Ein Bild, das still und groß aus der Krönungsflamme alles Irdischen steigt.
Du schaust in eines jener stillen Heiligtümer der Mensch¬ heit, wo der Abglanz einer Weltenstunde lebt. Einer jener Stunden, da einem Einzelmenschen das Ungeheure gelang: den Geist langer Jahrhunderte der ringenden Menschheit in sich zu fühlen. Durch den Kristall des hohen Fensters rinnt das tiefe Goldlicht eines klaren Herbsttages, -- es schmilzt in zarter Welle wie ein Heiligenschein über der sixtinischen Madonna Rafaels.
Das Wort Heiligtum ist zu schwach. Es entstammt einem Gedankenkreise, der das Höchste nur zu fassen weiß als ein Loch in der bunten Welt der Wirklichkeit, -- ein Loch in die uferlose Schwärze hinein, an der das Auge sich wund sucht, um die geisterbleichen Sterne einer außerweltlichen Offenbarung zu entdecken.
Die großen Meister der Renaissance haben keine Löcher gemalt. Als Rafael seine liebende Allmutter mit dem Jesus¬ kinde in der individuellen Form erfand, wie sie heute noch vor uns steht, warf er alles hinein, was die Menschheit bis dahin über die Liebe an sich selbst erfahren hatte.
Alles, was noch aus der Tierheit herüberkam. Alles auch, was in den Jahrtausenden über die Tierheit hinausgeführt hatte. Mit der Kraft des ganz großen Künstlers goß er das
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Empor! Ein drittes Bild.
Ein Bild, das ſtill und groß aus der Krönungsflamme alles Irdiſchen ſteigt.
Du ſchauſt in eines jener ſtillen Heiligtümer der Menſch¬ heit, wo der Abglanz einer Weltenſtunde lebt. Einer jener Stunden, da einem Einzelmenſchen das Ungeheure gelang: den Geiſt langer Jahrhunderte der ringenden Menſchheit in ſich zu fühlen. Durch den Kriſtall des hohen Fenſters rinnt das tiefe Goldlicht eines klaren Herbſttages, — es ſchmilzt in zarter Welle wie ein Heiligenſchein über der ſixtiniſchen Madonna Rafaels.
Das Wort Heiligtum iſt zu ſchwach. Es entſtammt einem Gedankenkreiſe, der das Höchſte nur zu faſſen weiß als ein Loch in der bunten Welt der Wirklichkeit, — ein Loch in die uferloſe Schwärze hinein, an der das Auge ſich wund ſucht, um die geiſterbleichen Sterne einer außerweltlichen Offenbarung zu entdecken.
Die großen Meiſter der Renaiſſance haben keine Löcher gemalt. Als Rafael ſeine liebende Allmutter mit dem Jeſus¬ kinde in der individuellen Form erfand, wie ſie heute noch vor uns ſteht, warf er alles hinein, was die Menſchheit bis dahin über die Liebe an ſich ſelbſt erfahren hatte.
Alles, was noch aus der Tierheit herüberkam. Alles auch, was in den Jahrtauſenden über die Tierheit hinausgeführt hatte. Mit der Kraft des ganz großen Künſtlers goß er das
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Empor! Ein drittes Bild.
Ein Bild, das ſtill und groß aus der Krönungsflamme
alles Irdiſchen ſteigt.
Du ſchauſt in eines jener ſtillen Heiligtümer der Menſch¬
heit, wo der Abglanz einer Weltenſtunde lebt. Einer jener
Stunden, da einem Einzelmenſchen das Ungeheure gelang: den
Geiſt langer Jahrhunderte der ringenden Menſchheit in ſich zu
fühlen. Durch den Kriſtall des hohen Fenſters rinnt das tiefe
Goldlicht eines klaren Herbſttages, — es ſchmilzt in zarter
Welle wie ein Heiligenſchein über der ſixtiniſchen Madonna
Rafaels.
Das Wort Heiligtum iſt zu ſchwach. Es entſtammt einem
Gedankenkreiſe, der das Höchſte nur zu faſſen weiß als ein
Loch in der bunten Welt der Wirklichkeit, — ein Loch in die
uferloſe Schwärze hinein, an der das Auge ſich wund ſucht,
um die geiſterbleichen Sterne einer außerweltlichen Offenbarung
zu entdecken.
Die großen Meiſter der Renaiſſance haben keine Löcher
gemalt. Als Rafael ſeine liebende Allmutter mit dem Jeſus¬
kinde in der individuellen Form erfand, wie ſie heute noch vor
uns ſteht, warf er alles hinein, was die Menſchheit bis dahin
über die Liebe an ſich ſelbſt erfahren hatte.
Alles, was noch aus der Tierheit herüberkam. Alles auch,
was in den Jahrtauſenden über die Tierheit hinausgeführt
hatte. Mit der Kraft des ganz großen Künſtlers goß er das
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/40>, abgerufen am 22.11.2024.
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