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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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und die Leiter der Fabrik droben im Gehirn verzeichnen bloß
gelegentlich ein unbegreifliches Defizit im Kontoausgleich von
Kraftzufuhr und wirklichem Gewinn an Blutkraft: sie rechnen
den Mitesser gleichsam in Ziffern heraus, ohne ihn als realen
blinden Passagier unter dem Laboratoriumstisch zu erkennen.
Er aber, randvoll gegessen wie er ist, und höchst gemütlich in
seiner genialen Lösung des sozialen Problems, aller andern
Sorgen baar, schreitet zur Erfüllung des Lebens durch
die -- Liebe.

In dir, mein Lieber, denn ob du nun der frömmste und
keuscheste Asket bist, der für immer der Liebe abgeschworen
hat: diesen leichtfertigen Gast kannst du nicht hindern, das
große Gesetz der naiven Natur zu erfüllen inmitten all deiner
Strenge und naturabgewendeten Heiligkeit, und er erfüllt es
in den Tiefen deines Darmes sogar mit einer beispiellosen
Energie -- wenn schon unter etwas absonderlichen Voraus¬
setzungen.

Du hast wohl ein ungefähres Bild, wie ein Bandwurm
aussieht. Zuerst der sogenannte Kopf, mit besonderen Appa¬
raten, Saugnäpfen (die irrtümlich wohl für Augen gehalten
werden) oder Haken, um sich im Darm festzuheften, nach
hinten etwas verschmälert wie zu einem tragenden Halse.
Dann die endlose Kette sogenannter Glieder, die dem Ganzen
erst eigentlich das Ansehen eines "Wurmes" im Laiensinne
geben und einzeln bekanntlich sich leicht ablösen und abgehen.
Aber du mußt dir dieses allgemeine Erinnerungsbild jetzt erst
etwas zoologisch genau umdenken.

Was du Kopf und Hals nennst, ist zunächst allein schon
der eigentliche in Betracht kommende Bandwurm selbst, ein
echtes Wurmtier aus der Klasse der sogenannten Platt¬
würmer, die im System ganz außerordentlich viel tiefer noch
stehen als jene dir bekanntesten Vertreter des Wurmgeschlechts:
der Regenwurm und der Blutegel. Ein solcher Bandwurm¬
kopf mit seinen Saugnäpfen und seinem Hals kann in deinem

und die Leiter der Fabrik droben im Gehirn verzeichnen bloß
gelegentlich ein unbegreifliches Defizit im Kontoausgleich von
Kraftzufuhr und wirklichem Gewinn an Blutkraft: ſie rechnen
den Miteſſer gleichſam in Ziffern heraus, ohne ihn als realen
blinden Paſſagier unter dem Laboratoriumstiſch zu erkennen.
Er aber, randvoll gegeſſen wie er iſt, und höchſt gemütlich in
ſeiner genialen Löſung des ſozialen Problems, aller andern
Sorgen baar, ſchreitet zur Erfüllung des Lebens durch
die — Liebe.

In dir, mein Lieber, denn ob du nun der frömmſte und
keuſcheſte Asket biſt, der für immer der Liebe abgeſchworen
hat: dieſen leichtfertigen Gaſt kannſt du nicht hindern, das
große Geſetz der naiven Natur zu erfüllen inmitten all deiner
Strenge und naturabgewendeten Heiligkeit, und er erfüllt es
in den Tiefen deines Darmes ſogar mit einer beiſpielloſen
Energie — wenn ſchon unter etwas abſonderlichen Voraus¬
ſetzungen.

Du haſt wohl ein ungefähres Bild, wie ein Bandwurm
ausſieht. Zuerſt der ſogenannte Kopf, mit beſonderen Appa¬
raten, Saugnäpfen (die irrtümlich wohl für Augen gehalten
werden) oder Haken, um ſich im Darm feſtzuheften, nach
hinten etwas verſchmälert wie zu einem tragenden Halſe.
Dann die endloſe Kette ſogenannter Glieder, die dem Ganzen
erſt eigentlich das Anſehen eines „Wurmes“ im Laienſinne
geben und einzeln bekanntlich ſich leicht ablöſen und abgehen.
Aber du mußt dir dieſes allgemeine Erinnerungsbild jetzt erſt
etwas zoologiſch genau umdenken.

Was du Kopf und Hals nennſt, iſt zunächſt allein ſchon
der eigentliche in Betracht kommende Bandwurm ſelbſt, ein
echtes Wurmtier aus der Klaſſe der ſogenannten Platt¬
würmer, die im Syſtem ganz außerordentlich viel tiefer noch
ſtehen als jene dir bekannteſten Vertreter des Wurmgeſchlechts:
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[235/0251] und die Leiter der Fabrik droben im Gehirn verzeichnen bloß gelegentlich ein unbegreifliches Defizit im Kontoausgleich von Kraftzufuhr und wirklichem Gewinn an Blutkraft: ſie rechnen den Miteſſer gleichſam in Ziffern heraus, ohne ihn als realen blinden Paſſagier unter dem Laboratoriumstiſch zu erkennen. Er aber, randvoll gegeſſen wie er iſt, und höchſt gemütlich in ſeiner genialen Löſung des ſozialen Problems, aller andern Sorgen baar, ſchreitet zur Erfüllung des Lebens durch die — Liebe. In dir, mein Lieber, denn ob du nun der frömmſte und keuſcheſte Asket biſt, der für immer der Liebe abgeſchworen hat: dieſen leichtfertigen Gaſt kannſt du nicht hindern, das große Geſetz der naiven Natur zu erfüllen inmitten all deiner Strenge und naturabgewendeten Heiligkeit, und er erfüllt es in den Tiefen deines Darmes ſogar mit einer beiſpielloſen Energie — wenn ſchon unter etwas abſonderlichen Voraus¬ ſetzungen. Du haſt wohl ein ungefähres Bild, wie ein Bandwurm ausſieht. Zuerſt der ſogenannte Kopf, mit beſonderen Appa¬ raten, Saugnäpfen (die irrtümlich wohl für Augen gehalten werden) oder Haken, um ſich im Darm feſtzuheften, nach hinten etwas verſchmälert wie zu einem tragenden Halſe. Dann die endloſe Kette ſogenannter Glieder, die dem Ganzen erſt eigentlich das Anſehen eines „Wurmes“ im Laienſinne geben und einzeln bekanntlich ſich leicht ablöſen und abgehen. Aber du mußt dir dieſes allgemeine Erinnerungsbild jetzt erſt etwas zoologiſch genau umdenken. Was du Kopf und Hals nennſt, iſt zunächſt allein ſchon der eigentliche in Betracht kommende Bandwurm ſelbſt, ein echtes Wurmtier aus der Klaſſe der ſogenannten Platt¬ würmer, die im Syſtem ganz außerordentlich viel tiefer noch ſtehen als jene dir bekannteſten Vertreter des Wurmgeſchlechts: der Regenwurm und der Blutegel. Ein ſolcher Bandwurm¬ kopf mit ſeinen Saugnäpfen und ſeinem Hals kann in deinem

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/251>, abgerufen am 23.11.2024.