzlich
inmitten dieſes Lebens, er fühlt ſich als Ich, als lebendig, als
bewußt vorwärts ſchreitend in der Zeit. Seine Erinnerung
giebt ihm keinen Anfangspunkt ſeiner Exiſtenz. Unmittelbar iſt
ihm weder begreiflich, daß er jemals vorher nicht da war,
noch, daß er in der Folge jemals nicht da ſein ſollte. Aber
er lernt. Und zwar lernt er zweierlei in erſter Linie.

Mit Unerbittlichkeit wirft ihn das Leben ſelbſt vor die
Thatſache des Todes.

Eine beſtimmte Zeitſpanne begrenzt das Individuum.
Keine Größe, keine Kleinheit des geiſtigen Wertes, den das
Individuum entwickelt, ſchützt gegen die Senſe, die allerorten
ſchwirrt. Patroklus liegt begraben, aber auch Therſites hat
eines Tages daran glauben müſſen. In der Jobſiade lieſt
du als einen gelungenen Scherz das große Totenregiſter, in
dem alle Helden der Weltgeſchichte in unmögliche Reime ge¬
bracht ſind und zwar jeder mit dem Zuſatz, daß er auch
geſtorben ſei. Auch Cäſar. Auch Alexander. Auch Ariſtoteles.
Und auch Schinderhannes. Und der Kandidat Jobs. Das
wirkt komiſch. Aber hinter der Komik liegt eine verborgene
Tragik, die in einen furchtbaren Ernſt umſchlägt, wenn man

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[67/0083] wiederholen, weil es noch immer der Ausgangspunkt iſt auch all unſerer Weisheit jenſeits von Mikroſkopen und phyſiologiſchen Theorien, iſt im Herzen grau wie Mumienſtaub. Der Euphrat, der Nil, der Ganges und der Iliſſos wühlen ſich mit ſingender Welle hindurch. Gegen dieſe uralten Ideen gehalten, iſt Chriſtus ein Epigone. [Abbildung] Dieſe Philoſophie richtet ihren Blick auf die einfachſten Grundthatſachen des menſchlichen Lebens. Der Menſch, als Individuum genommen, ſteht plötzlich inmitten dieſes Lebens, er fühlt ſich als Ich, als lebendig, als bewußt vorwärts ſchreitend in der Zeit. Seine Erinnerung giebt ihm keinen Anfangspunkt ſeiner Exiſtenz. Unmittelbar iſt ihm weder begreiflich, daß er jemals vorher nicht da war, noch, daß er in der Folge jemals nicht da ſein ſollte. Aber er lernt. Und zwar lernt er zweierlei in erſter Linie. Mit Unerbittlichkeit wirft ihn das Leben ſelbſt vor die Thatſache des Todes. Eine beſtimmte Zeitſpanne begrenzt das Individuum. Keine Größe, keine Kleinheit des geiſtigen Wertes, den das Individuum entwickelt, ſchützt gegen die Senſe, die allerorten ſchwirrt. Patroklus liegt begraben, aber auch Therſites hat eines Tages daran glauben müſſen. In der Jobſiade lieſt du als einen gelungenen Scherz das große Totenregiſter, in dem alle Helden der Weltgeſchichte in unmögliche Reime ge¬ bracht ſind und zwar jeder mit dem Zuſatz, daß er auch geſtorben ſei. Auch Cäſar. Auch Alexander. Auch Ariſtoteles. Und auch Schinderhannes. Und der Kandidat Jobs. Das wirkt komiſch. Aber hinter der Komik liegt eine verborgene Tragik, die in einen furchtbaren Ernſt umſchlägt, wenn man 5*

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/83>, abgerufen am 22.11.2024.