Auskriechen. Noch liegen die kleinen Egelwürste reglos in der großen hohlen Mutterpelle, da gärt es schon in den lebendigen, eben lebensfertigen Würstlein von neuem Leben: Junge knospen in ihnen selbst, diesmal kleinste Egel mit einem Ruderschwänzchen, die fast wie Kaulquappen ausschauen. Und wiederum quellen diese Kleinen dritten Grades auf, bis ihr Mutterwurm tote Wursthaut wird, -- sie, die einen vorstoßbaren Bohrstachel am Kopfende führen, stechen dann alle Wursthüllen durch, wimmeln frei in die große beherbergende Schnecke hinaus und endlich sogar aus dieser hervor. Sie schwimmen ins freie Wasser, wo einst ihre Ahne in ihrem Flimmerhaar her kam. Mit dem Wasser geht's diesmal weit hinaus, in überschwemmte Wiesen hinein. An gutem Fleck bei irgend einer Pflanze wird Halt gemacht. Das Schwänzchen wird abgeworfen, eine Drüse des Leibes er¬ zeugt einen zähen Schleim, der trocknend rasch eine Kapsel um das ganze Ungetümchen bildet. Jetzt heißt's Warten. Die Kapsel schützt so gut, wie einst das Ei die Ahne schützte. Über kurz oder lang, wenn das Glück will, kommt ein Schaf und frißt die Pflanze samt der winzigen Kapsel: die Kapsel schmilzt, der Leberegel kriecht aus dem Magen in den Darm, aus dem Darm in den Gallengang ..... dreimal Heil, die Urposition ist erreicht, das Schaf bekommt die Leberfäule und die Liebe im Gallengang schickt Millionen Egeleier neu auf die Wanderschaft.
Das ist der Liebesroman des Leberegels. Denke auch ihn dir rasch noch einmal "menschlich" um.
Du nimmst ein Weib und zeugst mit ihm ein regelrechtes Kind, das dir aber ziemlich unähnlich ist. In einem gewissen Alter siehst du das Kind jählings in bedenkliche Wehen fallen. Ohne daß es je geliebt hätte, erwachsen ihm innerlich Enkel in fürchterlicher Zahl, sie pressen es selber im eigenen Leibe wider die Wand, bis es nur noch als hohle Haut um die böse Brut schlottert. In den Enkeln aber wachsen in grausiger Steigerung des Dramas schon wieder Urenkel und quetschen entsprechend die Enkel wieder zu Tode, -- bis endlich der
Auskriechen. Noch liegen die kleinen Egelwürſte reglos in der großen hohlen Mutterpelle, da gärt es ſchon in den lebendigen, eben lebensfertigen Würſtlein von neuem Leben: Junge knoſpen in ihnen ſelbſt, diesmal kleinſte Egel mit einem Ruderſchwänzchen, die faſt wie Kaulquappen ausſchauen. Und wiederum quellen dieſe Kleinen dritten Grades auf, bis ihr Mutterwurm tote Wurſthaut wird, — ſie, die einen vorſtoßbaren Bohrſtachel am Kopfende führen, ſtechen dann alle Wurſthüllen durch, wimmeln frei in die große beherbergende Schnecke hinaus und endlich ſogar aus dieſer hervor. Sie ſchwimmen ins freie Waſſer, wo einſt ihre Ahne in ihrem Flimmerhaar her kam. Mit dem Waſſer geht's diesmal weit hinaus, in überſchwemmte Wieſen hinein. An gutem Fleck bei irgend einer Pflanze wird Halt gemacht. Das Schwänzchen wird abgeworfen, eine Drüſe des Leibes er¬ zeugt einen zähen Schleim, der trocknend raſch eine Kapſel um das ganze Ungetümchen bildet. Jetzt heißt's Warten. Die Kapſel ſchützt ſo gut, wie einſt das Ei die Ahne ſchützte. Über kurz oder lang, wenn das Glück will, kommt ein Schaf und frißt die Pflanze ſamt der winzigen Kapſel: die Kapſel ſchmilzt, der Leberegel kriecht aus dem Magen in den Darm, aus dem Darm in den Gallengang ..... dreimal Heil, die Urpoſition iſt erreicht, das Schaf bekommt die Leberfäule und die Liebe im Gallengang ſchickt Millionen Egeleier neu auf die Wanderſchaft.
Das iſt der Liebesroman des Leberegels. Denke auch ihn dir raſch noch einmal „menſchlich“ um.
