ist. Du erinnerst dich der Geschichte aus Jean Paul: von dem Herrn, dessen Nase so lang war, daß sie eine Meile Vorsprung hatte, zwei Stunden vor ihm ans Stadtthor kam und arretiert wurde, weil sie keinen Paß bei sich trug.
Kleiner und kleiner verliert sich hinten die Mutter, zu¬ sammenbrechend unter der Last und Schauerlichkeit des Phä¬ nomens. Noch ein Weilchen -- und sie ist als mikroskopisch winziges zweckloses Restschwänzchen von ihrem eigenen rasend gewordenen Organ gänzlich fortgetrocknet -- und in die Hummel fällt gleich einer reifen Erbsenschote die kolossale Scheide, zum Bersten angefüllt mit einer frisch-fromm-fröhlichen Hecke eben ausgekrochener junger Sphärularia-Älchen .....
Doch -- das alles wieder nebenbei. Der eigentlich wichtige Fall, weshalb ich dich in diese Gesellschaft führe, trifft den Fadenwurm vom Geschlecht jener Älchen, den der Zoologe die Rhabditis getauft hat (Rhabdos heißt griechisch Stab), mit engerem Namen die schwarzaderige (nigrovenosa) Rhabditis.
Rhabditis-Mann und Rhabditis-Weib, streng getrennt ge¬ schlechtig zunächst, tauchen im Schlamm in winzigster Gestalt auf, das Männlein ein halbes, das Weiblein fast ein ganzes Millimeter lang. Sie finden sich schnell und lieben schnell, alles im weichen Schlamm als freie, der Schmarotzerei voll¬ kommen abgeneigte Weltbürger.
Bei diesem ganzen Volk der Fadenwürmer ist gesorgt für einen ganz ordentlichen Begattungsakt. Das größere Weibchen hat seine Geschlechtsöffnung in oder nahe an der Körpermitte, das kleine Männchen trägt sie am Leibesende vereinigt mit der Ausgangspforte des Darms. Zum Geschlechtsakt wird aber nicht bloß die männliche Öffnung an die weibliche gepreßt,
iſt. Du erinnerſt dich der Geſchichte aus Jean Paul: von dem Herrn, deſſen Naſe ſo lang war, daß ſie eine Meile Vorſprung hatte, zwei Stunden vor ihm ans Stadtthor kam und arretiert wurde, weil ſie keinen Paß bei ſich trug.
Kleiner und kleiner verliert ſich hinten die Mutter, zu¬ ſammenbrechend unter der Laſt und Schauerlichkeit des Phä¬ nomens. Noch ein Weilchen — und ſie iſt als mikroſkopiſch winziges zweckloſes Reſtſchwänzchen von ihrem eigenen raſend gewordenen Organ gänzlich fortgetrocknet — und in die Hummel fällt gleich einer reifen Erbſenſchote die koloſſale Scheide, zum Berſten angefüllt mit einer friſch-fromm-fröhlichen Hecke eben ausgekrochener junger Sphärularia-Älchen .....
Doch — das alles wieder nebenbei. Der eigentlich wichtige Fall, weshalb ich dich in dieſe Geſellſchaft führe, trifft den Fadenwurm vom Geſchlecht jener Älchen, den der Zoologe die Rhabditis getauft hat (Rhabdos heißt griechiſch Stab), mit engerem Namen die ſchwarzaderige (nigrovenoſa) Rhabditis.
Rhabditis-Mann und Rhabditis-Weib, ſtreng getrennt ge¬ ſchlechtig zunächſt, tauchen im Schlamm in winzigſter Geſtalt auf, das Männlein ein halbes, das Weiblein faſt ein ganzes Millimeter lang. Sie finden ſich ſchnell und lieben ſchnell, alles im weichen Schlamm als freie, der Schmarotzerei voll¬ kommen abgeneigte Weltbürger.
Bei dieſem ganzen Volk der Fadenwürmer iſt geſorgt für einen ganz ordentlichen Begattungsakt. Das größere Weibchen hat ſeine Geſchlechtsöffnung in oder nahe an der Körpermitte, das kleine Männchen trägt ſie am Leibesende vereinigt mit der Ausgangspforte des Darms. Zum Geſchlechtsakt wird aber nicht bloß die männliche Öffnung an die weibliche gepreßt,
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iſt. Du erinnerſt dich der Geſchichte aus Jean Paul: von dem
Herrn, deſſen Naſe ſo lang war, daß ſie eine Meile Vorſprung
hatte, zwei Stunden vor ihm ans Stadtthor kam und arretiert
wurde, weil ſie keinen Paß bei ſich trug.
Kleiner und kleiner verliert ſich hinten die Mutter, zu¬
ſammenbrechend unter der Laſt und Schauerlichkeit des Phä¬
nomens. Noch ein Weilchen — und ſie iſt als mikroſkopiſch
winziges zweckloſes Reſtſchwänzchen von ihrem eigenen raſend
gewordenen Organ gänzlich fortgetrocknet — und in die Hummel
fällt gleich einer reifen Erbſenſchote die koloſſale Scheide, zum
Berſten angefüllt mit einer friſch-fromm-fröhlichen Hecke eben
ausgekrochener junger Sphärularia-Älchen .....
Doch — das alles wieder nebenbei. Der eigentlich
wichtige Fall, weshalb ich dich in dieſe Geſellſchaft führe,
trifft den Fadenwurm vom Geſchlecht jener Älchen, den der
Zoologe die Rhabditis getauft hat (Rhabdos heißt griechiſch
Stab), mit engerem Namen die ſchwarzaderige (nigrovenoſa)
Rhabditis.
Rhabditis-Mann und Rhabditis-Weib, ſtreng getrennt ge¬
ſchlechtig zunächſt, tauchen im Schlamm in winzigſter Geſtalt
auf, das Männlein ein halbes, das Weiblein faſt ein ganzes
Millimeter lang. Sie finden ſich ſchnell und lieben ſchnell,
alles im weichen Schlamm als freie, der Schmarotzerei voll¬
kommen abgeneigte Weltbürger.
Bei dieſem ganzen Volk der Fadenwürmer iſt geſorgt für
einen ganz ordentlichen Begattungsakt. Das größere Weibchen
hat ſeine Geſchlechtsöffnung in oder nahe an der Körpermitte,
das kleine Männchen trägt ſie am Leibesende vereinigt mit der
Ausgangspforte des Darms. Zum Geſchlechtsakt wird aber
nicht bloß die männliche Öffnung an die weibliche gepreßt,
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/271>, abgerufen am 28.11.2024.
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