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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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sich das Schnabeltier, das niedrigste aller Säugetiere, heute
noch ein Abbild der ersten Säuger auf Erden. Das Schnabel¬
tier legt noch Eier wie ein Reptil; die unendlich innige Ver¬
kettung, die das Menschenkind im Mutterleibe mit dem mütter¬
lichen Organismus erfährt, fehlt noch ganz. Aber schon trägt
die eine der beiden überlebenden Arten dieser Schnabeltiere
das Ei in einem weichen Hautbeutel am Leibe mit sich herum.
Und ist das Junge hier endlich ausgebrütet, so saugt es aus
einer Drüse des mütterlichen Leibes Milch. Das ist das Ur¬
bild der Mutter im menschlichen Sinne. Von da herauf dann
wieder Gestalt um Gestalt: Säugetiere, die überhaupt schon
keine Eier mehr legen, die das Junge im Mutterleibe selbst
tragen und lange noch innerlich, durch den gemeinsamen Blut¬
kreislauf, der von den Adern der Mutter in die Adern der
ungeborenen Leibesfrucht als heiliger Lebensquell rinnt, er¬
nähren, -- die es dann, nach endlich erfolgter reifer Geburt,
noch an regelrechten Mutterbrüsten säugen. Auch hier ist es
der Affe, der den Brauch in fertiger Form auf den Menschen
vererbt.

Und doch: wie dein Gedanke, der von der strahlenden
Herrlichkeit der sixtinischen Madonna bis zum Schnabeltier
herniedersank, jetzt wieder den Menschen erreicht, ist es, als
reiße jäh ein großer Schleier auseinander, der bisher Mensch
und Tierheit in grauen Vorzeitbildern zusammenschob.

Der Begriff der Mutter, überkommen vom Tier, aus der
ganzen Kette dämonischer Gestalten vom grotesken Schnabeltier
bis zum Orang Utan und Gorilla herauf, flammt mit einem
ganz neuen Lichte auf, da er in die Geschichte der Menschheit
tritt. Es ist das helle Licht der Natur, die sich zu Kultur
enthüllt.

Auf Äonen der Natur folgen Jahrtausende der Mensch¬
heitsentwickelung als Kultur.

Da giebt sich, was aus dem Tiere kam, nicht einfach
weiter als das ewig gleiche tierische Erbe.

ſich das Schnabeltier, das niedrigſte aller Säugetiere, heute
noch ein Abbild der erſten Säuger auf Erden. Das Schnabel¬
tier legt noch Eier wie ein Reptil; die unendlich innige Ver¬
kettung, die das Menſchenkind im Mutterleibe mit dem mütter¬
lichen Organismus erfährt, fehlt noch ganz. Aber ſchon trägt
die eine der beiden überlebenden Arten dieſer Schnabeltiere
das Ei in einem weichen Hautbeutel am Leibe mit ſich herum.
Und iſt das Junge hier endlich ausgebrütet, ſo ſaugt es aus
einer Drüſe des mütterlichen Leibes Milch. Das iſt das Ur¬
bild der Mutter im menſchlichen Sinne. Von da herauf dann
wieder Geſtalt um Geſtalt: Säugetiere, die überhaupt ſchon
keine Eier mehr legen, die das Junge im Mutterleibe ſelbſt
tragen und lange noch innerlich, durch den gemeinſamen Blut¬
kreislauf, der von den Adern der Mutter in die Adern der
ungeborenen Leibesfrucht als heiliger Lebensquell rinnt, er¬
nähren, — die es dann, nach endlich erfolgter reifer Geburt,
noch an regelrechten Mutterbrüſten ſäugen. Auch hier iſt es
der Affe, der den Brauch in fertiger Form auf den Menſchen
vererbt.

Und doch: wie dein Gedanke, der von der ſtrahlenden
Herrlichkeit der ſixtiniſchen Madonna bis zum Schnabeltier
herniederſank, jetzt wieder den Menſchen erreicht, iſt es, als
reiße jäh ein großer Schleier auseinander, der bisher Menſch
und Tierheit in grauen Vorzeitbildern zuſammenſchob.

Der Begriff der Mutter, überkommen vom Tier, aus der
ganzen Kette dämoniſcher Geſtalten vom grotesken Schnabeltier
bis zum Orang Utan und Gorilla herauf, flammt mit einem
ganz neuen Lichte auf, da er in die Geſchichte der Menſchheit
tritt. Es iſt das helle Licht der Natur, die ſich zu Kultur
enthüllt.

Auf Äonen der Natur folgen Jahrtauſende der Menſch¬
heitsentwickelung als Kultur.

Da giebt ſich, was aus dem Tiere kam, nicht einfach
weiter als das ewig gleiche tieriſche Erbe.

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[28/0044] ſich das Schnabeltier, das niedrigſte aller Säugetiere, heute noch ein Abbild der erſten Säuger auf Erden. Das Schnabel¬ tier legt noch Eier wie ein Reptil; die unendlich innige Ver¬ kettung, die das Menſchenkind im Mutterleibe mit dem mütter¬ lichen Organismus erfährt, fehlt noch ganz. Aber ſchon trägt die eine der beiden überlebenden Arten dieſer Schnabeltiere das Ei in einem weichen Hautbeutel am Leibe mit ſich herum. Und iſt das Junge hier endlich ausgebrütet, ſo ſaugt es aus einer Drüſe des mütterlichen Leibes Milch. Das iſt das Ur¬ bild der Mutter im menſchlichen Sinne. Von da herauf dann wieder Geſtalt um Geſtalt: Säugetiere, die überhaupt ſchon keine Eier mehr legen, die das Junge im Mutterleibe ſelbſt tragen und lange noch innerlich, durch den gemeinſamen Blut¬ kreislauf, der von den Adern der Mutter in die Adern der ungeborenen Leibesfrucht als heiliger Lebensquell rinnt, er¬ nähren, — die es dann, nach endlich erfolgter reifer Geburt, noch an regelrechten Mutterbrüſten ſäugen. Auch hier iſt es der Affe, der den Brauch in fertiger Form auf den Menſchen vererbt. Und doch: wie dein Gedanke, der von der ſtrahlenden Herrlichkeit der ſixtiniſchen Madonna bis zum Schnabeltier herniederſank, jetzt wieder den Menſchen erreicht, iſt es, als reiße jäh ein großer Schleier auseinander, der bisher Menſch und Tierheit in grauen Vorzeitbildern zuſammenſchob. Der Begriff der Mutter, überkommen vom Tier, aus der ganzen Kette dämoniſcher Geſtalten vom grotesken Schnabeltier bis zum Orang Utan und Gorilla herauf, flammt mit einem ganz neuen Lichte auf, da er in die Geſchichte der Menſchheit tritt. Es iſt das helle Licht der Natur, die ſich zu Kultur enthüllt. Auf Äonen der Natur folgen Jahrtauſende der Menſch¬ heitsentwickelung als Kultur. Da giebt ſich, was aus dem Tiere kam, nicht einfach weiter als das ewig gleiche tieriſche Erbe.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/44>, abgerufen am 27.11.2024.