Liebessturm der Insekten ist jetzt auf seinem Höhepunkt. In der Fläche des Stromes bilden die aufsteigenden und versin¬ kenden Elfen weiße Lichtinseln, die sich unablässig lösen und wieder erneuern. Auf die Uferwege wirbelt die Wolke wie das dichteste Schneegestöber. Du selbst als einsamer Wanderer bist im Augenblick davon umhüllt, bedeckt, daß du dir mühsam deinen Weg bahnen mußt. Ein Boot verschwindet unter dem lebendigen Schleier. Auf den Stufen, die zu ihm hinabführen, wimmelt es mehrere Zoll hoch, Schicht um Schicht wirft sich im Taumel des Fliegens, des Luftatmens, des Zueinander¬ findens und der stürmisch ausgelösten, lähmenden Wollust darauf.
Aber inmitten der aufstrebenden Bewegung ist auch schon eine absinkende merkbar. Paar um Paar hat sein Werk voll¬ bracht. Ein Augenblick der Seligkeit und der Lenz ist hin. Nun wirbelt es abwärts wie welkes Laub. Das Weibchen wirft die befruchteten Eier in den Strom und stirbt als Opfer, als sei der arme weiche Sylphenleib zu Tode getroffen durch allzuviel Glück, Liebesfreuden und Mutterfreuden in der Spanne eines einzigen kurzen Augenblicks. Fern verweht davon durch den ersten Lufthauch, der von der Gewitterwolke kommt, geht aber gleichzeitig auch das Männchen ein, getötet vom Blitz der Liebe, der alle seine Sinne auf ihr Höchstes trieb, aber sie auch für immer fortnahm in diesem Sturm und das ganze schwache Leben zerbrach im Moment, da alle seine Saiten ihre gewaltigste Melodie absangen in nie vorher erreichter Harmonie ....
Der erste ferne Donner rollt. Der Wind fällt leise singend in die Uferbinsen. Elf Uhr. Der Elfenspuk ist aus. Myriaden weißer Leichen hat die ruhelos sich dahinschiebende schwarze Stromfläche aufgesaugt, hinabgeschwemmt, ein Festmahl für die kleinen Silberfische der Tiefe. Die letzten schwachen Nachzügler, schon vom Tode gezeichnet, wird der Regen niederschlagen. Zwei Stunden -- und der ganze Hochzeitsrausch ist dahin, alle Zwecke des neuen Wesens sind erfüllt bis über die Neige, bis in den Tod. Und mitten in das Bacchantenfest hinein mäht
Liebesſturm der Inſekten iſt jetzt auf ſeinem Höhepunkt. In der Fläche des Stromes bilden die aufſteigenden und verſin¬ kenden Elfen weiße Lichtinſeln, die ſich unabläſſig löſen und wieder erneuern. Auf die Uferwege wirbelt die Wolke wie das dichteſte Schneegeſtöber. Du ſelbſt als einſamer Wanderer biſt im Augenblick davon umhüllt, bedeckt, daß du dir mühſam deinen Weg bahnen mußt. Ein Boot verſchwindet unter dem lebendigen Schleier. Auf den Stufen, die zu ihm hinabführen, wimmelt es mehrere Zoll hoch, Schicht um Schicht wirft ſich im Taumel des Fliegens, des Luftatmens, des Zueinander¬ findens und der ſtürmiſch ausgelöſten, lähmenden Wolluſt darauf.
Aber inmitten der aufſtrebenden Bewegung iſt auch ſchon eine abſinkende merkbar. Paar um Paar hat ſein Werk voll¬ bracht. Ein Augenblick der Seligkeit und der Lenz iſt hin. Nun wirbelt es abwärts wie welkes Laub. Das Weibchen wirft die befruchteten Eier in den Strom und ſtirbt als Opfer, als ſei der arme weiche Sylphenleib zu Tode getroffen durch allzuviel Glück, Liebesfreuden und Mutterfreuden in der Spanne eines einzigen kurzen Augenblicks. Fern verweht davon durch den erſten Lufthauch, der von der Gewitterwolke kommt, geht aber gleichzeitig auch das Männchen ein, getötet vom Blitz der Liebe, der alle ſeine Sinne auf ihr Höchſtes trieb, aber ſie auch für immer fortnahm in dieſem Sturm und das ganze ſchwache Leben zerbrach im Moment, da alle ſeine Saiten ihre gewaltigſte Melodie abſangen in nie vorher erreichter Harmonie ....