Du nimmſt ein Weib und zeugſt mit ihm ein regelrechtes Kind, das dir aber ziemlich unähnlich iſt. In einem gewiſſen Alter ſiehſt du das Kind jählings in bedenkliche Wehen fallen. Ohne daß es je geliebt hätte, erwachſen ihm innerlich Enkel in fürchterlicher Zahl, ſie preſſen es ſelber im eigenen Leibe wider die Wand, bis es nur noch als hohle Haut um die böſe Brut ſchlottert. In den Enkeln aber wachſen in grauſiger Steigerung des Dramas ſchon wieder Urenkel und quetſchen entſprechend die Enkel wieder zu Tode, — bis endlich der
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0265"n="249"/>
Auskriechen. Noch liegen die kleinen Egelwürſte reglos in der<lb/>
großen hohlen Mutterpelle, da gärt es ſchon in den lebendigen,<lb/>
eben lebensfertigen Würſtlein von neuem Leben: Junge knoſpen<lb/>
in ihnen ſelbſt, diesmal kleinſte Egel mit einem Ruderſchwänzchen,<lb/>
die faſt wie Kaulquappen ausſchauen. Und wiederum quellen<lb/>
dieſe Kleinen dritten Grades auf, bis ihr Mutterwurm tote<lb/>
Wurſthaut wird, —ſie, die einen vorſtoßbaren Bohrſtachel am<lb/>
Kopfende führen, ſtechen dann alle Wurſthüllen durch, wimmeln<lb/>
frei in die große beherbergende Schnecke hinaus und endlich ſogar<lb/>
aus dieſer hervor. Sie ſchwimmen ins freie Waſſer, wo einſt<lb/>
ihre Ahne in ihrem Flimmerhaar her kam. Mit dem Waſſer<lb/>
geht's diesmal weit hinaus, in überſchwemmte Wieſen hinein.<lb/>
An gutem Fleck bei irgend einer Pflanze wird Halt gemacht.<lb/>
Das Schwänzchen wird abgeworfen, eine Drüſe des Leibes er¬<lb/>
zeugt einen zähen Schleim, der trocknend raſch eine Kapſel um<lb/>
das ganze Ungetümchen bildet. Jetzt heißt's Warten. Die<lb/>
Kapſel ſchützt ſo gut, wie einſt das Ei die Ahne ſchützte. Über<lb/>
kurz oder lang, wenn das Glück will, kommt ein Schaf und<lb/>
frißt die Pflanze ſamt der winzigen Kapſel: die Kapſel ſchmilzt,<lb/>
der Leberegel kriecht aus dem Magen in den Darm, aus dem<lb/>
Darm in den Gallengang ..... dreimal Heil, die Urpoſition<lb/>
iſt erreicht, das Schaf bekommt die Leberfäule und die Liebe im<lb/>
Gallengang ſchickt Millionen Egeleier neu auf die Wanderſchaft.</p><lb/><p>Das iſt der Liebesroman des Leberegels. Denke auch ihn<lb/>
dir raſch noch einmal „menſchlich“ um.</p><lb/><p>Du nimmſt ein Weib und zeugſt mit ihm ein regelrechtes<lb/>
Kind, das dir aber ziemlich unähnlich iſt. In einem gewiſſen<lb/>
Alter ſiehſt du das Kind jählings in bedenkliche Wehen fallen.<lb/>
Ohne daß es je geliebt hätte, erwachſen ihm innerlich Enkel<lb/>
in fürchterlicher Zahl, ſie preſſen es ſelber im eigenen Leibe<lb/>
wider die Wand, bis es nur noch als hohle Haut um die böſe<lb/>
Brut ſchlottert. In den Enkeln aber wachſen in grauſiger<lb/>
Steigerung des Dramas ſchon wieder Urenkel und quetſchen<lb/>
entſprechend die Enkel wieder zu Tode, — bis endlich der<lb/></p></div></body></text></TEI>
[249/0265]
Auskriechen. Noch liegen die kleinen Egelwürſte reglos in der
großen hohlen Mutterpelle, da gärt es ſchon in den lebendigen,
eben lebensfertigen Würſtlein von neuem Leben: Junge knoſpen
in ihnen ſelbſt, diesmal kleinſte Egel mit einem Ruderſchwänzchen,
die faſt wie Kaulquappen ausſchauen. Und wiederum quellen
dieſe Kleinen dritten Grades auf, bis ihr Mutterwurm tote
Wurſthaut wird, — ſie, die einen vorſtoßbaren Bohrſtachel am
Kopfende führen, ſtechen dann alle Wurſthüllen durch, wimmeln
frei in die große beherbergende Schnecke hinaus und endlich ſogar
aus dieſer hervor. Sie ſchwimmen ins freie Waſſer, wo einſt
ihre Ahne in ihrem Flimmerhaar her kam. Mit dem Waſſer
geht's diesmal weit hinaus, in überſchwemmte Wieſen hinein.
An gutem Fleck bei irgend einer Pflanze wird Halt gemacht.
Das Schwänzchen wird abgeworfen, eine Drüſe des Leibes er¬
zeugt einen zähen Schleim, der trocknend raſch eine Kapſel um
das ganze Ungetümchen bildet. Jetzt heißt's Warten. Die
Kapſel ſchützt ſo gut, wie einſt das Ei die Ahne ſchützte. Über
kurz oder lang, wenn das Glück will, kommt ein Schaf und
frißt die Pflanze ſamt der winzigen Kapſel: die Kapſel ſchmilzt,
der Leberegel kriecht aus dem Magen in den Darm, aus dem
Darm in den Gallengang ..... dreimal Heil, die Urpoſition
iſt erreicht, das Schaf bekommt die Leberfäule und die Liebe im
Gallengang ſchickt Millionen Egeleier neu auf die Wanderſchaft.
Das iſt der Liebesroman des Leberegels. Denke auch ihn
dir raſch noch einmal „menſchlich“ um.
Du nimmſt ein Weib und zeugſt mit ihm ein regelrechtes
Kind, das dir aber ziemlich unähnlich iſt. In einem gewiſſen
Alter ſiehſt du das Kind jählings in bedenkliche Wehen fallen.
Ohne daß es je geliebt hätte, erwachſen ihm innerlich Enkel
in fürchterlicher Zahl, ſie preſſen es ſelber im eigenen Leibe
wider die Wand, bis es nur noch als hohle Haut um die böſe
Brut ſchlottert. In den Enkeln aber wachſen in grauſiger
Steigerung des Dramas ſchon wieder Urenkel und quetſchen
entſprechend die Enkel wieder zu Tode, — bis endlich der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/265>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.