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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Höheren Fressens! Mit einem ganz besonderen, ekla¬
tanten Unterschied. Bei dem einfachen Fressen nahm das Ge¬
schöpf unzweifelhaft "tote" Nahrung zu sich. Sei es nun, daß
es nach früher Pflanzenart direkt anorganische, mineralische
Stoffe aufnahm und verarbeitete. Sei es, daß es nach
tierischer Methode schon vorhandenen lebenden Pflanzenstoff
tötete und in sich fraß. Auf alle Fälle besaß auch hier der
Organismus die Kraft, das aufgespeiste tote Material in sich
zu lebendigem Baustoff selbstthätig wieder umzuformen. Aber
das war erst wieder ein Nachträgliches, ein eigenes Neuschaffen
von Leben, das im Geheimnis des Stoffwechsels und Wachs¬
tums enger wieder lag. Die Grundthatsache blieb: im ge¬
meinen Sinne "Totes" diente als Freßstoff.

Bei der geschlechtlichen Liebe dagegen verschmolz restlos
Leben mit Leben, -- Leben fraß Leben als solches, wenn der
Ausdruck (den ich dir immer wenigstens an der Grenze der
Bildlichkeit halten möchte) erlaubt ist. Oder es ließ sich von
ihm fressen, was in diesem Falle wohl ganz gleichbedeutend
ist, -- keine Partei wurde ja dabei zerstört, sondern beide ver¬
schmolzen zu intensiverem Leben.

Du siehst, auch hier ist logisch eine gewisse Kette, aber
zugleich auch der Kern eines gewissen Gegensatzes. Nun denke
dir die Dinge einseitig ins Tierreich hinauf weiter. Hier
mußte der Gegensatz alsbald eine kritische Schärfe annehmen.

Die Pflanze nahm zur einfachen Nahrung im allgemeinen
nur anorganische Mineralstoffe auf. Zur "Liebesnahrung"
dagegen lebenden Zellstoff verwandter Pflanzenart. Da war
in beiden Stoffen wohl Unterschied, aber noch keine Möglich¬
lichkeit eines Konfliktes. Jetzt kommt im Tierreich aber jene
andere Methode des einfachen Fressens auf: das Tier braucht
auch zur einfachen Nahrung (ich sehe hier von der Atmung
ab und denke jetzt nur an den Magen!) schon Zellstoff. Aller¬
dings keinen dauernd lebendigen, sondern frisch getöteten.
Wenn Pflanzen da sind, so ist natürlich der einfachste Weg:

Höheren Freſſens! Mit einem ganz beſonderen, ekla¬
tanten Unterſchied. Bei dem einfachen Freſſen nahm das Ge¬
ſchöpf unzweifelhaft „tote“ Nahrung zu ſich. Sei es nun, daß
es nach früher Pflanzenart direkt anorganiſche, mineraliſche
Stoffe aufnahm und verarbeitete. Sei es, daß es nach
tieriſcher Methode ſchon vorhandenen lebenden Pflanzenſtoff
tötete und in ſich fraß. Auf alle Fälle beſaß auch hier der
Organismus die Kraft, das aufgeſpeiſte tote Material in ſich
zu lebendigem Bauſtoff ſelbſtthätig wieder umzuformen. Aber
das war erſt wieder ein Nachträgliches, ein eigenes Neuſchaffen
von Leben, das im Geheimnis des Stoffwechſels und Wachs¬
tums enger wieder lag. Die Grundthatſache blieb: im ge¬
meinen Sinne „Totes“ diente als Freßſtoff.

Bei der geſchlechtlichen Liebe dagegen verſchmolz reſtlos
Leben mit Leben, — Leben fraß Leben als ſolches, wenn der
Ausdruck (den ich dir immer wenigſtens an der Grenze der
Bildlichkeit halten möchte) erlaubt iſt. Oder es ließ ſich von
ihm freſſen, was in dieſem Falle wohl ganz gleichbedeutend
iſt, — keine Partei wurde ja dabei zerſtört, ſondern beide ver¬
ſchmolzen zu intenſiverem Leben.

