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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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ganz nahe, da neue Individuen einfach gebildet wurden durch
"Knospung", durch Ablösung eines Körperstücks, das alsbald
selbständig, ohne die Notwendigkeit einer Vermischung mit
einem fremden Wesen, knospengleich sich zu einem neuen Ge¬
schöpfe auswächst, -- kann die Hydra auch kleine Jungpolypchen
unmittelbar aus sich herauswachsen lassen, -- genau so, wie
ein Geraniumstock nicht bloß durch Blütensamen fortzupflanzen
ist, sondern auch durch einfache Ableger. Bei der Pflanze
scheint dir das Fortbestehen dieser einfachen Zweigknospung
noch neben der geschlechtlichen Blütenbefruchtung wie etwas
Selbstverständliches. Aber auch beim niederen Tier findest du
die Fähigkeit wenigstens dazu noch konsequent allerorten er¬
halten. Freilich siehst du, daß, je steiler der Tierstamm in die
Höhe kam, die richtige geschlechtliche Liebe doch sich mehr und
mehr als die einzig nützliche erwiesen haben muß. Und dem
verdankst du, daß du selber heute nur noch Kinder im richtigen
Liebesakt zeugen kannst, die dann deine Frau nachher gebären
muß, -- anstatt daß dir und deiner Frau ab und zu auch
mal noch kleine Jungen und kleine Mädchen zum Rücken, Knie
oder Fuß herauswüchsen wie Salatköpfe aus einem fruchtbaren
Gemüsebeet.

Doch zu deinem zweiten Menschensatz. Aus dem Mutter¬
leibe des Menschen steigt wieder ein Menschenkind. Das er¬
scheint doch absolut selbstverständlich? Wohlan.

Ich sagte dir: aus Polypen von jener einfachen Form
der lieben kleinen Hydra haben sich auch jene herrlichen
Medusen oder Quallen entwickelt, die dir jede Meeresküste
zeigt. Du kennst sie. Nach der Sturmflut liegen sie als
glatte schillernde Gallertscheiben am weißen Strand, jämmerlich
hintrocknend. Im freien Meere aber siehst du sie vom Schiffe
aus in voller Lebenspracht, langsam dahinziehend, die selt¬

ganz nahe, da neue Individuen einfach gebildet wurden durch
„Knoſpung“, durch Ablöſung eines Körperſtücks, das alsbald
ſelbſtändig, ohne die Notwendigkeit einer Vermiſchung mit
einem fremden Weſen, knoſpengleich ſich zu einem neuen Ge¬
ſchöpfe auswächſt, — kann die Hydra auch kleine Jungpolypchen
unmittelbar aus ſich herauswachſen laſſen, — genau ſo, wie
ein Geraniumſtock nicht bloß durch Blütenſamen fortzupflanzen
iſt, ſondern auch durch einfache Ableger. Bei der Pflanze
ſcheint dir das Fortbeſtehen dieſer einfachen Zweigknoſpung
noch neben der geſchlechtlichen Blütenbefruchtung wie etwas
Selbſtverſtändliches. Aber auch beim niederen Tier findeſt du
die Fähigkeit wenigſtens dazu noch konſequent allerorten er¬
halten. Freilich ſiehſt du, daß, je ſteiler der Tierſtamm in die
Höhe kam, die richtige geſchlechtliche Liebe doch ſich mehr und
mehr als die einzig nützliche erwieſen haben muß. Und dem
verdankſt du, daß du ſelber heute nur noch Kinder im richtigen
Liebesakt zeugen kannſt, die dann deine Frau nachher gebären
muß, — anſtatt daß dir und deiner Frau ab und zu auch
mal noch kleine Jungen und kleine Mädchen zum Rücken, Knie
oder Fuß herauswüchſen wie Salatköpfe aus einem fruchtbaren
Gemüſebeet.

Doch zu deinem zweiten Menſchenſatz. Aus dem Mutter¬
leibe des Menſchen ſteigt wieder ein Menſchenkind. Das er¬
ſcheint doch abſolut ſelbſtverſtändlich? Wohlan.

Ich ſagte dir: aus Polypen von jener einfachen Form
der lieben kleinen Hydra haben ſich auch jene herrlichen
Meduſen oder Quallen entwickelt, die dir jede Meeresküſte
zeigt. Du kennſt ſie. Nach der Sturmflut liegen ſie als
glatte ſchillernde Gallertſcheiben am weißen Strand, jämmerlich
hintrocknend. Im freien Meere aber ſiehſt du ſie vom Schiffe
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[212/0228] ganz nahe, da neue Individuen einfach gebildet wurden durch „Knoſpung“, durch Ablöſung eines Körperſtücks, das alsbald ſelbſtändig, ohne die Notwendigkeit einer Vermiſchung mit einem fremden Weſen, knoſpengleich ſich zu einem neuen Ge¬ ſchöpfe auswächſt, — kann die Hydra auch kleine Jungpolypchen unmittelbar aus ſich herauswachſen laſſen, — genau ſo, wie ein Geraniumſtock nicht bloß durch Blütenſamen fortzupflanzen iſt, ſondern auch durch einfache Ableger. Bei der Pflanze ſcheint dir das Fortbeſtehen dieſer einfachen Zweigknoſpung noch neben der geſchlechtlichen Blütenbefruchtung wie etwas Selbſtverſtändliches. Aber auch beim niederen Tier findeſt du die Fähigkeit wenigſtens dazu noch konſequent allerorten er¬ halten. Freilich ſiehſt du, daß, je ſteiler der Tierſtamm in die Höhe kam, die richtige geſchlechtliche Liebe doch ſich mehr und mehr als die einzig nützliche erwieſen haben muß. Und dem verdankſt du, daß du ſelber heute nur noch Kinder im richtigen Liebesakt zeugen kannſt, die dann deine Frau nachher gebären muß, — anſtatt daß dir und deiner Frau ab und zu auch mal noch kleine Jungen und kleine Mädchen zum Rücken, Knie oder Fuß herauswüchſen wie Salatköpfe aus einem fruchtbaren Gemüſebeet. Doch zu deinem zweiten Menſchenſatz. Aus dem Mutter¬ leibe des Menſchen ſteigt wieder ein Menſchenkind. Das er¬ ſcheint doch abſolut ſelbſtverſtändlich? Wohlan. Ich ſagte dir: aus Polypen von jener einfachen Form der lieben kleinen Hydra haben ſich auch jene herrlichen Meduſen oder Quallen entwickelt, die dir jede Meeresküſte zeigt. Du kennſt ſie. Nach der Sturmflut liegen ſie als glatte ſchillernde Gallertſcheiben am weißen Strand, jämmerlich hintrocknend. Im freien Meere aber ſiehſt du ſie vom Schiffe aus in voller Lebenspracht, langſam dahinziehend, die ſelt¬

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/228>, abgerufen am 24.11.2024.