Ich vermute, daß du vier Arten von Krebsen kennst und voneinander unterscheiden kannst. Den Flußkrebs, den "Krebs" schlechthin, der unser roter Tafelheld für die Monate ohne R (Mai bis August) ist. Den Hummer, der eigentlich nur ein sehr vergrößerter Flußkrebs des Meeres ist. Die Garneele, Granate oder sogenannte "Krabbe", das niedliche, fast durch¬ sichtige Krebselfchen, das dem Feinschmecker doch einen so soliden Schwanzbissen liefert. Und endlich den runden Taschenkrebs, die eigentliche Krabbe, die alle Meeresküsten als possierlicher Kobold belebt und meist nur vom Volke gegessen wird, während sie in der Delikateßhandlung fehlt.
Vier Arten. Die Wissenschaft zählt so ungefähr achttausend. Und alle lieben oder haben (wenn sie heute ausgestorben sind) in verschollenen Quellen und Meeresbuchten der Vorzeit einmal geliebt .....
Die Grundmelodie der Krebsliebe wie überhaupt der ganzen Gliedertierliebe bis zum höchsten Insekt hinauf ist natür¬ lich dieselbe, die uns immer und immer wieder begegnet ist. Zwei Geschlechtstiere: Männchen und Weibchen. Das Männchen hat den Hoden, in dem der männliche Samen mit Samentierchen (Samenzellen) erzeugt wird. Das Weibchen hat den Eierstock, wo die Eizellen sich bilden. Eine Begattung bringt Samen und Ei zusammen, und aus dem befruchteten Ei erwächst ein neues Tier. Die Schablone scheint immer wieder ermüdend einfach, ein ewiges Leitmotiv, von dem man erwarten sollte, daß es langweilig wird.
Aber die Natur geigt aus dem einfachen Thema immer und immer wieder die hellen Wunder heraus. Achttausend Arten. Wenn man sie alle auf das bunteste Märchen ihres Lebens, die Zeugung, prüfen könnte: es wären sicher nicht tausendundeines, sondern achttausend Märchen, so spannend, daß kein Sultan darüber einschlafen würde.
Und noch ein sehr wichtiges kommt hinzu, was fortan, je höher man steigt, ganz allgemein und nicht mehr bloß vom
Ich vermute, daß du vier Arten von Krebſen kennſt und voneinander unterſcheiden kannſt. Den Flußkrebs, den „Krebs“ ſchlechthin, der unſer roter Tafelheld für die Monate ohne R (Mai bis Auguſt) iſt. Den Hummer, der eigentlich nur ein ſehr vergrößerter Flußkrebs des Meeres iſt. Die Garneele, Granate oder ſogenannte „Krabbe“, das niedliche, faſt durch¬ ſichtige Krebselfchen, das dem Feinſchmecker doch einen ſo ſoliden Schwanzbiſſen liefert. Und endlich den runden Taſchenkrebs, die eigentliche Krabbe, die alle Meeresküſten als poſſierlicher Kobold belebt und meiſt nur vom Volke gegeſſen wird, während ſie in der Delikateßhandlung fehlt.
Vier Arten. Die Wiſſenſchaft zählt ſo ungefähr achttauſend. Und alle lieben oder haben (wenn ſie heute ausgeſtorben ſind) in verſchollenen Quellen und Meeresbuchten der Vorzeit einmal geliebt .....
Die Grundmelodie der Krebsliebe wie überhaupt der ganzen Gliedertierliebe bis zum höchſten Inſekt hinauf iſt natür¬ lich dieſelbe, die uns immer und immer wieder begegnet iſt. Zwei Geſchlechtstiere: Männchen und Weibchen. Das Männchen hat den Hoden, in dem der männliche Samen mit Samentierchen (Samenzellen) erzeugt wird. Das Weibchen hat den Eierſtock, wo die Eizellen ſich bilden. Eine Begattung bringt Samen und Ei zuſammen, und aus dem befruchteten Ei erwächſt ein neues Tier. Die Schablone ſcheint immer wieder ermüdend einfach, ein ewiges Leitmotiv, von dem man erwarten ſollte, daß es langweilig wird.
Aber die Natur geigt aus dem einfachen Thema immer und immer wieder die hellen Wunder heraus. Achttauſend Arten. Wenn man ſie alle auf das bunteſte Märchen ihres Lebens, die Zeugung, prüfen könnte: es wären ſicher nicht tauſendundeines, ſondern achttauſend Märchen, ſo ſpannend, daß kein Sultan darüber einſchlafen würde.
