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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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entwickeln, -- sie ist verlassen worden schon in Urtagen von
der Mehrzahl der Pflanzen, der Mehrzahl der Tiere. Wenn
die indische Sage recht hätte und der erste Mensch durch
warmen Kuß des goldenen Gottesauges aus einer rosenfarbigen
Lotosblüte des heiligen Gangesstromes aufgeblüht wäre: er hätte
von dieser Blume schon die Zweigeschlechtlichkeit erben müssen.
Allerdings trägt die Wasserrose noch beide Geschlechtswerkzeuge
in einem Blütenkörper vereint. Aber die weibliche Narbe
fordert die Befruchtung durch Samenstaub aus einem zweiten
Kelch, so daß die wahre Zeugung doch auch hier eines Doppel¬
lebens, der Kräfte zweier gesonderter Individuen schon bedarf.

In Wahrheit ist der Mensch kein Kind der Pflanze, so
wohllautend auch die Legende klingt. Er ist aus dem Tier
erwachsen. Selbst jene einfachste Form der doppelten Geschlechts¬
liebe, wie sie die Lotosblume noch weist, ist schon früh im
Reich der höheren Tiere, bei den Wirbeltieren schon von den
Fischen, verlassen worden zu gunsten absoluter Trennung in
Mann und Weib, die jedes nur ihre echte Geschlechtshälfte
verkörpern, mit männlichem oder weiblichem Organ, mit
männlichem oder weiblichem Gefühl. Vom Fisch an aufwärts
giebt es keinen Rückfall unter dieses feste Prinzip hinunter
mehr. Das Amphibium erbte es vom Fisch, das Reptil
vom Amphibium, das Säugetier vom Reptil. In der an¬
steigenden Kette der Säuger war es der Affe, der sein
Doppelgeschlecht dem Menschen weitergab. Als Mann und
Weib tritt der Mensch in die Geschichte ein. Wie jener
Mensch der Lotosblume, so ist auch der Adam vor Erschaf¬
fung der Eva eine schöne Dichtung, -- der wirkliche wilde
Urmensch, der das Mammut, den Höhlenbären und das Riesen¬
faultier jagte, umfing in der Höhle oder Sandgrube, die ihm
als Schlupfwinkel diente, vom ersten Tage an sein wildes
Urmenschenweib.

Das symbolisch höchste Weib, wie es Rafael gemalt hat,
trägt auf seinen Armen ein Kind. Du brauchst bei der rein

entwickeln, — ſie iſt verlaſſen worden ſchon in Urtagen von
der Mehrzahl der Pflanzen, der Mehrzahl der Tiere. Wenn
die indiſche Sage recht hätte und der erſte Menſch durch
warmen Kuß des goldenen Gottesauges aus einer roſenfarbigen
Lotosblüte des heiligen Gangesſtromes aufgeblüht wäre: er hätte
von dieſer Blume ſchon die Zweigeſchlechtlichkeit erben müſſen.
Allerdings trägt die Waſſerroſe noch beide Geſchlechtswerkzeuge
in einem Blütenkörper vereint. Aber die weibliche Narbe
fordert die Befruchtung durch Samenſtaub aus einem zweiten
Kelch, ſo daß die wahre Zeugung doch auch hier eines Doppel¬
lebens, der Kräfte zweier geſonderter Individuen ſchon bedarf.

In Wahrheit iſt der Menſch kein Kind der Pflanze, ſo
wohllautend auch die Legende klingt. Er iſt aus dem Tier
erwachſen. Selbſt jene einfachſte Form der doppelten Geſchlechts¬
liebe, wie ſie die Lotosblume noch weiſt, iſt ſchon früh im
Reich der höheren Tiere, bei den Wirbeltieren ſchon von den
Fiſchen, verlaſſen worden zu gunſten abſoluter Trennung in
Mann und Weib, die jedes nur ihre echte Geſchlechtshälfte
verkörpern, mit männlichem oder weiblichem Organ, mit
männlichem oder weiblichem Gefühl. Vom Fiſch an aufwärts
giebt es keinen Rückfall unter dieſes feſte Prinzip hinunter
mehr. Das Amphibium erbte es vom Fiſch, das Reptil
vom Amphibium, das Säugetier vom Reptil. In der an¬
ſteigenden Kette der Säuger war es der Affe, der ſein
Doppelgeſchlecht dem Menſchen weitergab. Als Mann und
Weib tritt der Menſch in die Geſchichte ein. Wie jener
Menſch der Lotosblume, ſo iſt auch der Adam vor Erſchaf¬
fung der Eva eine ſchöne Dichtung, — der wirkliche wilde
Urmenſch, der das Mammut, den Höhlenbären und das Rieſen¬
faultier jagte, umfing in der Höhle oder Sandgrube, die ihm
als Schlupfwinkel diente, vom erſten Tage an ſein wildes
Urmenſchenweib.

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trägt auf ſeinen Armen ein Kind. Du brauchſt bei der rein

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[26/0042] entwickeln, — ſie iſt verlaſſen worden ſchon in Urtagen von der Mehrzahl der Pflanzen, der Mehrzahl der Tiere. Wenn die indiſche Sage recht hätte und der erſte Menſch durch warmen Kuß des goldenen Gottesauges aus einer roſenfarbigen Lotosblüte des heiligen Gangesſtromes aufgeblüht wäre: er hätte von dieſer Blume ſchon die Zweigeſchlechtlichkeit erben müſſen. Allerdings trägt die Waſſerroſe noch beide Geſchlechtswerkzeuge in einem Blütenkörper vereint. Aber die weibliche Narbe fordert die Befruchtung durch Samenſtaub aus einem zweiten Kelch, ſo daß die wahre Zeugung doch auch hier eines Doppel¬ lebens, der Kräfte zweier geſonderter Individuen ſchon bedarf. In Wahrheit iſt der Menſch kein Kind der Pflanze, ſo wohllautend auch die Legende klingt. Er iſt aus dem Tier erwachſen. Selbſt jene einfachſte Form der doppelten Geſchlechts¬ liebe, wie ſie die Lotosblume noch weiſt, iſt ſchon früh im Reich der höheren Tiere, bei den Wirbeltieren ſchon von den Fiſchen, verlaſſen worden zu gunſten abſoluter Trennung in Mann und Weib, die jedes nur ihre echte Geſchlechtshälfte verkörpern, mit männlichem oder weiblichem Organ, mit männlichem oder weiblichem Gefühl. Vom Fiſch an aufwärts giebt es keinen Rückfall unter dieſes feſte Prinzip hinunter mehr. Das Amphibium erbte es vom Fiſch, das Reptil vom Amphibium, das Säugetier vom Reptil. In der an¬ ſteigenden Kette der Säuger war es der Affe, der ſein Doppelgeſchlecht dem Menſchen weitergab. Als Mann und Weib tritt der Menſch in die Geſchichte ein. Wie jener Menſch der Lotosblume, ſo iſt auch der Adam vor Erſchaf¬ fung der Eva eine ſchöne Dichtung, — der wirkliche wilde Urmenſch, der das Mammut, den Höhlenbären und das Rieſen¬ faultier jagte, umfing in der Höhle oder Sandgrube, die ihm als Schlupfwinkel diente, vom erſten Tage an ſein wildes Urmenſchenweib. Das ſymboliſch höchſte Weib, wie es Rafael gemalt hat, trägt auf ſeinen Armen ein Kind. Du brauchſt bei der rein

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/42>, abgerufen am 27.11.2024.