Der erſte ferne Donner rollt. Der Wind fällt leiſe ſingend in die Uferbinſen. Elf Uhr. Der Elfenſpuk iſt aus. Myriaden weißer Leichen hat die ruhelos ſich dahinſchiebende ſchwarze Stromfläche aufgeſaugt, hinabgeſchwemmt, ein Feſtmahl für die kleinen Silberfiſche der Tiefe. Die letzten ſchwachen Nachzügler, ſchon vom Tode gezeichnet, wird der Regen niederſchlagen. Zwei Stunden — und der ganze Hochzeitsrauſch iſt dahin, alle Zwecke des neuen Weſens ſind erfüllt bis über die Neige, bis in den Tod. Und mitten in das Bacchantenfeſt hinein mäht
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Liebesſturm der Inſekten iſt jetzt auf ſeinem Höhepunkt. In
der Fläche des Stromes bilden die aufſteigenden und verſin¬
kenden Elfen weiße Lichtinſeln, die ſich unabläſſig löſen und
wieder erneuern. Auf die Uferwege wirbelt die Wolke wie
das dichteſte Schneegeſtöber. Du ſelbſt als einſamer Wanderer
biſt im Augenblick davon umhüllt, bedeckt, daß du dir mühſam
deinen Weg bahnen mußt. Ein Boot verſchwindet unter dem
lebendigen Schleier. Auf den Stufen, die zu ihm hinabführen,
wimmelt es mehrere Zoll hoch, Schicht um Schicht wirft ſich
im Taumel des Fliegens, des Luftatmens, des Zueinander¬
findens und der ſtürmiſch ausgelöſten, lähmenden Wolluſt darauf.
Aber inmitten der aufſtrebenden Bewegung iſt auch ſchon
eine abſinkende merkbar. Paar um Paar hat ſein Werk voll¬
bracht. Ein Augenblick der Seligkeit und der Lenz iſt hin.
Nun wirbelt es abwärts wie welkes Laub. Das Weibchen
wirft die befruchteten Eier in den Strom und ſtirbt als Opfer,
als ſei der arme weiche Sylphenleib zu Tode getroffen durch
allzuviel Glück, Liebesfreuden und Mutterfreuden in der Spanne
eines einzigen kurzen Augenblicks. Fern verweht davon durch
den erſten Lufthauch, der von der Gewitterwolke kommt, geht
aber gleichzeitig auch das Männchen ein, getötet vom Blitz der
Liebe, der alle ſeine Sinne auf ihr Höchſtes trieb, aber ſie auch
für immer fortnahm in dieſem Sturm und das ganze ſchwache
Leben zerbrach im Moment, da alle ſeine Saiten ihre gewaltigſte
Melodie abſangen in nie vorher erreichter Harmonie ....
Der erſte ferne Donner rollt. Der Wind fällt leiſe ſingend
in die Uferbinſen. Elf Uhr. Der Elfenſpuk iſt aus. Myriaden
weißer Leichen hat die ruhelos ſich dahinſchiebende ſchwarze
Stromfläche aufgeſaugt, hinabgeſchwemmt, ein Feſtmahl für die
kleinen Silberfiſche der Tiefe. Die letzten ſchwachen Nachzügler,
ſchon vom Tode gezeichnet, wird der Regen niederſchlagen.
Zwei Stunden — und der ganze Hochzeitsrauſch iſt dahin, alle
Zwecke des neuen Weſens ſind erfüllt bis über die Neige, bis
in den Tod. Und mitten in das Bacchantenfeſt hinein mäht
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/29>, abgerufen am 24.11.2024.
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