Malheur. Die Krabbe, vom Wurzelkrebs befallen, geht zwar, wie gesagt, nicht ein, aber sie wird doch gerade so weit in ihrer Lebenslust und Lebenskraft eingeengt, daß sie durchaus nicht zur Liebe zu schreiten pflegt. Und so wäre die Sache endgültig verzweifelt, wenn es keine ganz besondere Hilfe gäbe, -- eine Hilfe, die eben wieder nur aus der allgemeinen Verrücktheit dieser ganzen Rankenfüßerkrebse als logische Spezialfolge er¬ stehen kann.
Die Rankenfüßer samt ihrem faulsten Bruder, dem Wurzel¬ krebs, sind ein märchenhaftes Volk, das nicht umsonst die beste Lebenszeit durch auf dem Kopf steht. Aber ihr Liebesleben ist doch das allerseltsamste an ihnen. Man würde es kaum glauben, hätte nicht ein so unendlich vorsichtiger Beobachter wie der alte Darwin gerade hier den Grund unserer Kennt¬ nisse gelegt.
Im allgemeinen sind die Rankenkrebse, wie du es auch beim Wurzelkrebs wenigstens der Anlage nach siehst, Zwitter oder Hermaphroditen. Angewachsen, wie die reifen Tiere vom Schlage jener Entenmuscheln sind, solltest du also meinen, es träte ein Begattungsprozeß nach der Methode der Austern ein: Samentierchen und Eier abwechselnd frei entleert und im Wasser oder unter der klaffenden Schale sich findend. Offenbar aber: diese Methode hat noch nicht recht gereicht. Die Inzucht durch Selbstbefruchtung sollte natürlich auch vermieden werden, so weit es ging. Und so gestaltete sich das folgende erotische Prachtexempel.
Bei einer ganzen Reihe von Rankenkrebsen existieren neben den doppelgeschlechtigen Zwittern noch besondere Männchen, die bloß Samen produzieren. Diese Männchen sind (ähnlich wie bei jener famosen Bonellia) winzig klein, so klein im Verhältnis zu den Zwittern, daß sie auf diesen selbst wie Schmarotzertiere, etwa wie eine Art Fischläuse, sich ansiedeln und festsetzen können. "Sie sitzen den Zwittern an", wie der Naturforscher sich malerisch ausdrückt. Ihrem Bau nach be¬
Malheur. Die Krabbe, vom Wurzelkrebs befallen, geht zwar, wie geſagt, nicht ein, aber ſie wird doch gerade ſo weit in ihrer Lebensluſt und Lebenskraft eingeengt, daß ſie durchaus nicht zur Liebe zu ſchreiten pflegt. Und ſo wäre die Sache endgültig verzweifelt, wenn es keine ganz beſondere Hilfe gäbe, — eine Hilfe, die eben wieder nur aus der allgemeinen Verrücktheit dieſer ganzen Rankenfüßerkrebſe als logiſche Spezialfolge er¬ ſtehen kann.
Die Rankenfüßer ſamt ihrem faulſten Bruder, dem Wurzel¬ krebs, ſind ein märchenhaftes Volk, das nicht umſonſt die beſte Lebenszeit durch auf dem Kopf ſteht. Aber ihr Liebesleben iſt doch das allerſeltſamſte an ihnen. Man würde es kaum glauben, hätte nicht ein ſo unendlich vorſichtiger Beobachter wie der alte Darwin gerade hier den Grund unſerer Kennt¬ niſſe gelegt.
Im allgemeinen ſind die Rankenkrebſe, wie du es auch beim Wurzelkrebs wenigſtens der Anlage nach ſiehſt, Zwitter oder Hermaphroditen. Angewachſen, wie die reifen Tiere vom Schlage jener Entenmuſcheln ſind, ſollteſt du alſo meinen, es träte ein Begattungsprozeß nach der Methode der Auſtern ein: Samentierchen und Eier abwechſelnd frei entleert und im Waſſer oder unter der klaffenden Schale ſich findend. Offenbar aber: dieſe Methode hat noch nicht recht gereicht. Die Inzucht durch Selbſtbefruchtung ſollte natürlich auch vermieden werden, ſo weit es ging. Und ſo geſtaltete ſich das folgende erotiſche Prachtexempel.
Bei einer ganzen Reihe von Rankenkrebſen exiſtieren neben den doppelgeſchlechtigen Zwittern noch beſondere Männchen, die bloß Samen produzieren. Dieſe Männchen ſind (ähnlich wie bei jener famoſen Bonellia) winzig klein, ſo klein im Verhältnis zu den Zwittern, daß ſie auf dieſen ſelbſt wie Schmarotzertiere, etwa wie eine Art Fiſchläuſe, ſich anſiedeln und feſtſetzen können. „Sie ſitzen den Zwittern an“, wie der Naturforſcher ſich maleriſch ausdrückt. Ihrem Bau nach be¬
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Malheur. Die Krabbe, vom Wurzelkrebs befallen, geht zwar,
wie geſagt, nicht ein, aber ſie wird doch gerade ſo weit in ihrer
Lebensluſt und Lebenskraft eingeengt, daß ſie durchaus nicht
zur Liebe zu ſchreiten pflegt. Und ſo wäre die Sache endgültig
verzweifelt, wenn es keine ganz beſondere Hilfe gäbe, — eine
Hilfe, die eben wieder nur aus der allgemeinen Verrücktheit
dieſer ganzen Rankenfüßerkrebſe als logiſche Spezialfolge er¬
ſtehen kann.
Die Rankenfüßer ſamt ihrem faulſten Bruder, dem Wurzel¬
krebs, ſind ein märchenhaftes Volk, das nicht umſonſt die beſte
Lebenszeit durch auf dem Kopf ſteht. Aber ihr Liebesleben
iſt doch das allerſeltſamſte an ihnen. Man würde es kaum
glauben, hätte nicht ein ſo unendlich vorſichtiger Beobachter
wie der alte Darwin gerade hier den Grund unſerer Kennt¬
niſſe gelegt.
Im allgemeinen ſind die Rankenkrebſe, wie du es auch
beim Wurzelkrebs wenigſtens der Anlage nach ſiehſt, Zwitter
oder Hermaphroditen. Angewachſen, wie die reifen Tiere vom
Schlage jener Entenmuſcheln ſind, ſollteſt du alſo meinen, es
träte ein Begattungsprozeß nach der Methode der Auſtern
ein: Samentierchen und Eier abwechſelnd frei entleert und im
Waſſer oder unter der klaffenden Schale ſich findend. Offenbar
aber: dieſe Methode hat noch nicht recht gereicht. Die Inzucht
durch Selbſtbefruchtung ſollte natürlich auch vermieden werden,
ſo weit es ging. Und ſo geſtaltete ſich das folgende erotiſche
Prachtexempel.
Bei einer ganzen Reihe von Rankenkrebſen exiſtieren
neben den doppelgeſchlechtigen Zwittern noch beſondere
Männchen, die bloß Samen produzieren. Dieſe Männchen
ſind (ähnlich wie bei jener famoſen Bonellia) winzig klein, ſo
klein im Verhältnis zu den Zwittern, daß ſie auf dieſen ſelbſt
wie Schmarotzertiere, etwa wie eine Art Fiſchläuſe, ſich anſiedeln
und feſtſetzen können. „Sie ſitzen den Zwittern an“, wie der
Naturforſcher ſich maleriſch ausdrückt. Ihrem Bau nach be¬
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/332>, abgerufen am 24.11.2024.
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