Und noch ein ſehr wichtiges kommt hinzu, was fortan, je höher man ſteigt, ganz allgemein und nicht mehr bloß vom
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0325"n="309"/><p>Ich vermute, daß du vier Arten von Krebſen kennſt und<lb/>
voneinander unterſcheiden kannſt. Den Flußkrebs, den „Krebs“<lb/>ſchlechthin, der unſer roter Tafelheld für die Monate ohne R<lb/>
(Mai bis Auguſt) iſt. Den Hummer, der eigentlich nur ein<lb/>ſehr vergrößerter Flußkrebs des Meeres iſt. Die Garneele,<lb/>
Granate oder ſogenannte „Krabbe“, das niedliche, faſt durch¬<lb/>ſichtige Krebselfchen, das dem Feinſchmecker doch einen ſo ſoliden<lb/>
Schwanzbiſſen liefert. Und endlich den runden Taſchenkrebs,<lb/>
die eigentliche Krabbe, die alle Meeresküſten als poſſierlicher<lb/>
Kobold belebt und meiſt nur vom Volke gegeſſen wird, während<lb/>ſie in der Delikateßhandlung fehlt.</p><lb/><p>Vier Arten. Die Wiſſenſchaft zählt ſo ungefähr achttauſend.<lb/>
Und alle lieben oder haben (wenn ſie heute ausgeſtorben ſind)<lb/>
in verſchollenen Quellen und Meeresbuchten der Vorzeit einmal<lb/>
geliebt .....</p><lb/><p>Die Grundmelodie der Krebsliebe wie überhaupt der<lb/>
ganzen Gliedertierliebe bis zum höchſten Inſekt hinauf iſt natür¬<lb/>
lich dieſelbe, die uns immer und immer wieder begegnet iſt.<lb/>
Zwei Geſchlechtstiere: Männchen und Weibchen. Das Männchen<lb/>
hat den Hoden, in dem der männliche Samen mit Samentierchen<lb/>
(Samenzellen) erzeugt wird. Das Weibchen hat den Eierſtock,<lb/>
wo die Eizellen ſich bilden. Eine Begattung bringt Samen<lb/>
und Ei zuſammen, und aus dem befruchteten Ei erwächſt ein<lb/>
neues Tier. Die Schablone ſcheint immer wieder ermüdend<lb/>
einfach, ein ewiges Leitmotiv, von dem man erwarten ſollte,<lb/>
daß es langweilig wird.</p><lb/><p>Aber die Natur geigt aus dem einfachen Thema immer<lb/>
und immer wieder die hellen Wunder heraus. Achttauſend<lb/>
Arten. Wenn man ſie alle auf das bunteſte Märchen ihres<lb/>
Lebens, die Zeugung, prüfen könnte: es wären ſicher nicht<lb/>
tauſendundeines, ſondern achttauſend Märchen, ſo ſpannend, daß<lb/>
kein Sultan darüber einſchlafen würde.</p><lb/><p>Und noch ein ſehr wichtiges kommt hinzu, was fortan,<lb/>
je höher man ſteigt, ganz allgemein und nicht mehr bloß vom<lb/></p></div></body></text></TEI>
[309/0325]
Ich vermute, daß du vier Arten von Krebſen kennſt und
voneinander unterſcheiden kannſt. Den Flußkrebs, den „Krebs“
ſchlechthin, der unſer roter Tafelheld für die Monate ohne R
(Mai bis Auguſt) iſt. Den Hummer, der eigentlich nur ein
ſehr vergrößerter Flußkrebs des Meeres iſt. Die Garneele,
Granate oder ſogenannte „Krabbe“, das niedliche, faſt durch¬
ſichtige Krebselfchen, das dem Feinſchmecker doch einen ſo ſoliden
Schwanzbiſſen liefert. Und endlich den runden Taſchenkrebs,
die eigentliche Krabbe, die alle Meeresküſten als poſſierlicher
Kobold belebt und meiſt nur vom Volke gegeſſen wird, während
ſie in der Delikateßhandlung fehlt.
Vier Arten. Die Wiſſenſchaft zählt ſo ungefähr achttauſend.
Und alle lieben oder haben (wenn ſie heute ausgeſtorben ſind)
in verſchollenen Quellen und Meeresbuchten der Vorzeit einmal
geliebt .....
Die Grundmelodie der Krebsliebe wie überhaupt der
ganzen Gliedertierliebe bis zum höchſten Inſekt hinauf iſt natür¬
lich dieſelbe, die uns immer und immer wieder begegnet iſt.
Zwei Geſchlechtstiere: Männchen und Weibchen. Das Männchen
hat den Hoden, in dem der männliche Samen mit Samentierchen
(Samenzellen) erzeugt wird. Das Weibchen hat den Eierſtock,
wo die Eizellen ſich bilden. Eine Begattung bringt Samen
und Ei zuſammen, und aus dem befruchteten Ei erwächſt ein
neues Tier. Die Schablone ſcheint immer wieder ermüdend
einfach, ein ewiges Leitmotiv, von dem man erwarten ſollte,
daß es langweilig wird.
Aber die Natur geigt aus dem einfachen Thema immer
und immer wieder die hellen Wunder heraus. Achttauſend
Arten. Wenn man ſie alle auf das bunteſte Märchen ihres
Lebens, die Zeugung, prüfen könnte: es wären ſicher nicht
tauſendundeines, ſondern achttauſend Märchen, ſo ſpannend, daß
kein Sultan darüber einſchlafen würde.
Und noch ein ſehr wichtiges kommt hinzu, was fortan,
je höher man ſteigt, ganz allgemein und nicht mehr bloß vom
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/325>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.