wiederholen, weil es noch immer der Ausgangspunkt ist auch all unserer Weisheit jenseits von Mikroskopen und physiologischen Theorien, ist im Herzen grau wie Mumienstaub. Der Euphrat, der Nil, der Ganges und der Ilissos wühlen sich mit singender Welle hindurch. Gegen diese uralten Ideen gehalten, ist Christus ein Epigone.
[Abbildung]
Diese Philosophie richtet ihren Blick auf die einfachsten Grundthatsachen des menschlichen Lebens.
Der Mensch, als Individuum genommen, steht plötzlich inmitten dieses Lebens, er fühlt sich als Ich, als lebendig, als bewußt vorwärts schreitend in der Zeit. Seine Erinnerung giebt ihm keinen Anfangspunkt seiner Existenz. Unmittelbar ist ihm weder begreiflich, daß er jemals vorher nicht da war, noch, daß er in der Folge jemals nicht da sein sollte. Aber er lernt. Und zwar lernt er zweierlei in erster Linie.
Mit Unerbittlichkeit wirft ihn das Leben selbst vor die Thatsache des Todes.
Eine bestimmte Zeitspanne begrenzt das Individuum. Keine Größe, keine Kleinheit des geistigen Wertes, den das Individuum entwickelt, schützt gegen die Sense, die allerorten schwirrt. Patroklus liegt begraben, aber auch Thersites hat eines Tages daran glauben müssen. In der Jobsiade liest du als einen gelungenen Scherz das große Totenregister, in dem alle Helden der Weltgeschichte in unmögliche Reime ge¬ bracht sind und zwar jeder mit dem Zusatz, daß er auch gestorben sei. Auch Cäsar. Auch Alexander. Auch Aristoteles. Und auch Schinderhannes. Und der Kandidat Jobs. Das wirkt komisch. Aber hinter der Komik liegt eine verborgene Tragik, die in einen furchtbaren Ernst umschlägt, wenn man
5*
wiederholen, weil es noch immer der Ausgangspunkt iſt auch all unſerer Weisheit jenſeits von Mikroſkopen und phyſiologiſchen Theorien, iſt im Herzen grau wie Mumienſtaub. Der Euphrat, der Nil, der Ganges und der Iliſſos wühlen ſich mit ſingender Welle hindurch. Gegen dieſe uralten Ideen gehalten, iſt Chriſtus ein Epigone.
[Abbildung]
Dieſe Philoſophie richtet ihren Blick auf die einfachſten Grundthatſachen des menſchlichen Lebens.
Der Menſch, als Individuum genommen, ſteht plötzlich inmitten dieſes Lebens, er fühlt ſich als Ich, als lebendig, als bewußt vorwärts ſchreitend in der Zeit. Seine Erinnerung giebt ihm keinen Anfangspunkt ſeiner Exiſtenz. Unmittelbar iſt ihm weder begreiflich, daß er jemals vorher nicht da war, noch, daß er in der Folge jemals nicht da ſein ſollte. Aber er lernt. Und zwar lernt er zweierlei in erſter Linie.
Mit Unerbittlichkeit wirft ihn das Leben ſelbſt vor die Thatſache des Todes.
