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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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rückgebildeter Ringelwurm sei. So wären wir mit ihr schon
in der obersten Würmergruppe, jenem dritten Haufen, von dem
ich dir gesprochen habe.

Regenwurm und Blutegel sind hier daheim, vornehme
Herren, wenn man aus dem wüsten Gewimmel da unten
kommt.

Uns sind beide besonders vertraut, weil sie gleichsam
Anteil haben an der menschlichen Kulturgeschichte. Der Blut¬
egel wahrt seine Rolle in der Entwickelungsgeschichte der Medizin.
Der Regenwurm aber, dieser stille Durchkneter und Durch¬
ackerer des Erdreichs, der unablässig Erdkrumen nach oben
bringt, bis er im Laufe der Zeiten die ganze Oberfläche seines
Gebietes in die Tiefe vergraben und eine neue Fläche ge¬
schaffen hat: er ist seit Jahrtausenden der stille Helfer des
Archäologen gewesen, durch seine Macht sind Mosaikböden und
Säulenstümpfe, Münzen und Schmuckgegenstände in die Erde
hinabgearbeitet und der Nachwelt erhalten worden. Das
Liebesleben beider ähnelt sich stark und ist verhältnismäßig
einfach.

Regenwurm wie Blutegel sind Zwitter oder Hermaphroditen
von wahrhaft typischer Vollkommenheit. Jeder Wurm führt
beide Geschlechtsapparate im Leibe. Aber du erinnerst dich
des großen Gesetzes, das durch die organische Welt geht, des
Gesetzes: du sollst dich nicht selbst befruchten. Auch Regen¬
wurm und Egel stehen unerschütterlich in seinem Bann.

In der Kühle einer feuchten Nacht, wenn kein Feind sich
regt, kein Lichtschein ihre augenlose und doch seltsam licht¬
empfindliche Kopfspitze schreckt, kriechen zwei Regenwürmer ganz
aus der schwarzen Scholle hervor. Sie schlängeln sich dicht
aneinander, doch so, daß die Vorderenden nach zwei entgegen¬
gesetzten Seiten angeln. Nun betrachte sie genau. Die ganzen
Leiber sind zusammengesetzt aus den bekannten fleischroten
Ringeln. Äußerliche Unterschiede gewahrst du nicht, denn es
ist ja nicht Mann und Weib, was du siehst, sondern jeder

rückgebildeter Ringelwurm ſei. So wären wir mit ihr ſchon
in der oberſten Würmergruppe, jenem dritten Haufen, von dem
ich dir geſprochen habe.

Regenwurm und Blutegel ſind hier daheim, vornehme
Herren, wenn man aus dem wüſten Gewimmel da unten
kommt.

Uns ſind beide beſonders vertraut, weil ſie gleichſam
Anteil haben an der menſchlichen Kulturgeſchichte. Der Blut¬
egel wahrt ſeine Rolle in der Entwickelungsgeſchichte der Medizin.
Der Regenwurm aber, dieſer ſtille Durchkneter und Durch¬
ackerer des Erdreichs, der unabläſſig Erdkrumen nach oben
bringt, bis er im Laufe der Zeiten die ganze Oberfläche ſeines
Gebietes in die Tiefe vergraben und eine neue Fläche ge¬
ſchaffen hat: er iſt ſeit Jahrtauſenden der ſtille Helfer des
Archäologen geweſen, durch ſeine Macht ſind Moſaikböden und
Säulenſtümpfe, Münzen und Schmuckgegenſtände in die Erde
hinabgearbeitet und der Nachwelt erhalten worden. Das
Liebesleben beider ähnelt ſich ſtark und iſt verhältnismäßig
einfach.

Regenwurm wie Blutegel ſind Zwitter oder Hermaphroditen
von wahrhaft typiſcher Vollkommenheit. Jeder Wurm führt
beide Geſchlechtsapparate im Leibe. Aber du erinnerſt dich
des großen Geſetzes, das durch die organiſche Welt geht, des
Geſetzes: du ſollſt dich nicht ſelbſt befruchten. Auch Regen¬
wurm und Egel ſtehen unerſchütterlich in ſeinem Bann.

In der Kühle einer feuchten Nacht, wenn kein Feind ſich
regt, kein Lichtſchein ihre augenloſe und doch ſeltſam licht¬
empfindliche Kopfſpitze ſchreckt, kriechen zwei Regenwürmer ganz
aus der ſchwarzen Scholle hervor. Sie ſchlängeln ſich dicht
aneinander, doch ſo, daß die Vorderenden nach zwei entgegen¬
geſetzten Seiten angeln. Nun betrachte ſie genau. Die ganzen
Leiber ſind zuſammengeſetzt aus den bekannten fleiſchroten
Ringeln. Äußerliche Unterſchiede gewahrſt du nicht, denn es
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[262/0278] rückgebildeter Ringelwurm ſei. So wären wir mit ihr ſchon in der oberſten Würmergruppe, jenem dritten Haufen, von dem ich dir geſprochen habe. Regenwurm und Blutegel ſind hier daheim, vornehme Herren, wenn man aus dem wüſten Gewimmel da unten kommt. Uns ſind beide beſonders vertraut, weil ſie gleichſam Anteil haben an der menſchlichen Kulturgeſchichte. Der Blut¬ egel wahrt ſeine Rolle in der Entwickelungsgeſchichte der Medizin. Der Regenwurm aber, dieſer ſtille Durchkneter und Durch¬ ackerer des Erdreichs, der unabläſſig Erdkrumen nach oben bringt, bis er im Laufe der Zeiten die ganze Oberfläche ſeines Gebietes in die Tiefe vergraben und eine neue Fläche ge¬ ſchaffen hat: er iſt ſeit Jahrtauſenden der ſtille Helfer des Archäologen geweſen, durch ſeine Macht ſind Moſaikböden und Säulenſtümpfe, Münzen und Schmuckgegenſtände in die Erde hinabgearbeitet und der Nachwelt erhalten worden. Das Liebesleben beider ähnelt ſich ſtark und iſt verhältnismäßig einfach. Regenwurm wie Blutegel ſind Zwitter oder Hermaphroditen von wahrhaft typiſcher Vollkommenheit. Jeder Wurm führt beide Geſchlechtsapparate im Leibe. Aber du erinnerſt dich des großen Geſetzes, das durch die organiſche Welt geht, des Geſetzes: du ſollſt dich nicht ſelbſt befruchten. Auch Regen¬ wurm und Egel ſtehen unerſchütterlich in ſeinem Bann. In der Kühle einer feuchten Nacht, wenn kein Feind ſich regt, kein Lichtſchein ihre augenloſe und doch ſeltſam licht¬ empfindliche Kopfſpitze ſchreckt, kriechen zwei Regenwürmer ganz aus der ſchwarzen Scholle hervor. Sie ſchlängeln ſich dicht aneinander, doch ſo, daß die Vorderenden nach zwei entgegen¬ geſetzten Seiten angeln. Nun betrachte ſie genau. Die ganzen Leiber ſind zuſammengeſetzt aus den bekannten fleiſchroten Ringeln. Äußerliche Unterſchiede gewahrſt du nicht, denn es iſt ja nicht Mann und Weib, was du ſiehſt, ſondern jeder

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/278>, abgerufen am 28.11.2024.