Du ſiehſt, auch hier iſt logiſch eine gewiſſe Kette, aber
zugleich auch der Kern eines gewiſſen Gegenſatzes. Nun denke
dir die Dinge einſeitig ins Tierreich hinauf weiter. Hier
mußte der Gegenſatz alsbald eine kritiſche Schärfe annehmen.

Die Pflanze nahm zur einfachen Nahrung im allgemeinen
nur anorganiſche Mineralſtoffe auf. Zur „Liebesnahrung“
dagegen lebenden Zellſtoff verwandter Pflanzenart. Da war
in beiden Stoffen wohl Unterſchied, aber noch keine Möglich¬
lichkeit eines Konfliktes. Jetzt kommt im Tierreich aber jene
andere Methode des einfachen Freſſens auf: das Tier braucht
auch zur einfachen Nahrung (ich ſehe hier von der Atmung
ab und denke jetzt nur an den Magen!) ſchon Zellſtoff. Aller¬
dings keinen dauernd lebendigen, ſondern friſch getöteten.
Wenn Pflanzen da ſind, ſo iſt natürlich der einfachſte Weg:

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[325/0341] Höheren Freſſens! Mit einem ganz beſonderen, ekla¬ tanten Unterſchied. Bei dem einfachen Freſſen nahm das Ge¬ ſchöpf unzweifelhaft „tote“ Nahrung zu ſich. Sei es nun, daß es nach früher Pflanzenart direkt anorganiſche, mineraliſche Stoffe aufnahm und verarbeitete. Sei es, daß es nach tieriſcher Methode ſchon vorhandenen lebenden Pflanzenſtoff tötete und in ſich fraß. Auf alle Fälle beſaß auch hier der Organismus die Kraft, das aufgeſpeiſte tote Material in ſich zu lebendigem Bauſtoff ſelbſtthätig wieder umzuformen. Aber das war erſt wieder ein Nachträgliches, ein eigenes Neuſchaffen von Leben, das im Geheimnis des Stoffwechſels und Wachs¬ tums enger wieder lag. Die Grundthatſache blieb: im ge¬ meinen Sinne „Totes“ diente als Freßſtoff. Bei der geſchlechtlichen Liebe dagegen verſchmolz reſtlos Leben mit Leben, — Leben fraß Leben als ſolches, wenn der Ausdruck (den ich dir immer wenigſtens an der Grenze der Bildlichkeit halten möchte) erlaubt iſt. Oder es ließ ſich von ihm freſſen, was in dieſem Falle wohl ganz gleichbedeutend iſt, — keine Partei wurde ja dabei zerſtört, ſondern beide ver¬ ſchmolzen zu intenſiverem Leben. Du ſiehſt, auch hier iſt logiſch eine gewiſſe Kette, aber zugleich auch der Kern eines gewiſſen Gegenſatzes. Nun denke dir die Dinge einſeitig ins Tierreich hinauf weiter. Hier mußte der Gegenſatz alsbald eine kritiſche Schärfe annehmen. Die Pflanze nahm zur einfachen Nahrung im allgemeinen nur anorganiſche Mineralſtoffe auf. Zur „Liebesnahrung“ dagegen lebenden Zellſtoff verwandter Pflanzenart. Da war in beiden Stoffen wohl Unterſchied, aber noch keine Möglich¬ lichkeit eines Konfliktes. Jetzt kommt im Tierreich aber jene andere Methode des einfachen Freſſens auf: das Tier braucht auch zur einfachen Nahrung (ich ſehe hier von der Atmung ab und denke jetzt nur an den Magen!) ſchon Zellſtoff. Aller¬ dings keinen dauernd lebendigen, ſondern friſch getöteten. Wenn Pflanzen da ſind, ſo iſt natürlich der einfachſte Weg:

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/341>, abgerufen am 13.05.2024.