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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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schnauze, die kurzen Prozeß macht. Aber die Herbstsonne lacht
und die Sehnsucht gärt, -- da drüben wiegt sich die lieb¬
werteste Spinnenkönigin im Silbernetz -- er muß den Versuch
wagen, auf Tod und -- Liebe.

Aber ehe er sich aufmachen kann, gilt es noch die schwierigste
Sache als unerläßliche Vorbereitung.

Du hast den Tintenfisch gesehen, der die Samenpatronen
in einem seiner Kopfarme trug. Es giebt ein possierlich aus¬
schauendes spinnenähnliches Tierchen am Seestrande, die so¬
genannte Krebsspinne, bei der ebenfalls die Beine eine ent¬
scheidende Rolle für den Geschlechtsapparat spielen, -- maßen,
daß hier Männlein wie Weiblein in jedem der acht Beine je
ein Geschlechtsorgan tragen, im ganzen also sechszehn; und
da Eier wie Samen unmittelbar aus den langen Spinnen¬
beinen hervorquellen, so kann man von diesen gespenstischen
Beintieren (Pantopoda oder Ganzbeiner heißt die Gruppe
wissenschaftlich) sicher behaupten, daß ihr ganzer Zeugungs¬
prozeß regelrecht sich Bein über Bein vollziehe. Etwas nach
dieser wunderlichen Richtung wandelt nun auch unser Spinnerich
am Gartenzaun. Bloß daß er gleichsam erst aktiv sich bereitet,
was jene anderen schon von Natur besitzen.

Schau hin, was er macht. Noch geht er nicht zur Spinne,
er beschäftigt sich erst vorsorgend mit sich selbst. Seine Ge¬
schlechtspforte ist eine einfache Pforte, -- ohne jede Spur eines
Begattungsgliedes. Und wie er nun so sitzt und den Leib hin
und her bewegt, sinnend und bangend, ob er zur Spinne
hinüber soll oder nicht, sieh, da rinnt auf einmal die Samen¬
flüssigkeit von selbst aus der kleinen Pforte als winziges
Tröpfchen aufs Netz. Alsbald ändert unser Herr den Sitz
und dreht sich so, daß die Unterseite des Kopfes in der Maul¬
gegend das Tröpfchen berühren kann. Es sieht aus, als
wolle er es fressen, -- womit dann im Sinne jener Kon¬
kurrenz von Fressen im Nahrungssinne und Verschmelzen
oder "Fressen höheren Grades" im Liebessinne die denkbar

ſchnauze, die kurzen Prozeß macht. Aber die Herbſtſonne lacht
und die Sehnſucht gärt, — da drüben wiegt ſich die lieb¬
werteſte Spinnenkönigin im Silbernetz — er muß den Verſuch
wagen, auf Tod und — Liebe.

Aber ehe er ſich aufmachen kann, gilt es noch die ſchwierigſte
Sache als unerläßliche Vorbereitung.

Du haſt den Tintenfiſch geſehen, der die Samenpatronen
in einem ſeiner Kopfarme trug. Es giebt ein poſſierlich aus¬
ſchauendes ſpinnenähnliches Tierchen am Seeſtrande, die ſo¬
genannte Krebsſpinne, bei der ebenfalls die Beine eine ent¬
ſcheidende Rolle für den Geſchlechtsapparat ſpielen, — maßen,
daß hier Männlein wie Weiblein in jedem der acht Beine je
ein Geſchlechtsorgan tragen, im ganzen alſo ſechszehn; und
da Eier wie Samen unmittelbar aus den langen Spinnen¬
beinen hervorquellen, ſo kann man von dieſen geſpenſtiſchen
Beintieren (Pantopoda oder Ganzbeiner heißt die Gruppe
wiſſenſchaftlich) ſicher behaupten, daß ihr ganzer Zeugungs¬
prozeß regelrecht ſich Bein über Bein vollziehe. Etwas nach
dieſer wunderlichen Richtung wandelt nun auch unſer Spinnerich
am Gartenzaun. Bloß daß er gleichſam erſt aktiv ſich bereitet,
was jene anderen ſchon von Natur beſitzen.

Schau hin, was er macht. Noch geht er nicht zur Spinne,
er beſchäftigt ſich erſt vorſorgend mit ſich ſelbſt. Seine Ge¬
ſchlechtspforte iſt eine einfache Pforte, — ohne jede Spur eines
Begattungsgliedes. Und wie er nun ſo ſitzt und den Leib hin
und her bewegt, ſinnend und bangend, ob er zur Spinne
hinüber ſoll oder nicht, ſieh, da rinnt auf einmal die Samen¬
flüſſigkeit von ſelbſt aus der kleinen Pforte als winziges
Tröpfchen aufs Netz. Alsbald ändert unſer Herr den Sitz
und dreht ſich ſo, daß die Unterſeite des Kopfes in der Maul¬
gegend das Tröpfchen berühren kann. Es ſieht aus, als
wolle er es freſſen, — womit dann im Sinne jener Kon¬
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[332/0348] ſchnauze, die kurzen Prozeß macht. Aber die Herbſtſonne lacht und die Sehnſucht gärt, — da drüben wiegt ſich die lieb¬ werteſte Spinnenkönigin im Silbernetz — er muß den Verſuch wagen, auf Tod und — Liebe. Aber ehe er ſich aufmachen kann, gilt es noch die ſchwierigſte Sache als unerläßliche Vorbereitung. Du haſt den Tintenfiſch geſehen, der die Samenpatronen in einem ſeiner Kopfarme trug. Es giebt ein poſſierlich aus¬ ſchauendes ſpinnenähnliches Tierchen am Seeſtrande, die ſo¬ genannte Krebsſpinne, bei der ebenfalls die Beine eine ent¬ ſcheidende Rolle für den Geſchlechtsapparat ſpielen, — maßen, daß hier Männlein wie Weiblein in jedem der acht Beine je ein Geſchlechtsorgan tragen, im ganzen alſo ſechszehn; und da Eier wie Samen unmittelbar aus den langen Spinnen¬ beinen hervorquellen, ſo kann man von dieſen geſpenſtiſchen Beintieren (Pantopoda oder Ganzbeiner heißt die Gruppe wiſſenſchaftlich) ſicher behaupten, daß ihr ganzer Zeugungs¬ prozeß regelrecht ſich Bein über Bein vollziehe. Etwas nach dieſer wunderlichen Richtung wandelt nun auch unſer Spinnerich am Gartenzaun. Bloß daß er gleichſam erſt aktiv ſich bereitet, was jene anderen ſchon von Natur beſitzen. Schau hin, was er macht. Noch geht er nicht zur Spinne, er beſchäftigt ſich erſt vorſorgend mit ſich ſelbſt. Seine Ge¬ ſchlechtspforte iſt eine einfache Pforte, — ohne jede Spur eines Begattungsgliedes. Und wie er nun ſo ſitzt und den Leib hin und her bewegt, ſinnend und bangend, ob er zur Spinne hinüber ſoll oder nicht, ſieh, da rinnt auf einmal die Samen¬ flüſſigkeit von ſelbſt aus der kleinen Pforte als winziges Tröpfchen aufs Netz. Alsbald ändert unſer Herr den Sitz und dreht ſich ſo, daß die Unterſeite des Kopfes in der Maul¬ gegend das Tröpfchen berühren kann. Es ſieht aus, als wolle er es freſſen, — womit dann im Sinne jener Kon¬ kurrenz von Freſſen im Nahrungsſinne und Verſchmelzen oder „Freſſen höheren Grades“ im Liebesſinne die denkbar

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/348>, abgerufen am 22.11.2024.