Eine beſtimmte Zeitſpanne begrenzt das Individuum. Keine Größe, keine Kleinheit des geiſtigen Wertes, den das Individuum entwickelt, ſchützt gegen die Senſe, die allerorten ſchwirrt. Patroklus liegt begraben, aber auch Therſites hat eines Tages daran glauben müſſen. In der Jobſiade lieſt du als einen gelungenen Scherz das große Totenregiſter, in dem alle Helden der Weltgeſchichte in unmögliche Reime ge¬ bracht ſind und zwar jeder mit dem Zuſatz, daß er auch geſtorben ſei. Auch Cäſar. Auch Alexander. Auch Ariſtoteles. Und auch Schinderhannes. Und der Kandidat Jobs. Das wirkt komiſch. Aber hinter der Komik liegt eine verborgene Tragik, die in einen furchtbaren Ernſt umſchlägt, wenn man
5*
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0083"n="67"/>
wiederholen, weil es noch immer der Ausgangspunkt iſt auch<lb/>
all unſerer Weisheit jenſeits von Mikroſkopen und phyſiologiſchen<lb/>
Theorien, iſt im Herzen grau wie Mumienſtaub. Der Euphrat,<lb/>
der Nil, der Ganges und der Iliſſos wühlen ſich mit ſingender<lb/>
Welle hindurch. Gegen dieſe uralten Ideen gehalten, iſt<lb/>
Chriſtus ein Epigone.</p><lb/><figure/><p>Dieſe Philoſophie richtet ihren Blick auf die <hirendition="#g">einfachſten<lb/>
Grundthatſachen des menſchlichen Lebens</hi>.</p><lb/><p>Der Menſch, als Individuum genommen, ſteht plötzlich<lb/>
inmitten dieſes Lebens, er fühlt ſich als Ich, als lebendig, als<lb/>
bewußt vorwärts ſchreitend in der Zeit. Seine Erinnerung<lb/>
giebt ihm keinen Anfangspunkt ſeiner Exiſtenz. Unmittelbar iſt<lb/>
ihm weder begreiflich, daß er jemals vorher nicht da war,<lb/>
noch, daß er in der Folge jemals nicht da ſein ſollte. Aber<lb/>
er lernt. Und zwar lernt er zweierlei in erſter Linie.</p><lb/><p>Mit Unerbittlichkeit wirft ihn das Leben ſelbſt vor die<lb/>
Thatſache des <hirendition="#g">Todes</hi>.</p><lb/><p>Eine beſtimmte Zeitſpanne begrenzt das Individuum.<lb/>
Keine Größe, keine Kleinheit des geiſtigen Wertes, den das<lb/>
Individuum entwickelt, ſchützt gegen die Senſe, die allerorten<lb/>ſchwirrt. Patroklus liegt begraben, aber auch Therſites hat<lb/>
eines Tages daran glauben müſſen. In der Jobſiade lieſt<lb/>
du als einen gelungenen Scherz das große Totenregiſter, in<lb/>
dem alle Helden der Weltgeſchichte in unmögliche Reime ge¬<lb/>
bracht ſind und zwar jeder mit dem Zuſatz, daß er <hirendition="#g">auch</hi><lb/>
geſtorben ſei. Auch Cäſar. Auch Alexander. Auch Ariſtoteles.<lb/>
Und auch Schinderhannes. Und der Kandidat Jobs. Das<lb/>
wirkt komiſch. Aber hinter der Komik liegt eine verborgene<lb/>
Tragik, die in einen furchtbaren Ernſt umſchlägt, wenn man<lb/><fwplace="bottom"type="sig">5*<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[67/0083]
wiederholen, weil es noch immer der Ausgangspunkt iſt auch
all unſerer Weisheit jenſeits von Mikroſkopen und phyſiologiſchen
Theorien, iſt im Herzen grau wie Mumienſtaub. Der Euphrat,
der Nil, der Ganges und der Iliſſos wühlen ſich mit ſingender
Welle hindurch. Gegen dieſe uralten Ideen gehalten, iſt
Chriſtus ein Epigone.
[Abbildung]
Dieſe Philoſophie richtet ihren Blick auf die einfachſten
Grundthatſachen des menſchlichen Lebens.
Der Menſch, als Individuum genommen, ſteht plötzlich
inmitten dieſes Lebens, er fühlt ſich als Ich, als lebendig, als
bewußt vorwärts ſchreitend in der Zeit. Seine Erinnerung
giebt ihm keinen Anfangspunkt ſeiner Exiſtenz. Unmittelbar iſt
ihm weder begreiflich, daß er jemals vorher nicht da war,
noch, daß er in der Folge jemals nicht da ſein ſollte. Aber
er lernt. Und zwar lernt er zweierlei in erſter Linie.
Mit Unerbittlichkeit wirft ihn das Leben ſelbſt vor die
Thatſache des Todes.
Eine beſtimmte Zeitſpanne begrenzt das Individuum.
Keine Größe, keine Kleinheit des geiſtigen Wertes, den das
Individuum entwickelt, ſchützt gegen die Senſe, die allerorten
ſchwirrt. Patroklus liegt begraben, aber auch Therſites hat
eines Tages daran glauben müſſen. In der Jobſiade lieſt
du als einen gelungenen Scherz das große Totenregiſter, in
dem alle Helden der Weltgeſchichte in unmögliche Reime ge¬
bracht ſind und zwar jeder mit dem Zuſatz, daß er auch
geſtorben ſei. Auch Cäſar. Auch Alexander. Auch Ariſtoteles.
Und auch Schinderhannes. Und der Kandidat Jobs. Das
wirkt komiſch. Aber hinter der Komik liegt eine verborgene
Tragik, die in einen furchtbaren Ernſt umſchlägt, wenn man
5*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/83>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.