guten Sinne der naiven Natur, die unerschöpflich in ihren Liebesromanen ist.
Da hast du nahebei das Weizenälchen, das als Larve eine wahre Mumienzähigkeit besitzt, maßen es jahrelang in trocken liegenden Weizenkörnern harret, hoffet und überlebet, bis die Körner endlich ausgesäet werden und nun das höhere Liebes¬ leben des Aalwürmchens bis in die Ährenknospen hinauf seine Scherze treiben darf.
Da ist die Heterodera, der sogenannte "Fadenwurm der Rübenmüdigkeit", dessen Entwickelungsroman sich auf der Spanne Welt von der Haut bis ins Herzfleisch und abermals bis auf die Haut einer Zuckerrübenwurzel abspielt.
Du, Mensch, lebst im Kosmos, dein Blick sucht die fern¬ sten Sterne, und die ungeheure Erde fängt schon an dir zu klein zu werden. Zu klein ist sie längst für dein Denken. Fast zu klein bald aber auch schon für eine simpele Hochzeitsreise. Hier aber hast du den Raum einer Zuckerrübe -- und auf einem Bruchteil dieses Raumes einen ganzen Schicksalsroman, verwickelt bis aufs äußerste, lustjubelnd und in alle bitterste Tragik versenkt, mit Leben, Liebe und Tod, -- auf dem Raum eines Bruchteils einer Rübe.
In gesunder derber Vollkraft wächst die Rübe im Erden¬ grund. Da bohren sich winzige Würmchen, noch nicht einen halben Millimeter lang, tief unten mit spitzem Stachel in ihre feinsten Wurzelenden ein. Langsam steigen sie in die saftige Kern¬ masse des Wurzelfleisches auf. Wie das Kind im Pfannkuchen¬ berg des Märchens sich durchfressend, durchqueren sie dann den Wurzelleib und finden sich eines Tages, ein Kolumbus ihres ganzen Planeten, dich unter der Außenwand, -- an der Grenze einer neuen Welt. Eine letzte Tunnelbohrung -- und auch die Wurzelhaut wäre durchsetzt, die Pforte in die überrübische Welt aufgethan.
Aber gerade jetzt, so hart an der Scheide von Rüben¬ diesseits und Rübenjenseits, überkommt die Weltfahrer ein
guten Sinne der naiven Natur, die unerſchöpflich in ihren Liebesromanen iſt.
Da haſt du nahebei das Weizenälchen, das als Larve eine wahre Mumienzähigkeit beſitzt, maßen es jahrelang in trocken liegenden Weizenkörnern harret, hoffet und überlebet, bis die Körner endlich ausgeſäet werden und nun das höhere Liebes¬ leben des Aalwürmchens bis in die Ährenknoſpen hinauf ſeine Scherze treiben darf.
Da iſt die Heterodera, der ſogenannte „Fadenwurm der Rübenmüdigkeit“, deſſen Entwickelungsroman ſich auf der Spanne Welt von der Haut bis ins Herzfleiſch und abermals bis auf die Haut einer Zuckerrübenwurzel abſpielt.
Du, Menſch, lebſt im Kosmos, dein Blick ſucht die fern¬ ſten Sterne, und die ungeheure Erde fängt ſchon an dir zu klein zu werden. Zu klein iſt ſie längſt für dein Denken. Faſt zu klein bald aber auch ſchon für eine ſimpele Hochzeitsreiſe. Hier aber haſt du den Raum einer Zuckerrübe — und auf einem Bruchteil dieſes Raumes einen ganzen Schickſalsroman, verwickelt bis aufs äußerſte, luſtjubelnd und in alle bitterſte Tragik verſenkt, mit Leben, Liebe und Tod, — auf dem Raum eines Bruchteils einer Rübe.
In geſunder derber Vollkraft wächſt die Rübe im Erden¬ grund. Da bohren ſich winzige Würmchen, noch nicht einen halben Millimeter lang, tief unten mit ſpitzem Stachel in ihre feinſten Wurzelenden ein. Langſam ſteigen ſie in die ſaftige Kern¬ maſſe des Wurzelfleiſches auf. Wie das Kind im Pfannkuchen¬ berg des Märchens ſich durchfreſſend, durchqueren ſie dann den Wurzelleib und finden ſich eines Tages, ein Kolumbus ihres ganzen Planeten, dich unter der Außenwand, — an der Grenze einer neuen Welt. Eine letzte Tunnelbohrung — und auch die Wurzelhaut wäre durchſetzt, die Pforte in die überrübiſche Welt aufgethan.
Aber gerade jetzt, ſo hart an der Scheide von Rüben¬ diesſeits und Rübenjenſeits, überkommt die Weltfahrer ein
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[251/0267]
guten Sinne der naiven Natur, die unerſchöpflich in ihren
Liebesromanen iſt.
Da haſt du nahebei das Weizenälchen, das als Larve eine
wahre Mumienzähigkeit beſitzt, maßen es jahrelang in trocken
liegenden Weizenkörnern harret, hoffet und überlebet, bis die
Körner endlich ausgeſäet werden und nun das höhere Liebes¬
leben des Aalwürmchens bis in die Ährenknoſpen hinauf ſeine
Scherze treiben darf.
Da iſt die Heterodera, der ſogenannte „Fadenwurm der
Rübenmüdigkeit“, deſſen Entwickelungsroman ſich auf der Spanne
Welt von der Haut bis ins Herzfleiſch und abermals bis auf
die Haut einer Zuckerrübenwurzel abſpielt.
Du, Menſch, lebſt im Kosmos, dein Blick ſucht die fern¬
ſten Sterne, und die ungeheure Erde fängt ſchon an dir zu
klein zu werden. Zu klein iſt ſie längſt für dein Denken. Faſt
zu klein bald aber auch ſchon für eine ſimpele Hochzeitsreiſe.
Hier aber haſt du den Raum einer Zuckerrübe — und auf
einem Bruchteil dieſes Raumes einen ganzen Schickſalsroman,
verwickelt bis aufs äußerſte, luſtjubelnd und in alle bitterſte
Tragik verſenkt, mit Leben, Liebe und Tod, — auf dem Raum
eines Bruchteils einer Rübe.
In geſunder derber Vollkraft wächſt die Rübe im Erden¬
grund. Da bohren ſich winzige Würmchen, noch nicht einen
halben Millimeter lang, tief unten mit ſpitzem Stachel in ihre
feinſten Wurzelenden ein. Langſam ſteigen ſie in die ſaftige Kern¬
maſſe des Wurzelfleiſches auf. Wie das Kind im Pfannkuchen¬
berg des Märchens ſich durchfreſſend, durchqueren ſie dann den
Wurzelleib und finden ſich eines Tages, ein Kolumbus ihres
ganzen Planeten, dich unter der Außenwand, — an der Grenze
einer neuen Welt. Eine letzte Tunnelbohrung — und auch die
Wurzelhaut wäre durchſetzt, die Pforte in die überrübiſche Welt
aufgethan.
Aber gerade jetzt, ſo hart an der Scheide von Rüben¬
diesſeits und Rübenjenſeits, überkommt die Weltfahrer ein
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/267>, abgerufen am 24.11.2024.
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